„Verheerende Folgen“: Warum die CSU wegen Ampel-Wahlrechtsreform aus dem Bundestag fliegen kann

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Die Wahlrechtsreform der Ampel wird in Karlsruhe verhandelt. Der Koalition droht eine Pleite. Die Auswirkungen der Entscheidung werden enorm sein.

Karlsruhe – Egal wie das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag, 25. 04., entscheiden wird, das Urteil verändert viel. Mit Spannung blicken die Parteien nach Karlsruhe, wo die Wahlrechtsreform, die die Ampel eingeführt hat und die bei der Wahl 2025 erstmals gelten soll, gekippt werden könnte. Ampel-Koalition oder CSU und Linke: Verlierer wird es in jedem Fall geben.

Die Wahlrechtsreform der Ampel landet vor dem Bundesverfassungsgericht

„Es könnte passieren, dass Abgeordnete in ihrem Wahlkreis direkt gewählt werden, trotzdem aber nicht ins Parlament einziehen“, sagt Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt auf Verfassungsrecht von der Universität Oldenburg zu unmittelbaren Auswirkungen des Gesetzes gegenüber IPPEN.MEDIA. Die Ampel hat die Wahlrechtsreform nach der Bundestagswahl 2021 auf den Weg gebracht, bei der 736 Abgeordnete ins Parlament eingezogen sind – so viele wie nie zuvor. Eine Entwicklung, die durch Ausgleichs- und Überhangsmandate von Wahl zu Wahl zunimmt und mehr Abgeordnete zur Folge hat.

Die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition wird in Karlsruhe verhandelt. Ist das neue Wahlrecht, unter dem CSU und Linken droht, aus dem Bundestag zu fliegen, verfassungswidrig?
Die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition wird in Karlsruhe verhandelt. Ist das neue Wahlrecht, unter dem CSU und Linken droht, aus dem Bundestag zu fliegen, verfassungswidrig? © IMAGO/Lorenz Huter

Alle Beteiligten sind sich darin einig, dass der Bundestag kleiner werden muss. Die Ampel-Reform sieht künftig 630 Abgeordnete vor, Parteien dürfen nur noch ins Parlament einziehen, wenn sie mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen erlangen. Neu ist, dass Direktmandate (durch Erststimmen) keine Garantie für einen Platz im Bundestag mehr sind. „Bisher kommen direkt gewählte Abgeordnete auf jeden Fall ins Parlament, unabhängig davon, ob ihre Partei die fünf-Prozent-Hürde bundesweit geschafft hat oder nicht. Diese Regel wird aufgehoben“, erklärt Boehme-Neßler.

Wahlrechtsreform hat „verheerende Folgen“ für CSU

„Das kann für die CSU verheerende Folgen haben. Denn ihre Abgeordneten gewinnen in der Regel fast alle Wahlkreise direkt“, so der Verfassungsrechtler. Wenn diese Direktmandate nicht mehr gelten, sondern nur noch die fünf-Prozent-Hürde, könnte es für die CSU knapp werden. Sie könnte künftig keinen einzigen Abgeordneten mehr nach Berlin schicken. „In einer Demokratie ist das kaum vorstellbar. Das ist einer der Gründe, warum die CSU hinter der Verfassungsklage steht“, sagt Boehme-Neßler.

Direkt beteiligt an dieser Verfassungsklage der CSU – die neben der Linken und etlichen Bürgerinnen und Bürgern Beschwerde in Karlsruhe einlegte – ist der Jurist und Professor für Öffentliches Recht an der Uni Würzburg, Kyrill-Alexander Schwarz. Schwarz ist der Meinung, die Ampel verstoße mit ihrem Wahlrecht gegen Prinzipien des Grundgesetzes und vermutet, dass die Ampel den Bundestag aus machtpolitischen Gründen anders zusammensetzen wolle. Denn neben der CSU würde wohl auch die Linke keine Abgeordneten mehr stellen, sollte die Reform in Karlsruhe Bestand haben. Sie solle demnach „der Sicherung der eigenen Macht dienen“.

Wahlrechtsreform der Ampel – werden Menschen von Demokratie ausgeschlossen?

Schwarz‘ Argument für die Klage ist, dass durch die Gefahr des Ausscheidens der CSU die demokratische Teilhabe der Menschen auf Bundesebene „massiv“ ausgeschlossen werde. „Das nunmehr beschlossene Wahlrecht führt dazu, dass die Direktwahl nur noch eine Vorauswahl darstellt“, sagt Schwarz zu IPPEN.MEDIA. „Dann aber entscheidet – entgegen einer Grundannahme des Demokratieprinzips – nicht mehr die Mehrheit, sondern der von anderen Faktoren abhängige Zweitstimmenanteil der Partei. Die Wahl mit der Erststimme ist dann keine Wahl mehr, sondern eine bloße Präferenzentscheidung“, so Schwarz.

Für Schwarz, der auf Seite der CSU-Klage steht, ist klar, wie Karlsruhe entscheiden sollte. „Dieses Wahlrecht führt zu einer massiven Schwächung des direktdemokratischen Elements der Wahl und erweist damit der Demokratie – gerade in herausfordernden Zeiten – einen Bärendienst. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht sich diesen Bedenken nicht verschließt.“

Unabhängiger Experte hält Wahlrechtsreform für „problematisch“

Und auch der unabhängige Verfassungsrechtler Boehme-Neßler hat Zweifel an der Zulässigkeit der Ampel-Reform: „Wichtig sind die Allgemeinheit und die Gleichheit der Wahl. Das bedeutet: Alle Bürger müssen wählen können, und alle Stimmen müssen den gleichen Wert haben. Vor diesem Hintergrund sind die geplanten Änderungen des Wahlrechts problematisch“, so der Oldenburger Professor. „Denn sie bedeuten, dass viele Wählerstimmen wertlos sein können.“

Zwar spricht sich auch Boehme-Neßler grundsätzlich für eine Reform des Wahlrechts aus, hält den Ampel-Entwurf wegen der wegfallenden Direktmandate aber für falsch: „Die konkrete Reform, die jetzt vor dem Verfassungsgericht angegriffen wird, halte ich für verfassungswidrig. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Demokratieprinzip der Verfassung.“ Deshalb kann sich der Staatsrechtler auch nicht vorstellen, „dass das Gericht in Karlsruhe die Reform in ihrer jetzigen Form absegnet.“

Verfassungsrechtler über Ampel-Reform: „Halte diese Regelung für dumm“

Boehme-Neßler geht weiter: „Auch unter politischen Gesichtspunkten halte ich diese Regelung für dumm: Sie entfremdet die Bürger weiter von der Politik. Sie verlieren weiter das Vertrauen in das politische System.“ Stattdessen spricht sich der Professor für unkompliziertere Wege aus, den Bundestag zu verkleinern – etwa durch die Reduzierung der Wahlkreise.

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