Putins chemische Kriegstaktik: Unbekannte Gasstöße an der Front im Ukraine-Krieg
Russland startet im Ukraine-Krieg verbotene Gasangriffe an der Front. Die Ukraine kann die Stoffe nicht identifizieren – wegen fehlender Ausrüstung.
Kiew – Russland soll im Ukraine-Krieg auf eine illegale Kriegsmethode zurückgreifen. Russische Truppen hätten chemische Kampfstoffe eingesetzt, um Panik unter den ukrainischen Streitkräften zu säen. Dabei handle es sich um eine psychologische Operation von Wladimir Putins Streitkräften, erklärte Artem Vlasiuk gegenüber Kyiv Independent. Er ist zuständig für Strahlenschutz, Chemie und Biologische Verteidigung.
Russlands Drohnen würden Gasgranaten in ukrainische Unterstände und Schützengräben werfen, um ukrainische Soldaten aus der Reserve zu locken. Ukrainische Soldaten würden dann vor den Chemikalien auf das offene Feld fliehen – wo sie leicht Opfer für Drohnen- und Artillerieangriffe werden.
Ein großes Problem sei laut Vlasiuk, dass die Ukraine derzeit nicht in der Lage sei, den Großteil der verbotenen Gase, die von Russland an der Front eingesetzt werden, zu identifizieren. Von den 323 registrierten Fällen russischer Chemiewaffenangriffe im Oktober seien bis auf 15 Vorfälle fast alle „nicht identifiziert“ gewesen (Stand 28. Oktober). Das liege vor allem an dem Einsatz neuer Gasarten und an fehlender Detektortechnologie.
Kiew brauche hunderte hochwertige und komplexe Detektoren, um festzustellen, welche Gase, in welchen Mengen und wo einsetzt werden. Die Geräte kosten jeweils 100.000 bis 600.000 Dollar. Zusätzlich bedürfe es an weiteren einfache Geräten, die bereits von der Ukraine eingesetzt werden. Diese sollen feststellen, ob es sich um „gefährliche Chemikalien“ handele, sagte Vlasiuk weiter.

„Chemiewaffen in großem Maße“: 30 Prozent der ukrainischen Fronttruppen sind Opfer
Seit Kriegsbeginn soll die Ukraine 4.600 Fälle von russischen Gasangriffen auf dem Schlachtfeld dokumentiert haben. Vlasiuk erklärte, dass bisher identifizierte Gase CS- und CN-Tränengas sowie Ammoniak und Chlorpikrin umfassen. Er wies darauf hin, dass möglicherweise noch weitere unentdeckt geblieben seien.
„Die russischen Streitkräfte setzen Chemiewaffen in großem Maße ein“, sagte Hamish de Bretton-Gordon, ehemaliger Kommandeur des britischen chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Regiment gegenüber Kyiv Independent. Er schätzte, dass 30 Prozent der ukrainischen Fronttruppen Opfer von Chemiewaffenangriffen geworden seien.
Russland setzt Tränengas ein: Ukrainische Soldaten an der Front leiden unter Gasangriffen
Aktuell konzentriere Russland den Einsatz von Chemikalien auf die hart umkämpften Frontabschnitte, so Vlasiuk. Betroffen seien unter anderem die Knotenpunkte Pokrowsk, Tschassiw Jar und Kupjansk. Mehrere Soldaten hatten dem Onlinemedium berichtet, dass auch in der Oblast Kursk ukrainische Stellungen unter Gasangriffen gelitten haben.
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Der Einsatz chemischer Substanzen, einschließlich Tränengas – auch wenn es keine tödliche Wirkung hat – auf dem Schlachtfeld verstößt gegen die Chemiewaffenkonvention von 1993. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), eine UN-Aufsichtsbehörde, betont, dass Tränengas „als chemische Waffe gilt, wenn es zu Kriegszwecken eingesetzt wird“.
Chemiewaffen im Ukraine-Krieg: USA und Großbritannien verhängen Sanktionen gegen russische Soldaten
Russland und die Ukraine haben sich im Ukraine-Krieg gegenseitig vorgeworfen, Chemiewaffen einzusetzen. Im Oktober hat Großbritannien dann Sanktionen gegen russische Soldaten verhängt, berichtete BBC. Außenminister David Lammy sagte, Großbritannien werde „nicht tatenlos zusehen, wie Putin und sein Mafiastaat das Völkerrecht, darunter auch die Chemiewaffenkonvention, mit Füßen treten.“
Zuvor hatte auch das US-Außenministerium dem Kreml vorgeworfen, in der Ukraine Chemiewaffen als „Methode der Kriegsführung“ einzusetzen, berichtete Reuters. Dabei ging es um den Einsatz des Würgemittels Chlorpikrin. Laut dem US-amerikanischen Center for Disease Control (CDC) reizt es die Lunge, die Augen und die Haut und kann Erbrechen, Übelkeit und Durchfall verursachen.
Trotzdem sei es weiterhin schwierig, die russischen Gasangriffe an der Front zu beweisen. „Es ist sowohl für unsere Truppen als auch für die Ukraine insgesamt gefährlich, da sie auf internationaler Ebene nichts beweisen kann“, sagte Vlasiuk. Das liege am Mangel an Ausrüstung. Er plädiert für mehr Detektoren – Sanktionen würden nicht reichen. (hk)