„Deswegen passiert alles im Stillen“: Beraterin gibt Einblick in Ukraine-Gespräche hinter Putin und Selenskyj
Sind echte Verhandlungen mit Putins Russland im Ukraine-Krieg denkbar? Es wird wohl dauern – aber Bemühungen laufen bereits, sagt eine Expertin IPPEN.MEDIA.
Lautstark gesprochen wird im Ukraine-Krieg ohne Unterlass. Und oberflächlich betrachtet gleichen sich die Äußerungen seit langen Monaten: Am Sonntag (23. Juni) forderte Wolodymyr Selenskyj einmal mehr Waffen mit größerer Reichweite zur Verteidigung gegen Russlands Angriff. Dmitri Medwedew erhob unterdessen Vorwürfe gegen die Vereinigten Staaten und den Westen – ungeachtet der Tatsache, dass der Kreml selbst den Krieg begonnen hat.
Gespräche über Frieden oder Waffenruhe scheinen insofern sehr weit weg. Tatsächlich laufen hinter den Kulissen aber bereits Bemühungen „vieler Akteure“: Das sagt Anne Holper im Interview mit IPPEN.MEDIA. Die Konfliktforscherin der Uni Viadrina in Frankfurt (Oder) beschäftigt sich seit 2014 mit dem Ukraine-Konflikt und berät auch das Auswärtige Amt. Holper kann sich jedenfalls auf längere Sicht Verhandlungen vorstellen – obwohl Russland aus ihrer Sicht aktuell bestenfalls Schein-Gesprächsbereitschaft zeigt und eine Weichenstellung auf dem Schlachtfeld hin zu Verhandlungen fraglich scheint.
Ukraine-Verhandlungen „im Stillen“: „Da würde man eher Gegenwind bekommen“
Einige „Steigbügel“ für die Diplomatie seien im Abschlusskommuniqué des Schweizer Friedensgipfels eingebaut, sagt Holper. Etwa für eine weitere Konferenz (in) der Schweiz, dann womöglich mit Russland oder zumindest China am Tisch. Oder auch für Peking – das „eine Art Ping-Pong-Spiel“ auf diplomatischer Ebene annehmen könnte. Also Ergebnisse der Ukraine-Unterstützer aufgreifen und in einer weiteren, eigenen Runde beantworten.

„Das würde bedeuten, dass Peking nicht gegen den Schweizer Prozess und die dort geschmiedete Allianz arbeitet“, betont Holper, sondern „den Ball aufnimmt“ und die fehlende Perspektive der Gegenseite ergänzt. „In diesem Reißverschlussprinzip muss man vielleicht noch ein paar Mal hin und her gehen, aber dann könnte irgendwann ein gemeinsamer Rahmen gefunden werden“, meint die Konfliktforscherin. Wenn sich die westlichen Allianzen auf respektvolle Weise mit China und den weiteren verbündeten BRICS-Staaten – etwa Indien, Brasilien und Südafrika – koordinieren, könne auf Sicht sogar „Russland unter für alle akzeptablen Bedingungen an Bord“ kommen. Wenn auch erst nach „vielen kleinen Schritten“ und „Weggabelungen“.
Holper hat allerdings auch eine Warnung parat: Gegen solche Bemühungen solle nicht „reflexhaft“ gegengeredet werden – sondern ein „Zusammengreifen dieser verschiedenen Prozesse überlegt werden“. Voreilig zusammenführen müsse man sie eh nicht, „da würde man eher Gegenwind bekommen“, meint die Forscherin. Dieser Gegenwind sei auch der Grund, warum laufende Bemühungen im Stillen ablaufen. Obwohl es sie bereits gebe.
Ukraine, Russland und die Diplomatie im Krieg: Was jetzt schon an Gesprächen läuft
Staaten seien ebenso wie Einzelpersonen bereits aktiv – „die sich aber, gerade weil das so ein sensibles Geschäft ist, mit diesen Aktivitäten nicht sichtbar hervortun“. „Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Deutschland würde diese Rolle übernehmen, vielleicht sogar schon jetzt ausfüllen und es würde bekannt werden. Dann würde eine Debatte hochkochen“, sagt Holper. „Kein Staat kann wirksam Vermittlungsarbeit machen, wenn eine innenpolitische Rollendebatte den eigenen Rückhalt auffrisst.“
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Zeitgleich seien viele nicht-staatliche Akteure an der Arbeit, in sogenannter Track-1.5.-Diplomatie. Das Fachwort meint Gespräche, bei denen staatliche und nicht-staatliche Akteure zusammenarbeiten. Organisationsnamen könne sie aber nicht nennen, sagt Holper IPPEN.MEDIA – „einfach, um diese immens wichtigen Prozesse zu schützen“.
Putins Russland auf der Suche nach „Anerkennung“: Gibt es eine Lösung im Ukraine-Krieg?
Klar ist aber, worum es geht: hinter Maximalforderungen „verschanzte“ Anknüpfungspunkte ausmachen. Papiere Russlands und der Ukraine seien zum Zeitpunkt ihrer „Zirkulationen“ aus verhandlungstaktischen Gründen „noch sehr hart abgefasst“: „Denn die müssen beide Seiten auch innenpolitisch verkaufen können“, erklärt Holper.
„Akteure, die zwischen den beiden Lagern ‚shuttlen‘ können, können diese Papiere aber nebeneinander legen und – auch informell – mit ExpertInnen aus der Ukraine und Russland gucken: Was passt denn da jetzt eigentlich wirklich nicht zusammen, und was wird nur aus strategischen Gründen als nicht-verhandelbar deklariert?“, erläutert sie weiter. „Da muss man die Kompatibilität ganz sorgfältig ausloten – das wird schon jetzt gemacht, in verschiedenen Konstellationen. Irgendwann kann man die Dokumente dann vielleicht zusammenführen.“
Holper hält für möglich, dass der Krieg gegen die Ukraine für Wladimir Putin auch ein „Mittel zum Zweck“ ist: Russland gehe es wohl nicht zuletzt um „Anerkennung“ – just dieser Umstand könne die Option bieten, sich zu einigen, ohne die Ukraine als „Preis“ für Frieden und Sicherheit in Europa oder gar als „Verhandlungsmasse“ zu betrachten, erklärt sie im ausführlichen Interview: Nötig sei womöglich eine „Selbsteinhegung“ der USA. (fn)