Auf den Spuren der Pusztavámer: Eindrucksvolle Gedenkfahrt

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Zur Erinnerung ein Gruppenfoto: Organisator Georg Hodolitsch (li.) mit der Reisegruppe. In der Mitte mit den Stöcken in der Hand ist Theresia Harting zu sehen. © privat

Zum 80. Mal jährt sich heuer die Flucht der Bevölkerung Pusztaváms vor der Roten Armee. Aus diesem Anlass organisierte Georg Hodolitsch eine Gedenkfahrt. Seine Familie stammt aus dem heute ungarischen Dorf. Die Teilnehmer kehrten mit bewegenden Eindrücken zurück.

Geretsried/Pusztavám – 24 Frauen und Männer begaben sich Mitte Oktober auf diese eindrucksvolle Reise. Auch Zeitzeugin Theresia Harting stieg in den Bus, der die Gruppe von Geretsried nach Ungarn brachte – sie hatte die Flucht als neunjähriges Mädchen erlebt. Spätnachmittags kam die Delegation im Hotel in Mór an. „Gleich ging es weiter zum Treffen mit den Ungarndeutschen im Kulturhaus von Pusztavám“, berichtet Georg Hodolitsch, der die Reise schriftlich dokumentierte. Die Gruppe wurde von Bürgermeister Michael Czordas, der Kulturleiterin Bernadett Szili und anderen Pusztavámern begrüßt. Bereits während des Abendessens entwickelte sich ein reger Austausch über die damalige Situation.

Luftkämpfe über dem Dorf schüren die Angst

Martin Hodolitsch war einer der Männer, die am 9. Dezember 1944 die Flucht ergriffen. Er hielt seine Erinnerungen an die Ereignisse schriftlich fest: „Es war nach dem Gottesdienst am ersten Adventssonntag, als der Pfarrer die Gläubigen zurückhielt.“ Der Geistliche informierte die Menschen über die immer näher kommende Front und empfahl ihnen die Flucht. „Noch im Herbst hatte meine Großmutter über die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem Banat gesagt: ,Die sollen nur flüchten, wir bleiben da!‘“, ergänzt dazu Georg Hodolitsch. Wenige Wochen später waren die Kanonenschläge zu hören. Es gab Luftkämpfe über dem Dorf, und drei Flugzeuge stürzten ab, was die Bewohner mit ansehen mussten. Die Angst vor dem Krieg wuchs von Tag zu Tag.

Eisenbahntransporte und Treck mit Planwagen

Bereits am 7. und 8. Dezember 1944 gab es einen Eisenbahntransport mit vielen Pusztavámern in Richtung Deutschland. In einem der Transporte befand sich Theresia Harting zusammen mit ihrer Großmutter, ihrer Mutter und ihrem Bruder. „Mein Vater, Johann Farkasch, war ein Begleiter des Trecks, der am 9. Dezember aufbrach“, ergänzt die 89-Jährige. Der Treck bestand aus 31 Pferdekutschen mit Planwagen und 73 Personen, überwiegend Frauen mit Kindern und älteren Männern. Eine Reise mit ungewissem Ausgang lag vor ihnen.

Etappe im Pferdewagen Richtung Bokod

Dieser Reise wollte die Gruppe aus Deutschland nachspüren. Am zweiten Tag des Aufenthalts wurde zunächst an den Denkmälern vor der katholischen Kirche der Opfer des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie der ermordeten Juden gedacht. Über 200 jüdische Arbeitsdienstler waren im Herbst 1944 am Rande des Dorfes von der Waffen-SS getötet worden. Nach einem ökumenischen Gottesdienst in der evangelisch-lutherischen Kirche begaben sich die Teilnehmer auf die Fluchtstrecke.

Gedenkfahrt Pusztavám
Ortsende Pusztavám: Eine Etappe legten die Reisenden mit einem Pferdewagen zurück. © privat

Die Route beruhte hauptsächlich auf den Aufzeichnungen von Martin und Elisabeth Hodolitsch. Es ging, wie 1944, mit dem Pferdewagen, gezogen von zwei kräftigen Rössern, Richtung Bokod. „Eine Stunde bei Sonnenschein und Wind war im Vergleich zu 1944 eine Sommerreise“, erzählt Hodolitsch. „Damals waren es minus zehn Grad Celsius, und es lag sehr viel Schnee.“ Die Etappe im Pferdewagen sei für viele trotzdem ein besonders eindrucksvolles Erlebnis gewesen.

Zwei Nächte im Stall, Heukrippe wird zum Bett

Ab Bokod ging es mit dem Bus weiter – wie damals auf Nebenstraßen, über Dad, Kocs bis vor Györ. „Die Südost-Umfahrung von Györ war in der Kriegszeit aufgrund der vielen Militärfahrzeuge nicht leicht“, so Hodolitsch. „Dieses Mal waren es die vielen Schnellstraßen und Umleitungen, die die Fahrt verzögerten.“ Weiter ging es auf Nebenstraßen über die zwei Flüsse Rába und Marcal in Richtung Kophaza und Sopron.

Eine Stunde bei Sonnenschein und Wind war im Vergleich zu 1944 eine Sommerreise. Damals waren es minus zehn Grad Celsius, und es lag sehr viel Schnee.

Als der Flüchtlingstreck auf Höhe von Györ war, gab es Fliegerangriffe. Ein Flugzeug wurde abgeschossen, „und der Pilot kam zwischen uns runter“, schrieb Martin Hodolitsch. Seine Schwägerin Elisabeth Hodolitsch berichtete dazu, dass sie etliche Stunden auf der Erde lagen und sich sehr fürchteten. Weil es regnete, blieben die Flüchtlinge zwei Nächte dort. „Wir waren samt Pferde im Stall untergebracht, die Heukrippe war unser Bett“, so Martin Hodolitsch. Richtung Czapod und Kopháza wurde die Lage immer kriegerischer. Dort wurden die Pferde auf Krankheiten untersucht. „Wir wurden aufgerufen, Waffen abzugeben.“ Das war der letzte Übernachtungsplatz in Ungarn. „Am Montag zeitig in der Früh machten wir uns auf zum Abfahren, denn wir mussten über Ödenburg, und von der Stadt haben wir große Angst gehabt, wegen der Fliegerangriffe. Zum Glück kamen wir aus der Stadt hinaus ohne Malheur. Kaum haben wir die letzten Häuser verlassen, fingen die Sirenen an zu brüllen, und heulen … und das Bombardieren ging los. Zum Glück brach Nebel ein, sodass uns die Flieger nicht entdecken konnten und so kamen wir mit Gottes Hilfe durch.“

Einquartiert von 18. Dezember bis 4. Januar

Zurück in das Jahr 2024: In Ödenburg hatte Georg Hodolitsch für die Gruppe eine zweite Übernachtung gebucht. Am folgenden Tag reiste die Gruppe weiter nach Zillingdorf. „Der Bus blieb neben der St.-Georg-Kirche stehen“, schildert der Geretsrieder den Verlauf. „Eine vielleicht gottgewollte Situation ergab sich dabei, da dort gerade ein junger Mann und eine Frau vom Historischen Arbeitskreis Zillingdorf standen.“ Beim Ortsrundgang zeigten die beiden der Delegation zwei Unterkünfte, wo die Flüchtlinge aus Pusztavám vom 18. Dezember bis 4. Januar einquartiert waren.

Gedenkfahrt Pusztavám
In traditioneller Trauerkleidung verabschiedeten diese Pusztavámer Frauen die Reisegruppe aus Geretsried. © privat

In Zillingdorf am späten Abend des 18. Dezembers 1944 bekam die Familie von Martin Hodolitsch ein Quartier bei einem rothaarigen Bauern. Sie durften sich im Stadl niederlassen. „Es war sehr kalt, und ich und die Pferde blieben dort“, schreibt der Familienvater. Frau und Tochter Elisabeth schliefen in der Waschküche. „Gefroren hat es sie die ganze Nacht.“ Am nächsten Tag bot ihnen ein gutherziger Mann Platz in seiner Wohnung an. Martin Hodolitsch: „In der Küche durften wir kochen, und sogar von seinem wenigen Wein hat er uns zu trinken gegeben.“ Dort verbrachte die Familie die Weihnachtsfeiertage und Neujahr.

Rund 30 Pferdegespanne mit 73 Personen brechen am 9. Dezember 1944 nach Österreich auf. Über Ödenburg (Foto) erreicht der Treck Zillingdorf. Von dort aus werden die Flüchtlinge mit ihren Gespannen in Eisenbahnwaggons verladen und nach Beuerberg transportiert. Etwa 750 Kilometer legen sie insgesamt zurück.
Rund 30 Pferdegespanne mit 73 Personen brechen am 9. Dezember 1944 nach Österreich auf. Über Ödenburg (Foto) erreicht der Treck Zillingdorf. © Archiv

Am 4. Januar brach der Treck wieder auf. Über Eggendorf und Wiener Neustadt ging es nach Neunkirchen. „Dort wurden wir einwaggoniert, mit den Fluchtwagen, wie sie waren, in offene Waggons, und die Pferde und wir in zugemachte.“ Einen Tag und eine Nacht standen die Flüchtlinge am Bahnhof. „Es war sehr kalt, und wir konnten nicht wegfahren, bis wir mit unserem Speck die Eisenbahner gut schmierten.“ In der zweiten Nacht setzte sich der Zug in Bewegung: über Wien, St. Pölten, Linz, Salzburg, Rosenheim bis nach München. Dort kamen die Pusztavámer am 7. Januar vor Tageseinbruch an. Am Ostbahnhof standen sie einige Stunden, „bis sie uns überführten auf die Starnberger Linie“.

Elisabeth und Georg Hodolitsch
Schwere Zeiten: Elisabeth Hodolitsch musste ihre Heimat an ihrem 46. Geburtstag verlassen. Das Foto zeigt sie mit ihrem Ehemann Georg, der 1944 noch in den Krieg einrückte. © privat/Stadtarchiv
Martin Hodolitsch
Flüchtete mit seiner Familie: Martin Hodolitsch, der Bruder von Georg Hodolitsch. © privat

Schließlich kam der Zug in Beuerberg an. „Da wurden wir auswaggoniert an einem Sonntagnachmittag“, erinnert sich Martin Hodolitsch. Um Mitternacht gab es in München einen Fliegerangriff. Martin Hodolitsch: „In Beuerberg zitterten noch die Scheiben.“ Georg Hodolitsch ergänzt dazu: „Hätten die Pusztavám-Flüchtlinge nicht die Eisenbahner am Ostbahnhof zur Weiterfahrt mit Speck, Wein und Tabak schmieren können, wäre der ganze Flüchtlingstreck kurz vor der Ankunft in Beuerberg mit Bomben ausgelöscht worden.“

Gelungene Fahrt zu Originalschauplätzen

Die Reise von München nach Geretsried kürzte die Gruppe ab. Am Ende freuten sich alle über „die gut gelungene Fahrt zu den Originalschauplätzen“, berichtet Georg Hodolitsch, der sich bei Busfahrer Martl Matheis „für sein Können auf der Strecke“ bedankt. „Es war sehr schön“, pflichtet ihm Theresia Harting bei. Die Geretsriederin war schon öfter in Pusztavám. Sie ist erleichtert, dass sie die Fahrt „ganz gut geschafft“ hat, sagt die 89-jährige Zeitzeugin. „Für mich war es wahrscheinlich das letzte Mal.“

Die Teilnehmer

Als Erinnerung an die Flucht am 9. Dezember 1944 organisierte der Landesverband Bayern der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn (LDU) mit seinem Vorsitzenden Georg Hodolitsch an der Spitze und weiteren Vorstandsmitgliedern diese Gedenkfahrt.

Weitere Teilnehmer waren Hannelore Aumüller, Gerhard Aumüller, Gisela Blum, Franz Blum, Maria Bauer, Roland Dörfler, Katharina Erl, Josef Erl, Theresia Harting, Christian Knauer (Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen in Bayern), Petra Lux, Susanne Marb (Landesverband des Bunds der Vertriebenen), Tatjana di Marcoberardino und Elisabth di Marcoberardino, Reinhold Mayer, Theresia Münch, Hildegard Pfisterer, Hans-Jürgen Pfisterer, Karl Raminger, Margit Raminger, Marika Schamberger, Maria Scharok und Michael Wagner (stellvertretender LDU-Vorsitzender). Die Reise wurde vom Bund zum großen Teil finanziert mit circa 25 Prozent Eigenbeteiligung der Teilnehmer. 

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