Eva Umlauf: „Warum ich die Erinnerung wachhalten will“

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„Ich dachte zuerst, dass jeder Mensch eine Nummer hat“: Eva Umlauf (81) ist eine der jüngsten Überlebenden des KZ Auschwitz. Seit den Sechzigerjahren lebt die gebürtige Slowakin in München. © Jens Hartmann

Sie ist eine der jüngsten Überlebenden von Auschwitz. Lange hat Eva Umlauf (81) über ihr Schicksal und das ihrer Familie geschwiegen. Doch seit einigen Jahren legt die gebürtige Slowakin, die seit Jahrzehnten in München lebt, Zeugnis ab, „damit sich so etwas nicht wiederholt“. Ein Gespräch.

Nur der Tatsache, dass – angesichts der vorrückenden Roten Armee – drei Tage vor ihrer Ankunft in Auschwitz am 2. November 1944 die Gaskammern stillgelegt werden, verdankt Eva Umlauf ihr Leben. Sie ist gerade einmal zwei Jahre alt und todkrank, als nach knapp drei Monaten, am 27. Januar 1945, das Lager befreit wird. Mit ihrer Mutter und ihrer Schwester kehrt sie in ihre slowakische Heimat zurück. Lange spricht Eva Umlauf, die seit den Sechzigerjahren in München lebt und als Kinderärztin arbeitete, nicht über ihr Schicksal und das ihrer Familie. Das ändert sich, als sie am 27. Januar 2011 bei der Gedenkfeier zum Jahrestag der Befreiung des KZ eine Rede hält. Der Beginn einer bewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Im Jahr 2016 veröffentlicht die heute 82-Jährige, Mutter von drei Söhnen, ihre Autobiografie. Der Bayerische Rundfunk widmet ihr nun ein Porträt aus der Reihe „Lebenslinien“. Es trägt den Titel „Ich habe Auschwitz überlebt“ und wird am Montag um 22 Uhr ausgestrahlt.

Als Sie als Kind die sogenannte Häftlingsnummer an sich entdeckt haben, haben Sie doch sicher Ihre Mutter gefragt, was das zu bedeuten hat.

Eva Umlauf: Ja, natürlich. Wobei ich zuerst dachte, dass jeder Mensch eine Nummer hat. Bis ich festgestellt habe, dass meine jüngere Schwester, die erst nach der Befreiung des KZ geboren wurde, keine hat.

Und dann hat Ihre Mutter Ihnen das erklärt?

Eva Umlauf: Ja. Sie hat auf unsere Fragen geantwortet, aber wir haben ganz wenig gefragt, weil wir gespürt haben, dass ihr das wehtut. Und das wollten wir nicht.

Sie sprechen in dem Porträt des BR von „Gefühlserbschaft“. Wie würden Sie diesen Begriff definieren?

Eva Umlauf: Eine Gefühlserbschaft ist etwas, das nonverbal von einer Generation auf die nächste und die übernächste Generation weitergegeben wird. Ein familiäres Trauma. Auf Auschwitz bezogen heißt das, dass man beispielsweise in der Slowakei auf die Frage nach den Verwandten gesagt hat: „Die sind dort geblieben.“ Um nicht sagen zu müssen, dass sie dort ermordet wurden. Es ist etwas, worüber man nicht redet. Aber der Begriff „Gefühlserbschaft“ lässt sich auch auf andere Konstellationen übertragen, denken Sie an die sogenannten Kuckuckskinder. Alle in der Familie spüren, dass sie nicht hineingehören, aber es wird nicht darüber gesprochen. Früher war das ein großes Problem, heutzutage macht man irgendwann einen Gentest, dann weiß man wenigstens, was Sache ist.

Sie sind 1967 aus der Slowakei nach Deutschland gekommen, Sie wussten, was passiert war zwischen 1933 und 1945 – haben Sie nicht gezögert, ausgerechnet ins Land der Täter zu gehen?

Eva Umlauf: Doch, aber ich bin ja sozusagen nicht freiwillig gekommen, sondern der Liebe wegen. Ich habe einen aus Polen stammenden Überlebenden des Holocaust geheiratet, der nach dem Krieg in München gelebt hat, und bin ihm dorthin gefolgt. Wobei der Plan war, nach Amerika zu gehen. Dazu ist es dann nicht gekommen, weil mein Mann früh gestorben ist. Und so bin ich in Deutschland geblieben und fühle mich hier sehr wohl.

Sie haben schon bald als Ärztin gearbeitet, da hatten Sie sicher auch mit Deutschen zu tun, deren Angehörige vielleicht…

Eva Umlauf: Nicht vielleicht, bestimmt!

…in die Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickt waren.

Eva Umlauf: Nein, die waren alle im Widerstand. Das haben sie mir jedenfalls erzählt, ohne dass ich sie danach gefragt hätte, was ihre Väter und Großväter oder sie selbst in dieser Zeit getan haben. Aber wenn Sie sich vorstellen, wie viele damals Hitler zugejubelt haben, wie viele in der Partei waren, dann kann es nicht so viele Regimegegner gegeben haben.

Waren Sie mit Antisemitismus konfrontiert?

Eva Umlauf: Na ja, ich habe schon Sätze gehört wie: „Ich habe dich gar nicht für eine Jüdin gehalten, du siehst gar nicht so aus!“ Wie sehen Juden aus? Und wenn mein Oberarzt sich zu mir gesetzt hat beim Mittagessen in der Mensa der Klinik und gesagt hat: „Sie arbeiten und haben ein Kind wie in den Kibbuzim in Israel, meinen Sie, dass das richtig ist?“, dann habe ich gesagt: Herr Sowieso, Sie werden verstehen, dass ich mich woanders hinsetze.

Sie haben solche Gespräche vermieden.

Eva Umlauf: Ja, aber jetzt tue ich das nicht mehr. Es hat sich viel geändert.

Eingang zum KZ Auschwitz
Ein Ort des Grauens: In Auschwitz im von den Deutschen besetzten Polen befand sich das größte Konzentrationslager. © Michael Hellstern

Wie sehen Sie Ihre jetzige Arbeit? Zeugnis ablegen? Die Erinnerung wachhalten?

Eva Umlauf: Ja. Dafür müssen wir alles tun! Und wissen Sie, warum? Damit sich so etwas nicht wiederholt! Deswegen gehe ich in die Schulen, lese aus meinem Buch, spreche mit Schülerinnen und Schülern. Die jungen Leute sind unsere Zukunft.

Sie haben hoffentlich gute Erfahrungen gemacht bei Ihren Besuchen?

Eva Umlauf: Sehr gute! Die Schulen, die mich einladen, bereiten die Schülerinnen und Schüler gut vor. Die sind in der 9. oder 10. Klasse und nehmen da in Geschichte gerade die Zeit des Nationalsozialismus durch, viele waren auch schon in Dachau. Die Staatsregierung unterstützt das sehr.

Es wird genug getan Ihrer Meinung nach?

Eva Umlauf: Ich glaube, dass die Leute, die auf der richtigen Seite stehen – also auf der, die sie und ich für richtig halten –, daran interessiert sind, die Demokratie zu schützen und auch ihre Kinder in diesem Geist zu erziehen. Weil sie sehen, was los ist in den Ländern, in denen Diktatoren die Macht übernommen haben.

Immer mehr Deutsche wählen die AfD...

Eva Umlauf: Ja, das ist erschreckend. Ich habe mich auch schon gefragt, warum man diese Partei nicht verbieten kann. Das sind Faschisten, die werden vom Verfassungsschutz beobachtet! Aber viele Experten warnen davor und sagen, das würde der AfD noch mehr Zulauf bringen. Aber schauen Sie, ich hätte nicht für möglich gehalten, wie viele plötzlich gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, in München, Berlin, Hamburg, Köln. Ich habe den Eindruck, dass sich etwas verändert, seitdem über dieses Geheimtreffen in Potsdam berichtet wurde. Wir haben ja auch die NPD, die Republikaner und die DVU überstanden.

Sie glauben, dass die AfD...

Eva Umlauf: ...sich selbst zerlegt, ja! Ich bin Optimistin.

Ihr Appell an die junge Generation, die vielleicht in diesem Jahr erstmals zur Wahl geht?

Eva Umlauf: Schaut oder hört Nachrichten, informiert euch bei Medien, denen ihr vertrauen könnt. Dann trefft ihr die richtige Entscheidung.

Eva Umlaufs Buch trägt den Titel „Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen“ und ist im Verlag Hoffmann und Campe erschienen.

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