Branchengigant schafft 470 neue Jobs in München: Um ein in Europa marktbeherrschendes Produkt zu bauen

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Schon jetzt produziert Siemens Mobility im Werk München-Allach fast jeden Tag eine neue Lokomotive. Jetzt wird die Produktion ausgeweitet.

Direkt neben der S-Bahn-Haltestelle in München-Allach stehen zwölf nagelneue Lokomotiven auf dem Gleis, auf dem angrenzenden Siemens-Werksgelände ist ein altes Hochhaus eingerüstet und in den Produktionshallen herrscht Hochbetrieb – die Krise der deutschen Industrie scheint hier weit weg zu sein.

Autobauer und Zulieferer bauen tausende Stellen ab: Bei Siemens werden Jobs geschaffen

Und Tatsächlich: Während die Autobauer und ihre Zulieferer zehntausende Stellen streichen und Werksschließungen drohen, plant Siemens Mobility, die Bahnsparte des Münchner Siemens-Konzerns, das genaue Gegenteil. In Allach, im äußersten Nordwesten der bayerischen Landeshauptstadt, will Siemens Mobility die Produktionsfläche mehr als verdoppeln und fast 500 zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Das sagte der Geschäftsführer von Siemens Mobility, Karl Blaim, gegenüber unserer Zeitung. 260 Millionen Euro will Siemens demnach investieren.

„Wir haben uns hier am Standort Allach in den letzten Jahren sehr erfolgreich entwickelt und uns daher entschlossen, die Produktion auszuweiten“, sagte Blaim. „Wir sind uns komplett darüber bewusst, dass wir hier am Standort nicht die niedrigsten Lohnkosten haben“, sagte er, Siemens Mobility sei aber in der Lage, diesen Lohnkostennachteil komplett auszugleichen.

Standort München ist teuer – aber es lohnt sich für Siemens

Was für den Standort München spricht: „Wir haben einen sehr hohen Grad an Digitalisierung und Fertigungsautomatisierung hier in unserer Produktion in Allach“, sagte Blaim. Ein Beispiel: Während die Autoindustrie ihre Produktion von Kabelbäumen nach Osteuropa verlegt hat, stellt Siemens die Kabel-Stränge seit Jahren in München selbst her. Laser an der Decke der Montagehalle erzeugen kleine Lichtpunkte an meterlangen Kabeln, die Arbeiter wissen sofort, auf welche Länge sie die Kabel zuschneiden müssen – das führt zu Tempo in der Produktion.

Endmontage von Vectron-Lokomotiven im Siemens-Werk München-Allach.
Endmontage von Vectron-Lokomotiven im Siemens-Werk München-Allach. © Achim Frank Schmidt

Zweiter Vorteil: In München arbeite eine Belegschaft mit hoher Motivation, sagte Blaim, insbesondere im Ingenieur-Bereich. „Müssten wir den Standort woanders komplett neu aufbauen, hätten wir diese ganzen Vorteile nicht.“

Die Siemens-Lok ist mittlerweile Marktführer in Europa

Zumal es noch einen dritten und womöglich entscheidenden Vorteil gibt: Siemens stellt in München-Allach seit 2010 ein Produkt her, das sich Jahr für Jahr besser verkauft: Die Lokomotive Vectron. Der Vectron ist eine elektrisch betriebene Lok, die sowohl im europäischen Personenverkehr als auch im Güterverkehr zum Einsatz kommt. Mit dem Fahrzeug hat sich Siemens die Marktführerschaft in Europa gesichert, wie Blaim betonte. Siemens verkauft die Loks demnach zu Preisen zwischen dreieinhalb und fünfeinhalb Millionen Euro, abhängig von der jeweiligen Ausstattung. Ausstattung heißt: Ein Bahnbetreiber, der bei Siemens kauft, kann zwischen unterschiedlichen Elektromotoren oder Transformatoren wählen.

Wie in einem Baukastensystem kann er die Module kombinieren, grenzüberschreitender Schienenverkehr mit unterschiedlichen Bahnstromsystemen ist damit möglich. Muss die Lok Teilstrecken ohne Oberleitung überbrücken, wird sie mit einem zusätzlichen Diesel-Aggregat ausgestattet, in Zukunft will Siemens verstärkt auf Batterien und Wasserstoff-Antriebe setzen. Und ist eine Lok in die Jahre gekommen, lässt sie sich nachrüsten. „Wir haben es geschafft – und darauf sind wir ehrlich stolz – mit Intelligenz und mit deutscher Ingenieurskunst eine Lok zu bauen, die niemals alt wird“, sagte Blaim.

Karl Blaim, Geschäftsführer von Siemens Mobility, vor einem neuen Reisezugwagen im Werk München-Allach.
Karl Blaim, Geschäftsführer von Siemens Mobility, vor einem neuen Reisezugwagen im Werk München-Allach. © Achim Frank Schmidt

1700 Vectron-Lokomotiven hat Siemens eigenen Angaben zufolge seit dem Produktionsstart im Jahr 2010 in München-Allach produziert, 900 weitere sind bestellt. „Allein im vergangenen Jahr haben wir mehr als 360 Lokomotiven verkauft, seit Produktionsstart beobachten wir eine exponentiell steigende Kurve bei der Zahl der Bestellungen.“ In der Produktion sieht es ähnlich aus: „Vor zehn bis 15 Jahren haben wir etwa 80 Lokomotiven im Jahr ausgeliefert, jetzt gehen wir hoch auf eine Ausbringung von 385 pro Jahr – das ist mehr als eine Lokomotive pro Tag“, sagte Blaim. Die Folge: Das Werk wächst. Dank des Auszugs von Krauss-Maffei-Spritzgusstechnik nebenan habe Siemens nun den Platz für die Erweiterung, sagte Blaim. Außerdem werde das Service-Center in Allach weitert – eine Art Kfz-Werkstatt für Loks.

Siemens baut nun auch Loks für den Personenverkehr – erstmal für die tschechische Bahn

Neu ist auch, dass Siemens Mobility in Allach seit kurzer Zeit auch Waggons für den Personenverkehr baut. Verkauft wird der Zug unter dem Namen Vectrain. „Wir adaptieren das Konzept der Vectron-Lokomotive, also ein modular aufgebautes Standard-Konzept, auf Reisezugwagen“, sagte Blaim. Kunden, die schon den Vectron in Betrieb hätten, könnten nun problemlos den Vectrain betreiben. „Das birgt enorme Kostenvorteile.“

Wir haben es geschafft – und darauf sind wir ehrlich stolz – mit Intelligenz und mit deutscher Ingenieurskunst eine Lok zu bauen, die niemals alt wird

Seit Sommer werden die ersten Reisezugwagen im Auftrag der tschechischen Staatsbahn produziert. Künftig sollen 50 bis 180 Waggons pro Jahr hergestellt werden, angeboten zu Preisen zwischen drei und vier Millionen Euro pro Stück.

Für den Waggon-Bau benötigt Siemens nicht nur Fläche, sondern auch Personal. 1650 Beschäftigte arbeiten aktuell am Standort Allach, 470 zusätzliche Mitarbeiter will Siemens für die Fertigung des Vectrain einstellen. Schweißer, Schlosser, Mechatroniker, Elektriker, Industriemechaniker – gesucht wird quer durch alle Berufsgruppen.

Siemens-Zentrale in Perlach wird geschlossen: Neue Jobs gehen nach Allach

Hinzu kommen 325 Beschäftigte aus München-Perlach, die in Allach bald eine neue Heimat finden sollen. Blaim sagte, dass die bisherige Mobility-Zentrale in Perlach aufgelöst werde, das neue globale Zentrum von Siemens Mobility solle München-Allach werden. „Das bestehende Hochhaus wird gerade architektonisch und energetisch generalsaniert, im Sommer werden wir dort mit über 300 Kolleginnen und Kollegen einziehen.“

Baustellen, Millioneninvestitionen, neue Jobs – mitten in einer Krise der deutschen Industrie gibt es sie offenbar noch, die Orte, an denen Unternehmen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

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