„Keine Geldzahlungen“: Ökonom Raffelhüschen fordert massive Bürgergeld-Reform
Die Bürgergeld-Erhöhung zu Jahresbeginn hat viele Kritiker auf den Plan gerufen. Ökonom Bernd Raffelhüschen fordert sogar eine radikale Reform der Reform.
München – Seit Januar vergangenen Jahres ersetzt das Bürgergeld das frühere Hartz IV – doch schon fordern einige Politiker wie auch Ökonomen wieder eine Reform der Reform. Auch die Union bringt sich in Stellung – erst kürzlich kündigte CDU-Spitzenpolitiker Carsten Linnemann an, seine Partei wolle die Regeln für das Bürgergeld künftig verschärfen: „Wenn wir an der Regierung sind, werden wir als erstes großes Reformpaket das Bürgergeld in der jetzigen Form abschaffen“. In diesem Zusammenhang forderte der CDU-Generalsekretär auch, Sanktionen zu verschärfen.
Wer sich weigere, zu arbeiten, sollte mit harten Sanktionen rechnen müssen, so Linnemann. Letztlich solle das dazu führen, dass man sich in der Auszahlung des Bürgergeldes „wieder auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren“ kann. Ökonom Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg hält den Vorstoß Linnemanns im Focus-Interview für einen richtigen Ansatz. Er äußert aber auch Zweifel am Vorschlag des CDU-Generalsekretärs.
Bürgergeld: Raffelhüschen fordert Rückkehr zum „Prinzip des Förderns und Forderns“
Während die Hartz-Reformen der Regierung Schröder ab 2003 den Arbeitsmarkt reformierten, sei dieser Aspekt mit der Reform des Bürgergelds im vergangenen Jahr deutlich in den Hintergrund getreten. „Es ist eine Art Recht auf Einkommen geworden, zumindest von der Richtung her. Deshalb ist völlig richtig, was Carsten Linnemann ankündigt“, führt Raffelhüschen aus.
„Es ist vernünftig, die Bürgergeld-Reformen wieder zurückzuführen auf das Prinzip des Förderns und Forderns. Das hatte ja die Hartz-Reform gemacht“, erklärte Raffelhüschen im Interview mit dem Focus. Dem Ökonomen zufolge muss Deutschland zurück zum Prinzip des sogenannten subsidiären Sozialstaats. „Das bedeutet: Der Sozialstaat ist dafür da, dem zu helfen, der sich selbst nicht helfen kann“, erklärt der Freiburger Ökonom. Der deutsche Sozialstaat dagegen gehe gegenwärtig von der Grundannahme aus, „dass jeder Mensch etwas kann“.
Und dass Sozialhilfe nur das beitragen soll, was der einzelne selbst nicht zu leisten imstande ist. „Das heißt: Die Aufstockung der Sozialhilfe ist eigentlich, was wir in unserem Sozialstaat als Normalfall haben sollten. Nach dem Prinzip: Jeder Mensch kann etwas, und das, was er kann, soll er tun. Und wenn es nicht reicht, stocken wir ihn auf“, sagt Raffelhüschen.

Raffelhüschen fordert sogenannte aktivierende Sozialhilfe
Allerdings räumt Raffelhüschen auch ein, es gebe einen Aspekt innerhalb des Vorschlags seitens der CDU, der ihm selbst nicht weit genug geht. Der Freiburger Ökonom fordert eine Art der Sozialhilfe, die zu mehr Arbeit motivieren soll.
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„Wir brauchen primär keine Sanktionen für Totalverweigerer. Wichtiger ist, dass wir den Bürgern sagen: Wenn du aus der Grundsicherung raus gehst und etwas tust – was ja jeder kann –, dann helfen wir dir. Dann geben wir etwas dafür, dass du selbst was tust“, betont Raffelhüschen im Focus.
Aktuell vertraue man in Deutschland noch immer auf ein Prinzip der Sozialhilfe, die für den Fall, dass jemand etwas tut, „die Hilfe zur Selbsthilfe bestraft“. Motivation zu mehr Arbeit, so Raffelhüschen, kann allerdings in Form einer aktivierenden Sozialhilfe geschehen. Denen, die sich nicht an diese Regeln halten, müsse man mit Mut entgegentreten und sagen: „Sozialhilfe für die, die nichts tun, muss eine Sachleistung sein“, betont der Ökonom.
Raffelhüschen hegt wenig Hoffnung, dass seine Vorschläge realisiert werden
„Ich habe das vor Jahrzehnten mal als Freiburger Blaupause veröffentlicht: Die aktivierende Sozialhilfe führt dazu, dass jemand einen Minijob annimmt und sich selbst hilft. Weil der Minijob nicht auskömmlich ist, müssen wir ihm immer noch Geld geben. Aber dafür, dass er den Minijob macht“, führt der Ökonom beispielhaft aus.
Was aber fordert der Wirtschaftswissenschaftler bezüglich der aktuell bestehenden Bürgergeld-Beträge? Wie steht er zu ihrer Erhöhung, und wie ließen sich die bestehenden Bürgergeld-Regelungen gegebenenfalls ändern?
Auch in diesen Fragen folgt Raffelhüschen einem ähnlichen Ansatz wie dem, den bereits CDU-Generalsekretär Linnemann dargelegt hatte. So sollte man denen, die keiner Arbeit nachgehen und diese womöglich verweigern, sagen: „Du bekommst ein Existenzminimum – vielleicht die Hälfte von dem, was es heute gibt –, aber du bekommst es als Gutschein. Also keine Geldzahlungen“, führt der Freiburger Ökonom aus.
Die Chancen für eine Realisierung dieser Ansätze sieht Raffelhüschen allerdings „gleich null“. Vor allem, weil er diese schon vor mehr als 25 Jahren im Rahmen der sogenannten Freiburger Blaupause vorgeschlagen hatte.
Was hindert die Politik daran, Kürzungen beim Bürgergelds vorzunehmen?
Doch so einfach lassen sich solche Vorschläge auch gar nicht durchsetzen: Unterm Strich bleibt den politischen Akteuren in Deutschland nämlich kaum Spielraum, Kürzungen des Bürgergelds vorzunehmen. „Die Politik hat wenig Einfluss darauf“, sagte etwa Verfassungsrechtler Prof. Joachim Wieland in einem Interview mit dem ZDF. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht sehr genaue Vorgaben für die Sicherung des Existenzminimums angeordnet.
Diese Vorgaben gehen zurück auf die Einhaltung „der Menschenwürde, die jedem garantiert in Deutschland, dass er nicht hungern muss, nicht frieren muss und ein Dach über dem Kopf hat“, fügt Wieland hinzu. Sicherlich sei es möglich, grundlegend kleinere Änderungen in den Bürgergeld-Statuten zu ändern. „Aber grundsätzlich eignet sich das Bürgergeld aufgrund der Vorgaben der Verfassung und des Bundesverfassungsgerichts kaum dazu, viel Geld einzusparen“, betont der Verfassungsrechtler. (Fabian Hartmann)