Nach Höcke-Urteil und AfD-Prozess – Ex-Innenminister appelliert an Faeser: „Werden Sie endlich tätig“

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Bei einer Runde zum Thema 75 Jahre Grundgesetz warnt FDP-Politiker Gerhart Baum: „Es riecht nach Krieg.“ Doch es gebe ein Mittel dagegen.

Berlin – Der Prachtbau am Berliner Kleistpark in Schöneberg lädt zu Pathos geradezu ein – erst recht, wenn es um das Jubiläum des Grundgesetzes geht, das in einigen Tagen 75 Jahre alt wird. Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg hatte am Dienstagabend (14. Mai) zur Podiumsdiskussion ins Kammergericht mit seinen eindrucksvollen lichtdurchfluteten Säulenhallen geladen.

Politprominenz debattierte dort die Frage: Wie wehrhaft ist unsere Demokratie? Und das ausgerechnet in dem Plenarsaal, in dem 1944 der NS-Volksgerichtshof Widerständler zum Tode verurteilt hatte. „Nicht alle Tage passen das Thema und der Ort einer Ansprache im Sinne eines schreienden Kontrastes so zusammen wie heute“, sagte Badenberg bei ihrer Eröffnungsrede.

AfD-Prozess und Höcke-Urteil: „Es geht nicht um ein bisschen bräunliche Deko“

Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg.
Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg. © Peter Sieben

Und schlug den Bogen zum Hier und Jetzt: „Die Gegner der Demokratie sind nicht mehr die Ewiggestrigen, es sind Verfassungsfeinde und Völkische.“ Es gehe nicht „um ein bisschen bräunliche Deko“. Aus den Reden von AfD-Politikern wie Björn Höcke oder Maximilian Krah „dringt der Sound der NS-Demagogie“, sagte Badenberg. „Auch, wenn Herr Höcke als Geschichtslehrer vor Gericht gern etwas anderes behauptet, das ist kein Versehen, das ist Absicht.“ So sah es zuletzt auch das Landgericht Halle, das Björn Höcke – ebenfalls am Dienstagabend – wegen der Nutzung der SA-Parole „Alles für Deutschland“ zu einer Geldstrafe verurteilt hatte.

Es war die zweite Niederlage vor Gericht innerhalb kurzer Zeit für die Partei und ihre Funktionäre. Wenige Tage zuvor hatte das OVG Münster entschieden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als „rechtsextremen Verdachtsfall“ einstufen und nachrichtendienstlich beobachten darf. Amtschef Thomas Haldenwang, der im Kammergericht dabei war, sprach angesichts des Münster-Urteils von einem „guten Tag für die Demokratie“. Aber: „Alle Demokraten müssen zusammenstehen. Der Rechtsextremismus ist nur eine von vielen Bedrohungen. Die Bundesrepublik stand noch nie vor einer so großen Herausforderung.“ Und Gastredner Wolfgang Bosbach, der als CDU-Innenexperte viele Jahre lang Bundestagsabgeordneter war, machte deutlich: „Unser Grundgesetz hat die implizite Überschrift ‚Nie Wieder‘. Aber was macht uns so sicher, dass das so bleibt?“

AfD bereitet Gerhart Baum Sorgen: „Das ist ja keine Machtübernahme, das ist ein schleichender Prozess“

Einer, der die Zeit vor dem „Nie Wieder“ selbst miterlebt hat, ist Gerhart Baum. Der 91-Jährige dominierte die Podiumsdiskussion mit einer Dringlichkeit dessen, der eine wichtige Botschaft überbringen muss, bevor es zu spät ist. Baum war in den 70er und 80er Jahren unter Helmut Schmidt Bundesinnenminister, ist der vielleicht wichtigste Vertreter des sozialliberalen Flügels der FDP, der er seit den 1950er Jahren angehört. Damals habe er vehement die Nazis bekämpft, die es immer noch in vielen Bereichen der Gesellschaft gegeben habe: „Die waren alle noch da, in den Schulen und auch in der FDP.“ Jetzt beobachte er, dass die Ideologie von einst „in die Gesellschaft einsickert“: „Das ist ja keine Machtübernahme, das ist ein schleichender Prozess.“

Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum
Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) bei einer Podiumsdiskussion in Berlin: Der 91-Jährige warnte vor einem Aufkeimen rechtsextremen Gedankenguts. © Peter Sieben

OVG-Urteil im AfD-Prozess bestätigt „Frühwarnsystem“ Verfassungsschutz

Das aktuelle OVG-Urteil zugunsten des BfV habe jetzt „die Notwendigkeit des Frühwarnsystems Verfassungsschutz eindrucksvoll bestätigt“, sagte Baum in Richtung Haldenwang. Der wollte sich nicht konkret dazu äußern, ob sein Amt die gesamte AfD demnächst als „gesichert rechtsextrem“ einstuft, wie in Sicherheitskreisen erwartet wird. Dafür stand die Frage nach einem Parteiverbot im Raum.

Irene Mihalic, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte auf dem Podium: „Solange sich die antragsberechtigten Verfassungsorgane in einer solchen Frage politisch noch nicht einig sind, halte ich es für kontraproduktiv, über ein Parteienverbot zu spekulieren.“ Man müsse die AfD inhaltlich stellen. Auch Gastgeberin Badenberg, die im Interview mit unserer Redaktion kürzlich vor der Gefahr der „Neuen Rechten“ gewarnt hatte, hält nicht viel von einem Parteiverbot. Die AfD sei angesichts ihrer Umfragewerte „too big to ban“: „Eine Unterscheidung zwischen Braunen und Blauen, also zwischen echten Neonazis und Protestlern, wäre dann unmöglich.“

Ex-FDP-Innenminister warnt von AfD – und Trump: „Es riecht nach Krieg in der Welt“

Anders sieht das Baum. „Im Artikel 9 des Grundgesetzes steht, Vereine, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, sind verboten“, argumentierte er. Es gebe zahlreiche Vorfeldorganisationen der AfD und der „Neuen Rechten“, die man schon jetzt verbieten könne. „Das ist möglich, da brauchen Sie keine Sache wie ein Parteiverbot“, sagte Ex-Innenminister Baum. Er appellierte an die jetzige Innenministerin: „Frau Faeser, werden Sie jetzt tätig. Setzen Sie ein Zeichen.“

Aber nicht nur die Politik sei in der Verantwortung. „Das einzige, was zählt, ist, dass jeder von uns für die Demokratie kämpft. Auch im Alltag, jederzeit.“ Es sei höchste Zeit für ein solches Signal, mahnte Baum, denn weltweit gebe es Anzeichen aufkeimender Extremismen: „Wenn Trump gewählt wird, werden wir unser blaues Wunder erleben. Es riecht nach Krieg in der Welt.“

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