Italien macht Bürgergeld rückgängig: Was Deutschland daraus lernen kann
Bekämpft der Sozialstaat tatsächlich Armut? Wie aktuelle Zahlen aus Italien und auch Deutschland zeigen, ist dies nicht der Fall.
Seit der Einführung des Bürgergeldes in Italien wächst die Armut dort stetig weiter. Laut aktuellen Messungen der Statistikbehörde Istat ist die Anzahl der armen Menschen in Italien im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch von knapp zehn Prozent gestiegen. Und das, obwohl die Regierung rund um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) einschneidende Sozialreformen umgesetzt hat und die Wirtschaft wächst. Die Entscheidungen über das 2019 eingeführte Bürgergeld „Reddito di cittadinanza“ wurden zu schnell und zu undurchdacht getroffen, kritisieren Experten nun.
So sollen den Datensammlungen zufolge tatsächlich armutsgefährdete Menschen in Italien keine Unterstützung erhalten haben. Denn als Bedingung für den Erhalt mussten Personen zuvor zehn Jahre oder zwei Jahre ohne Unterbrechung in dem Land gelebt haben. Bedürftige Migranten hatten somit keinen Anspruch auf die Sicherung: „Armut ist in Italien ist besonders stark konzentriert unter Migranten und Menschen, die nicht in Italien geboren wurden.“, so Stefano Scarpetta, Leiter der Abteilung für Beschäftigung, Arbeit und Soziales bei der OECD, gegenüber Welt.
Italienisches Bürgergeld wegen falscher Zielrichtung und fehlenden Anreizen in der Kritik
Von den italienischen Bürgergeldreformen profitierten vor allem Einzelpersonen. Alleinstehende Menschen erhielten 6.000 Euro im Jahr, wobei zwei oder mehr Erwachsende mit vier oder mehr Kindern nur 12.600 Euro empfingen. Auch in Italien zeichnet sich ein klarer demografischer Trend hin zu einer alternden Bevölkerung ab, so dass auch dort der Generationenvertrag bröckelt.
Ebenso bestanden keine Anreize dazu, sich eine bezahlte Anstellung zu suchen. Der Abstand zwischen den Löhnen und der Sozialleistung sei dazu zu gering ausgefallen. „Das Bürgergeld hat Empfänger häufig davon abgehalten, eine formale Beschäftigung zu suchen“, sagte Scarpetta. „Viele dürften schwarzgearbeitet haben“, schlussfolgert er. Italien setzt seit Ende des Jahres 2022 den schrittweisen Abbau der Reform durch. Mitunter soll allen arbeitsfähigen Menschen die Grundsicherung gestrichen werden.
Deutsches Bürgergeld: Arbeit lohnt sich nicht immer
Die Probleme im EU-Staat des Südens geben Experten hierzulande Diskussionsstoff. Seit dem 1. Januar 2024 haben sich die Regelsätze für das Bürgergeld in Deutschland nochmals um zwölf Prozent erhöht. So erhalten Alleinstehende 563 Euro zusätzlich zu Kosten der Unterkunft, also Miete, Nebenkosten und Heizung, wenn diese angemessen sind. Bei einer vierköpfigen Familie kann der Regelbedarf sich zwischen 1726 Euro bis 1954 Euro monatlich bewegen.
Und auch in Deutschland kam die Frage auf, ob sich Arbeit im Niedriglohnsektor dann eigentlich noch lohnt. So erhielten sogenannte Totalverweigerer weiterhin Geld vom Staat. Die CDU plant hierzu umfassende Reformen, darunter auch die Umbenennung des Bürgergeldes in „Neue Grundsicherung“. Nach dem Entwurf würden mitunter Leistungen für Totalverweigerer gestrichen.
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Berechnungen von Focus Online ergaben, dass sich Arbeit in einem Niedriglohnjob hierzulande dennoch lohnt. So kommen Singles mit dem geringsten Unterschied von 317 Euro, Alleinerziehenden mit einem Kind mit 576 Euro, Familien mit 1260 Euro und bei kinderlose Paare mit 1740 Euro besser davon.
Die Berechnungen zeigten allerdings auch, dass sich die Unterschiede zwischen Lohn und Bürgergeld bei Mindestlohnempfängern verschieben. Demnach fällt bei Alleinerziehenden mit einem Kind ein leichtes Plus von 41 Euro im Monat an. Singles verdienen mit 227 Euro mehr und kinderlose Paare bekommen 1079 Euro mehr als beim Bürgergeld. Eine vierköpfige Familie macht dagegen Einbußen von 1220 Euro, wenn diese Mindestlohn erhalten.
Trotz erfahrenem Sozialstaat ist die Armut in Deutschland weiterhin auf hohem Niveau
Der jüngste Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zeigt, dass die Armut in Deutschland im Jahr 2022 weiterhin auf hohem Niveau war. So galten im Jahr 2022 14 Millionen Menschen als arm. Gruppen der Alleinerziehenden und Haushalte mit drei oder mehr Kindern sind demnach „einkommensarm“. Zudem seien Erwerbslose, Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sowie jene mit Migrationshintergrund sowie Frauen öfter als Männer überproportional betroffen.
Als „arm“ gelten der Auswertung zufolge Menschen, die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung liegen. Für einen kinderlosen Haushalt einer alleinstehenden Person liegt die Grenze hier bei 1.186 Euro monatlich. Bei Alleinerziehenden mit einem Kind unter 14 Jahre beträgt der Wert 1.542 Euro.
Die Menschen, die am stärksten auf Sozialleistungen angewiesen sind, haben auch in Deutschland größten Teils Migrationshintergrund. So zeigen aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) dass 62,8 Prozent der Leistungsberechtigten des Bürgerfeldes einen Migrationshintergrund haben. Von den 3,9 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sind dies somit 2,5 Millionen. Dabei stellte man allerdings fest, dass 1,8 Millionen Ausländer unter ihnen sind – also keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.