Armut in Deutschland: Negativtrend ist vorerst gestoppt - trotzdem bleibt Armutsquote „auf sehr hohem Niveau“

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Eine Frau auf Pfandsuche: Die Armut in Deutschland hat vorerst nicht weiter zugenommen. © Sebastian Kahnert / dpa

Der Negativtrend ist vorerst gestoppt: Die Armutsquote ging 2022 sogar etwas zurück. Grund zur übermäßigen Freude ist das laut Verbänden und Experten nicht: Sie fordern konkrete Maßnahmen der Politik.

Berlin - Der Trend zu steigender Armut in Deutschland hat sich 2022 nicht weiter fortgesetzt. Die Armutsquote ging allerdings nur leicht um 0,1 Punkte auf 16,8 Prozent zurück, wie der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, am Dienstag in Berlin sagte. „Die Armut in Deutschland ist auch 2022 auf sehr hohem Niveau verblieben.“ Neuere Daten liegen noch nicht vor. Schneider verwies auf den langfristig schlechten Trend. 14,2 Millionen Menschen in Deutschland seien von Armut betroffen. Im Vergleich zu 2019 - also vor der Corona-Pandemie und der jüngsten Zeit hoher Inflation - sei dies eine Million mehr. Gegenüber 2006, als der Trend zu mehr Armut einsetzte, seien es sogar 2,7 Millionen mehr.

Arbeitslose, Ausländer, Alleinerziehende: Wer besonders von Armut bedroht ist

Wie aus dem Bericht zur Armutsentwicklung weiter hervorgeht, sind vor allem kinderreiche Familien, Alleinerziehende, Erwerbslose und Ausländer stark betroffen. Bei der Armut von Kindern und Jugendlichen gibt es Schneider zufolge mit einer Quote von 21,8 Prozent einen Negativ-Rekord. Bei Alleinerziehenden seien sogar 43,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Armut betroffen. Das Deutsche Kinderhilfswerk forderte eine „echte Kindergrundsicherung, die sich an den tatsächlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientiert“. Mit der Kindergrundsicherung will Familienministerin Lisa Paus mehrere staatliche Leistungen vom Kindergeld über das Bürgergeld bis hin zum Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien bündeln und zum Teil ausweiten. Eingeführt werden soll es 2025.

Bayern hat unter den Bundesländern mit 12,6 Prozent die geringste Armutsquote, gefolgt von Baden-Württemberg und Brandenburg. „Deutschland driftet regional auseinander“, sagte Schneider. Am schlechtesten schneidet Bremen mit einer Quote von 29,1 Prozent ab. Weit hinten liegt auch Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland. Das Ruhrgebiet sei die „Armutsregion Nummer eins“, so Schneider. Berlin habe sich vom 15. auf den sechsten Rang verbessert. Hamburg sei dagegen vom achten auf den 14. Platz der 16 Bundesländer zurückgefallen.

Scharfe Kritik an Lindner

Die Forderung von Finanzminister Christian Lindner, drei Jahre keine zusätzlichen Sozialleistungen zu beschließen, bezeichnete Schneider als selbstzerstörerisch und unverantwortlich. Er forderte stattdessen ein Klimageld sowie eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro. Laut Schneider müssen zudem die Schuldenbremse reformiert werden und zusätzliche Ausgaben in den Bildungs- und Sozialbereich fließen.

Singles mit weniger als 1.186 Euro verfügbarem Einkommen gelten als arm. Bei Familien werden höhere Beträge angesetzt, die in der Regel aber nicht weit von den Sätzen für Sozialhilfe entfernt sind. Bei Paaren mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt die Armutsschwelle bei 2.490 Euro.

Der Normenkontrollrat - ein unabhängiges Expertengremium der Bundesregierung - forderte in einem ebenfalls am Dienstag veröffentlichten Gutachten einfachere Strukturen, um leichter an Sozialleistungen zu kommen. Das System sei zu bürokratisch, weshalb Leistungen oft nicht bei Betroffenen ankommen würden. (reuters, lf)

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