Kretschmer fällt vernichtendes Urteil: „Ampel ist schon abgewählt“
Sachens Ministerpräsident Kretschmer spricht im Merkur-Interview über die AfD, die Ampel-Koalition, Nawalnys Tod und Kreml-Chef Putin.
München – Er sei „Dead Man Walking“, also politisch ein lebender Toter, schrieb neulich ein Magazin über Michael Kretschmer. Ja, kaum einer in Deutschland hat einen so schwierigen Wahlkampf zu führen wie der CDU-Ministerpräsident aus Sachsen. Vor der Wahl (1. September) liegt die AfD in mehreren Umfragen vorn, es geht für die CDU um alles. Ist überhaupt noch eine Regierung ohne extreme Rechte oder Linke zu bilden? Der 48-Jährige, auch Bundesvize der Partei, muss derzeit in Sachsen eine ebenfalls nicht unkomplizierte Koalition mit SPD und Grünen führen. Wir haben ihn in München zum Interview getroffen.
Die AfD-Umfragewerte knicken ein. Die Trendwende dank der großen Demos gegen Rechtsextreme? Oder sind wir da verträumt?
Was wir bei den Demos erleben, ist ein großartiges Engagement der Mitte. Das tut uns allen, auch mir, sehr gut. Ich war in Görlitz, in meiner Heimatstadt, selbst dabei. Aber die Ursache des AfD-Aufstiegs ist nicht beseitigt. Nach wie vor ist ein großer Teil der Menschen enttäuscht, zweifelt an der Lösungskompetenz der Bundesregierung. Ich fürchte, diese Zahl nimmt angesichts der Politik der Bundesregierung sogar noch zu.
Die AfD wird auch angeknabbert von links, durch die neue Wagenknecht-Partei. Besorgt Sie diese Zersplitterung des Parteiensystems? Oder rettet das Ihren Job?
Wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind. Aber ich finde die Parallelen zur Zeit vor 100 Jahren erschreckend: die Zersplitterung, die Spaltung der Gesellschaft, die fehlende Kompromissfähigkeit der Politik. Eigentlich war es mal die Stärke der Bundesrepublik, Konflikte nicht auf die Spitze zu treiben, sondern sich zu einigen. Das müssen wir wiederfinden.
Wer ist aus Ihrer Sicht gefährlicher, schlimmer – die AfD oder die Wagenknecht-Linken?
In der AfD kommen zunehmend Rechtsextreme in Verantwortung, sie stellen die Mehrheit. Diese Radikalisierung – und nicht die Wähler – ist das große Problem. Bei der Wagenknecht-Partei müssen wir erst einmal sehen, ob sie überhaupt in Parlamente kommt.
Sie fordern Kompromisse. Hilft es da, wenn die Union sich im Bundesrat hart gegen alle Ampel-Pläne positioniert?
Ich rate meinen Freunden in der Union: Wir müssen kompromissbereit sein. Wir erwarten das aber auch von der Ampel. Und da fehlt es.
Meine news
Bayern will das Cannabis-Gesetz in den Vermittlungsausschuss des Bundesrats zwingen. Ziehen Sie da mit? Sie regieren mit SPD und Grünen...
Diese Cannabis-Legalisierung muss unter allen Umständen verhindert werden. Das Gesetz ist falsch und schlecht, die gesundheitlichen Folgen sind dramatisch. Ich habe eine grüne, sehr liberale Justizministerin in Sachsen. Sie sagt genau das in größter Klarheit öffentlich.
Der zweite größte Zoff-Punkt im Bundesrat ist das Wachstumschancen-Gesetz. Ist es falsch, das sachfremd an den Agrardiesel zu koppeln, wie es die Union macht?
Das Gesetz wird nicht die großen Probleme lösen, die sind viel gewaltiger. Und hausgemacht. Zusätzliches Wachstum werden wir nur mit mehr Freiheit schaffen – also besser weniger Gesetze, weg mit Unfug wie dem Lieferkettengesetz, dem strengen Arbeitszeitgesetz oder den Fehlanreizen des Bürgergelds. Wir brauchen Dynamik. Über das Wachstumschancengesetz haben wir mit der Bundesregierung stundenlang verhandelt, immer wieder Kompromisse im Sinn der Bauern angeboten. Am Ende, tief in der Nacht, ist die Bundesregierung aufgestanden und gegangen. Genau dieser Politikstil führt zu Unverständnis und Stillstand, genau deshalb ist diese Ampel so in der Kritik.
Bricht die Koalition vor Herbst 2025 auseinander?
Diese Bundesregierung ist abgewählt, bereits jetzt, aber wohl noch bis Ende kommenden Jahres im Amt.
Wäre die Union sortiert für eine Regierungsübernahme? Mit wem?
Ja. Man weiß heute, woran man ist bei der Union. Keiner muss zum Beispiel mehr fragen, wie unser Kurs in der Asylpolitik ist. Das ist das Verdienst von Friedrich Merz.
Ihr Kanzlerkandidat?
Niemand wird in Zweifel ziehen, dass er als Oppositionsführer über Jahre eine sehr gute Arbeit gemacht hat. Er hat den ersten Zugriff. Am Ende werden es Friedrich Merz und Markus Söder gemeinsam entscheiden, und ich würde denken, es kommt Merz dabei heraus.
Sie warben immer für einen Dialog mit Russland. Hat der Fall Nawalny – Ermordung, Tod – Ihre Position zu Russland verändert?
Bis auf ganz wenige in der AfD oder der Wagenknecht-Partei sagen alle: Russland ist der Aggressor, es ist eine Bedrohung für die Ukraine und für uns in Europa. Der Fall Nawalny belegt: Dieses Regime in Russland ist brachial, rücksichtslos – ein Land überfallen, Menschen töten, Kinder verschleppen. Aber ich mache es mir aber nicht so leicht wie diese Bundesaußenministerin, die erklärt, Russland wolle nicht verhandeln, also verhandeln wir nicht. Das ist falsch. Wir werden Russland nicht militärisch in die Knie zwingen. Also müssen wir diesen Krieg mit anderen Mitteln anhalten. Dazu brauchen wir China, die Brics-Staaten und eben Gespräche.
Wir müssen „kriegstüchtig“ werden, sagt der Verteidigungsminister. Hat er recht?
Ich war bei der Formulierung sehr alarmiert. Deutschland soll Krieg führen? Das kann ja wohl nicht gemeint sein! Ich sage: Wir müssen verteidigungsbereit und stark sein! Dafür müssen wir in unsere Sicherheit investieren. Das braucht einen Konsens in der Gesellschaft und um den zu erreichen ist sind eine angemessene Wortwahl und kluge Argumente wichtig. Zentrale Voraussetzung ist unsere wirtschaftliche Stärke. Deshalb ist es auch so gefährlich, dass diese Bundesregierung Deutschland ökonomisch so schwächt.
Zwei Briefe von Ihnen an Putin aus den Jahren 2019 und 2021 machen aktuell Schlagzeilen. War Ihr Ton zu unterwürfig?
Nein. Die Briefe waren die Antwort nach zwei Terminen, die ich vor dem Krieg mit Putin hatte. Wenige Menschen wurden damals zu ihm vorgelassen. Jeder, der es wissen will, kann nachlesen: In diesen Gesprächen habe ich alle kritischen Punkte, damals auch die Versorgung von Nawalny, klar angesprochen. (Interview: Christian Deutschländer, Marcus Mäckler)