Gastbeitrag von Joachim Krause: Wie das 5 Prozentziel Europa militärisch unabhängiger von den USA machen soll
NATO im Wandel: Wadephuls Sprung zu 5 Prozent
Fünf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt würden zum gegenwärtigen Zeitpunkt etwa 220 Milliarden Euro Verteidigungsausgaben pro Jahr bedeuten. Im Vergleich zum regulären Verteidigungsetat von etwas mehr als 50 Milliarden Euro (oder dem realen von derzeit 90 Milliarden Euro) wäre das ein großer Sprung. Es ist natürlich einfach zu sagen, dass das alles nicht so leicht machbar ist. Aber es ist auch nicht beabsichtigt, den Etat im kommenden Jahr entsprechend zu erhöhen. Wichtig ist das größere Bild im Auge zu behalten.
Über Joachim Krause
Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und Chefredakteur von SIRIUS. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Privatdozent tätig. Neben seiner akademischen Laufbahn hat er an internationalen diplomatischen Missionen teilgenommen. Seine Forschungsarbeit ist in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen dokumentiert.
Entscheidender NATO-Gipfel im Jahr 2025
Im Juni 2025 wird der nächste NATO-Gipfel stattfinden und dieser Gipfel wird entscheidend dafür sein, ob die nordatlantische Allianz noch eine Zukunft hat. Das hat Wadephul offenkundig im Blick. US-Präsident Donald Trump fordert seit Jahren, dass die Europäer mehr für ihre Verteidigung aufwenden und hat in diesem Zusammenhang auch mit dem Rückzug aus der NATO gedroht. Aus amerikanischer Sicht kann man sich tatsächlich fragen, warum müssen 380 Millionen Amerikaner 500 Millionen Europäer vor 140 Millionen Russen schützen? Mit seiner Kritik hatte Trump recht, aber seine Warnungen fielen auf taube Ohren, insbesondere in Deutschland.
Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ist unter den meisten Europäern das Bewusstsein dafür gewachsen, dass es eine reale militärische Bedrohung gibt und dass Europa aufgrund seiner menschlichen, wirtschaftlichen und technologischen Ressourcen eigentlich in der Lage sein müsste, sich selber gegen Russland zu verteidigen.
Entsprechende Anstrengungen werden derzeit ja auch unternommen. Viele Staaten heben ihre Verteidigungsausgaben an und im März hat die EU wichtige Weichen dafür gestellt, dass die Europäer enger im Bereich der Verteidigung zusammenarbeiten.
Bis die Staaten Europas sich weitgehend alleine gegen Russland verteidigen können, werden allerdings noch viele Jahre vergehen. Von daher ist es wichtig, alles dafür zu tun, dass die amerikanischen Streitkräfte hier so lange bleiben, bis europäische Streitkräfte sie nach und nach ablösen können.
Die militärischen Fähigkeiten, die die USA für Europa vorhalten, sind umfangreich und lassen sich nicht einfach von heut auf morgen ersetzen. Dazu bedarf es einer planmäßigen Erhöhung der Verteidigungsanstrengungen insbesondere der größten Volkswirtschaft Europas – der Bundesrepublik Deutschland. Wichtig ist, dass es hierüber zu einer Vereinbarung kommt, die Amerikaner wie Europäer gleichermaßen für die nächsten zehn Jahre bindet und die verhindert, dass Sicherheitslücken entstehen können, die Putin ausnützen würde.
Europas Sicherheit: Der Trump-Faktor
Angesichts der Möglichkeit, dass sich Trump aus der Allianz (oder zumindest der integrierten Struktur) gänzlich zurückzieht, kommt es zurzeit darauf an, so viel wie möglich an amerikanischen Streitkräften und Fähigkeiten (insbesondere die der nuklearen Abschreckung) in Europa zu halten und gleichzeitig den USA zu signalisieren, dass die Europäer (und hier in erster Linie Deutschland) phasenweise amerikanische Fähigkeiten ersetzen werden.
Dazu bedarf es einer Bundeswehr, die – wie es Bundeskanzler Merz in seiner Regierungserklärung ausgeführt hat – die stärkste konventionelle Streitmacht in Europa ist. Mit Blick auf den NATO-Gipfel ist es daher völlig richtig, wenn der deutsche Außenminister Verständnis für die Forderung Trumps nach 5 Prozent zeigt und gleichzeitig darauf hinweist, dass damit der Verbleib der USA für die Verteidigung Europas gesichert bleibt.
Wenn Außenminister Wadephul von 5 Prozent spricht dann im Sinne der Formel von NATO-Generalsekretär Mark Rutte, der von 3,5 Prozent für harte Verteidigungsausgaben und von 1,5 Prozent für verteidigungsbezogener Infrastruktur sprach. Dies wird auch von der Trump-Administration so gesehen. In den derzeitigen Planungen der NATO für die Verteidigung der Ostgrenze der EU gegen russische Aggressionen kommt Deutschland eine zentrale Rolle als logistischer Drehpunkt zu.
Das erfordert tatsächlich eine Vielzahl von Investitionen im Bereich der Infrastruktur (Schiene, Straßen, Brücken, Luftverkehr, digitale Infrastruktur). Und die Bundeswehr wird erheblich vergrößert werden müssen. Das wird ohne einen Verteidigungsetat in der Größenordnung von etwa 150 Milliarden Euro nicht gehen. Von daher sind die Aussagen Wadephuls im Rahmen dessen, was die Bundesregierung ohnehin anpeilt. Der Zeitrahmen dürfte bis 2032 angesetzt werden. Bis dahin ist mit entsprechenden jährlichen Steigerungsraten des Verteidigungsetats und des Etats des Verkehrsministeriums zu rechnen.
Langfristige Strategien für Europas Verteidigung
Es geht darum, die USA so lange wie möglich in die Verteidigung Europas einzubinden, indem wir unsere Verteidigungsanstrengungen erhöhen, um den USA einen geordneten Rückzug aus Europa zu ermöglichen. Es gilt insbesondere zu verhindern, dass dieser Rückzug abrupt und vollständig sein wird. Gerade im Bereich der nuklearen Abschreckung werden die USA nicht ersetzbar sein.
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.