FOCUS Briefing: Dobrindts deutsche Notlage – ein Test für die Grenzen des Rechts
Die Fakten am Morgen
Das FOCUS Briefing von Tanit Koch und Thomas Tuma. Kompakt die wichtigsten Informationen aus Politik, Wirtschaft und Wissen ab jetzt werktags immer um 6 Uhr in Ihrem Postfach.
Wann genau herrscht eigentlich Notlage? Wenn – wie jüngst im schweizerischen Blatten – der halbe Berg aufs Dorf kracht? Oder reicht schon ein drohender Gletscherabbruch, bei dem dank Frühwarnung fast alle fliehen können?
Die Rechtmäßigkeit von Zurückweisungen an deutschen Grenzen hängt an dieser Frage: Laut EU-Recht darf man Asylbewerber nicht abweisen, ohne zu klären, welcher EU-Staat für ihren Asylantrag zuständig sei. Es sei denn, es herrscht Notstand – also Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Aus Sicht der Berliner Verwaltungsrichter hat die Regierung dies nicht hinreichend dargelegt. Zeit, das nachzuholen.
Natürlich ist Deutschland nicht Haiti – unser Land funktioniert. Auf hohem Niveau. Auf den ersten Blick.
Nicht alles, was nicht klappt, hat mit Migration zu tun
Auf den zweiten: Überlastung allerorten. Deutschland hat den Zahlen des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge zufolge achtmal so viele Migranten (einschließlich Ukrainer) aufgenommen wie Italien – mit nur eineinhalb Mal so vielen Einwohnern. Und das zeigt sich in fast allen Bereichen des Gemeinwesens.
Offensichtlich hat nicht alles, was nicht klappt, mit Migration zu tun – im Gegenteil würde an vielen Stellen (Pflege, Gesundheit) ohne Einwanderung noch viel weniger funktionieren. Gleichzeitig belastet eine große Zahl (noch) nicht integrierter Leistungsbezieher das System spürbar.
Was ist eine „Notlage“?
Richtig: Es herrscht keine Turnhallenkrise wie 2015, und die Zahl der Asylanträge geht zurück. Doch Behörden und Gerichte versinken bereits in den alten. Und im ersten Quartal stieg die Zahl der Asylklagen und Eilverfahren vor den Verwaltungsgerichten nochmal um 67 Prozent. Auch das kommunale Rekord-Defizit von 25 Milliarden Euro und der Wohnungsmangel haben natürlich mit Flüchtlingszahlen zu tun.
Ob diese Dysfunktionalität juristisch als „Notlage“ reicht, ist unklar.
Doch wer reflexhaft, wie Linkspartei und Grüne, dem Innenminister „Rechtsbruch!“ entgegenschreit, macht es sich moralisch bequem. Mehr nicht. Fakt ist: Das europäische Asylsystem klemmt. Wer nach Deutschland einreist, bleibt in der Regel hier – auch ohne Anspruch darauf. Doch während die Ampel noch erklärte, was alles nicht geht, testet die Union immerhin, was denn ginge. Ausgang: ungewiss.
Die eigentliche Antwort: Europa
Egal, wie die Gerichtsverfahren ausgehen: Zurückweisungen sind keine Dauerlösung. Es gibt bereits heute nicht genug Personal für 24/7 Grenzüberwachung.
Die eigentliche Antwort liegt in Europa. Doch das ist kein Grund, national die Hände in den Schoß zu legen.
Oder sollte Dobrindt die Zurückweisungen stoppen? Schreiben sie uns
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