Schwere Vorwürfe nach TikTok-Stream auf Intensivstation – Pflegekräfte „umgehend freigestellt“
Pflegekräfte streamen live von einer Intensivstation. Ein Youtuber erhebt schwere Vorwürfe. Das Krankenhaus in Dortmund überprüft nun möglich Konsequenzen.
Dortmund – Drei Pflegekräfte einer Intensivstation starten von ihrem Arbeitsplatz aus einen Livestream auf TikTok, in dem sie von ihrer Arbeit erzählen und Fragen von Zuschauern beantworten – über 300 Menschen schauen zu. Auch der Youtuber „Kevinits“, Kevin Hartwig mit bürgerlichem Namen, wird auf den Stream aufmerksam. Er erhebt in einem Video vom 9. Mai schwere Vorwürfe gegen die Frauen. Die Recherche des Youtubers ergibt: Es handelt sich um das Hüttenhospital in Dortmund. Dort wehrt man sich gegen die Anschuldigungen. Es gibt aber erste Konsequenzen.
Schwere Vorwürfe nach TikTok-Stream auf Dortmunder Intensivstation
Kevin Hartwig hat nach eigenen Angaben früher selbst als Pfleger gearbeitet und schon in der Vergangenheit Pflegekräfte auf seinem Youtube-Kanal für fahrlässiges Verhalten und fürs Streamen am Arbeitsplatz kritisiert. Nun stieß Kevin Hartwig auf den oben genannten Stream von „DieIntensiven“.
Laut Kevin Hartwig posteten drei Pflegekräfte auf dem TikTok-Kanal unter anderem humoristische Videos aus ihrem Arbeitsalltag. Dabei seien laut des Youtubers oftmals interne Informationen an die Öffentlichkeit gelangt. In einem Clip seien etwa Vitalzeichen von Patienten im Hintergrund sichtbar gewesen. Hartwig zeigt einen entsprechenden Ausschnitt, der das belegen soll. Das Original selbst ist nicht mehr zu finden. Der Kanal „DieIntensiven“ ist inzwischen offline (Stand 13. Mai).
Auch den besagten Livestream der Dortmunder Pflegekräfte blendet Hartwig in seinem Video ein. Im Hintergrund sind immer wieder verschiedene Töne zu hören. Neben „normalen Monitoralarmen“ seien das auch „Alarme von Beatmungsmaschinen“, sagt Hartwig. Die Frauen bleiben jedoch in dem Stream, sehen nicht nach den Patienten. Das ist auch den Zuschauern des Streams aufgefallen – auf die vielen Fragen, was das für Piepsgeräusche seien und ob sich die Pflegekräfte nicht darum kümmern müssen, entgegnet eine der Frauen lachend: „Man muss Prioritäten setzen.“
Verhalten der Mitarbeiterinnen „nicht nur traurig, sondern gefährlich zugleich“
Eine der Pflegekräfte gibt sich als die Stationsleitung zu erkennen. Sie erklärt den Zuschauern, dass es sich um einen „allgemeinen Alarm“, also keinen Notfall handeln würde. Hartwig sieht das anders: „Ich als ehemaliger Pfleger höre da durchaus auch Beatmungsmaschinen klingeln“, sagt der Youtuber in seinem Video. Nicht jeder Alarm sei direkt ein Notfall, erklärt er weiter. „Es mag in diesem Fall kein akuter Notfall sein, aber es deutet oft auch auf Veränderungen hin, die ihr mitbekommen solltet.“ Er findet das Verhalten der Mitarbeiterinnen „nicht nur traurig, sondern gefährlich zugleich“.
Danach begibt sich Hartwig auf die Recherche. Hinweise von Zuschauern und schließlich auch anderen Mitarbeitern des Krankenhauses bestätigen ihm, dass es sich um das Hüttenhospital in Dortmund handelt. Er habe daraufhin, so sagt er es, die Pflegekräfte beim Arbeitgeber, bei Datenschutzbehörden in NRW und beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW gemeldet. Auch die Polizei habe er informiert.
Hüttenhospital Dortmund reagiert auf die Vorwürfe des Youtubers
Auf Nachfrage von wa.de hat das Hüttenhospital in schriftlicher Form Stellung zu den Vorwürfen des Youtubers genommen: „Erste Informationen zu dem Video sind am späten Abend des 29. April 2025 an Mitarbeiter des Krankenhauses herangetragen worden. Die Geschäftsführung wurde am 30. April 2025 um 10.26 Uhr in Kenntnis gesetzt. Die Geschäftsführung wurde zudem durch eine E-Mail von Kevin Hartwig, eingegangen am 30. April 2025 um 13.13 Uhr über die Vorkommnisse informiert“, heißt es in der Stellungnahme.
Weiter teilt das Krankenhaus mit: „Handys dürfen zu dienstlichen Zwecken genutzt werden (z.B. ‚Mitarbeiter-App‘ für die Unternehmenskommunikation, elektronischer Mitarbeiter-Ausweis in Abstimmung mit der Feuerwehr, Sicherstellung einer Krisenkommunikation, Wissensdatenbanken). Zudem möchten wir, dass die Erreichbarkeit bei privaten Notfällen gewährleistet ist. Im Hüttenhospital existiert eine Social-Media-Richtlinie, die den Umgang mit den sozialen Medien regelt und insbesondere auch die Grenzen und Gefahren beschreibt. Unsere betrieblichen Regelungen schreiben vor, dass die Arbeitszeit nur für betriebliche Zwecke und nicht für Livestreams u.ä. verwendet werden darf. Die Kolleginnen haben mit Ihrem Verhalten gegen die o.g. Vorgaben verstoßen.“
Hüttenhospital: „Im Video handelt es sich nicht um Alarmsignale, sondern um Hinweissignale“
Konfrontiert mit den Vorwürfen, dass „Alarme von Beatmungsgeräten“ ignoriert und Patientendaten veröffentlicht worden seien, reagiert das Hüttenhospital folgendermaßen: „Bei den akustisch wahrnehmbaren Tönen im Video handelt es sich nicht um Alarmsignale, sondern um Hinweissignale eines Beatmungsgerätes. Diese Hinweissignale geben diese Geräte bereits dann ab, wenn die Grenzen des eingestellten Atemdrucks minimal oder kurzfristig über- bzw. unterschritten werden. In derartigen Fällen ist es noch nicht notwendig, das Beatmungsgerät des Patienten oder diesen selbst zu kontrollieren. Dies erfolgt erst dann, wenn ein sogenannter ‚roter Alarm‘ ertönt. In diesen Fällen müssen die Mitarbeiterinnen den Alarm persönlich quittieren und sich zum Patienten begeben. Ein solcher ‚roter Alarm‘ ist während des Videos nicht zu hören.“
Weiter heißt es: „Die Mitarbeiterinnen im Video sind darin geschult, zwischen Hinweisen und Alarmen zu differenzieren und die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen zu erkennen. Dementsprechend haben sich die Mitarbeiterinnen nicht falsch verhalten, indem sie nach Ertönen der Signale nicht den jeweiligen Patienten aufgesucht, sondern die Entwicklung abgewartet haben. Indes entsteht natürlich für den Laien der Eindruck, dass sich die Mitarbeiterinnen auf Kosten eines Tiktok-Videos nicht um ihre Patienten gekümmert hätten. Dies bedauern wir zutiefst, da die Gesundheit und das Wohl der Patienten selbstverständlich höchste Priorität haben. Der Datenschutzbeauftragte hat das Video analysiert. Datenschutzverstöße haben sich nicht ergeben.“
Ob die Pflegekräfte entlassen werden, steht noch nicht fest
Welche Konsequenzen der Livestream für die Frauen haben wird, werde aktuell geprüft, erklärt das Hüttenhospital: „Die drei Mitarbeiterinnen wurden nach Bekanntwerden der Vorfälle umgehend bis zur abschließenden Klärung des Sachverhalts freigestellt. Weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen werden derzeit geprüft.“
Unter das neueste Video von Kevin Hartwig zu diesem Fall schreibt der Youtuber folgendes: „Inzwischen hat mir das Krankenhaus einen Anwalt auf den Hals gehetzt, anstatt sich persönlich bei mir zu melden“. Zudem hätten ihm „interne Quellen“ mitgeteilt, dass die Führungskräfte des Krankenhauses sein Video „ziemlich kritisch“ sehen würden und nicht vorhätten, die Pflegekräfte zu entlassen.
Auf Nachfrage von wa.de entgegnet Personalleiter Mike Schmedemann zu den neuen Vorwürfen: „Bezüglich der von Ihnen genannten Punkte befinden wir uns noch in der Prüfung, es ist noch keine Entscheidung gefallen. Somit können wir hier nichts Neues berichten.“
Unweit des Hüttenhospitals liegt die Villa Tull, die nun nach 130 Jahren abgerissen werden soll. Die Architektur der alten Villa sticht direkt ins Auge. Der Bau ist riesig, links der runde Anbau ist im unteren sowie oberen Stockwerk voller Fenster. Doch sie sieht heruntergekommen aus, ist zum Lost Place geworden.