„Das Sterben der Reisebüros ist längst eingeläutet“ – Anbieter spricht über Zukunft der Reisebranche

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Die Reisebranche ist im Umbruch. Wer mit der Digitalisierung nicht mithält, bleibt zurück. Der Reiseanbieter WeRoad verrät, warum.

Berlin – Anfang Juni hatte die FTI Touristik GmbH, eines der größten Reiseunternehmen Europas, Insolvenz angemeldet. Für Tausende Reisende standen ihre Reisen auf der Kippe, viele befanden sich bereits im Urlaub. Aktuell versucht der Deutsche Reiseversicherungsfonds, den betroffenen Kunden eine Rückzahlung zuzusichern – während sich die Konkurrenz bereits in Position bringt.

Montage aus einem abhebenden Flugzeug und Tobias Girard von WeRoad. Die Reisebranche ist im Umbruch. Wer mit der Digitalisierung nicht mithält, bleibt zurück. Der Reiseanbieter WeRoad verrät, warum. © WeRoad Gruppenreisen, IMAGO / Steinsiek.ch

Reise-Branche im Umbruch – WeRoad: „Margen im All-Inclusive-Geschäft immer dünner geworden“

Einer dieser Konkurrenten ist WeRoad, ein Touren- und Reiseanbieter aus Berlin. Schon kurz nach Bekanntgabe vonseiten der FTI Touristik, dass die Insolvenz eingeleitet werde, hatte WeRoad mitgeteilt, dass Europas drittgrößter Reisekonzern „endgültig den Anschluss verloren“ hätte. Die 600 Millionen Euro, die der Bund während der Coronavirus-Pandemie investiert hatte, seien eine Fehlinvestition gewesen. Tobias Girard, Country Manager Deutschland bei WeRoad, verrät, warum das Reisebüro ausstirbt.

Herr Girard, woran liegt es, dass ein so großer Reisekonzern wie FTI den „Anschluss verlieren“ konnte?

Aus meiner Sicht war das ein Mix aus verschiedenen Faktoren. Ich glaube, dass FTI sich zwar fortlaufend ein bisschen digitalisiert hat, aber natürlich aus einer Zeit kam, in der man nicht unbedingt digital Reisen gekauft hat. Es gab zwar Schritte hin zur Digitalisierung, aber nicht unbedingt so, wie es ein Kunde gerne gehabt hätte. Also man hat wahrscheinlich ein bisschen zu wenig Wert auf User Experience gelegt, im Zweifel vielleicht auch den Anschluss an eine Generation verpasst, die rein digital kauft – und letztlich zu lange Personen bespielt, die nach wie vor nicht digital gekauft haben.

Zuletzt hieß es bei FTI, dass die Buchungen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Ist das ein branchenweites Phänomen?

Die Margen sind im All-Inclusive-Geschäft einfach immer dünner geworden – aus einem relativ einfachen Grund: Warum sollte ich als Kunde in einem Reisebüro oder beim Reiseveranstalter mehr Geld zahlen, wenn ich das Gleiche online bei jemand anderem deutlich günstiger kriege? Wenn ich online 20 bis 30 Prozent weniger für ein All-Inclusive-Hotel und einen Flug bezahle als beim Reiseveranstalter, dann werde ich irgendwann nur noch online kaufen. Vor allem, wenn die einzige faktische Leistung des Reiseveranstalters das Durchrufen für mich ist. Warum sollte ich da 30 Prozent draufzahlen? In den letzten 10 bis 15 Jahren gab es eine brutale Preisschlacht, weil man lange gesagt hat: „Die Hauptsache ist es, den Kunden zu halten.“

Warnung für die Reisebranche – „Dass sich das nicht rechnet, ist offensichtlich“

Und diese Preisschlacht hat die ganze Branche betroffen?

Da haben ganz viele mitgemacht, um irgendwie preislich mithalten zu können. Ich glaube, wir erinnern uns alle an die Zeit, wo man für 300 Euro all-inclusive nach Antalya kam, Flug mit inbegriffen. Dass sich das nicht rechnet, ist offensichtlich.

Tobias Girard, Country Manager Deutschland bei WeRoad
Tobias Girard, Country Manager Deutschland bei WeRoad. © WeRoad

Was bedeutet das FTI-Aus für die restliche Reisebranche? Ist das Aus eine Warnung?

Ich denke, viele sollten das als Warnung wahrnehmen – gerade, wenn man selbst in dieser Schiene unterwegs ist. Wir müssen weg von der Mentalität „Hauptsache billig“. Das darf jetzt nicht heißen, dass man nur die Preise anhebt, sondern dass man Wege findet, wie ein Reiseanbieter realistische Mehrwerte für Kunden schaffen kann.

Was für Mehrwerte wären das zum Beispiel?

Ich kann da nur für uns sprechen. Wir legen viel Wert darauf, dass wir nicht nur ein Reiseveranstalter sind, sondern jemand, mit dem man seine Freizeit gestalten kann. Das geht darüber hinaus, was auf einer Reise passiert. Sprich: Wir versuchen, den Mehrwert zu bieten, dass wir eine Community aufbauen von Menschen, die ähnliche Interessen haben. Wir schaffen Räume, wo sich diese Menschen treffen und Sachen miteinander erleben können, die außerhalb einer Reise stattfinden – sei das über Events, sei das über organisierte Aktivitäten und so fort.

WeRoad-Experte wird deutlich: „Das Sterben der Reisebüros ist längst eingeläutet“

Vor einigen Jahren hat Thomas Cook eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie FTI jetzt. Welche Wirkung haben solche Insolvenzen auf das Vertrauen der Kunden?

Ich glaube, dass ein kurzfristiger Vertrauensverlust in der Branche stattfinden kann, aber nicht, dass der Vertrauensverlust größer als der Willen oder das Bedürfnis zu reisen ist. Das heißt, Menschen werden weiterhin Reisen buchen. Und ich glaube, dass sie das auch weiterhin bei Reiseveranstaltern tun werden. Das ist das eine. Beim Thema Vertrauen in Unternehmen glaube ich, dass vor allem ein Vertrauen darin nötig ist, wofür das Unternehmen steht.

Ja, es ist wahnsinnig mühsam, wenn der Urlaub, den man schon bezahlt hat, kurzfristig ins Wasser fällt und man im Zweifel einen zweiten Urlaub auslegen können muss, um jetzt fahren zu können, bis man dann das Geld von der Versicherung zurückhat. Das ist eine unschöne Situation. Ich bin aber sicher, dass wir mit dem Deutschen Reichsversicherungsfonds ein Instrument haben in diesem Land, seit dem Konkurs von Thomas Cook, das tatsächlich dafür sorgt, dass Menschen ihr Geld nicht verlieren. Von daher bin ich der Meinung, dass ein Vertrauensverlust dahingehend wahrscheinlich gar nicht so relevant ist.

Sie hatten erwähnt, wie bequem Kunden die Buchung vom Sofa aus finden – das klingt danach, als würde das Reisebüro aussterben?

Statistiken sagen etwas anderes. Da sollte man klar unterscheiden zwischen örtlich oder lokal gebundenen Reisebüros, zu denen ich hinlaufen muss, um zu buchen, und digitalen Reisebüros. Ich glaube, das wird manchmal, wenn man Statistiken zur Reisebranche anschaut, übersehen. Ich persönlich bin der Meinung, dass das Sterben der lokalen Reisebüros schon längst eingeläutet ist und sich weiter fortsetzt. Doch ich glaube auch, dass es, solange es Menschen gibt, die in einen Laden gehen wollen, einen Laden geben wird. Es wird aber wahrscheinlich nicht mehr in jedem 2000-Seelen-Ort ein Reisebüro geben. Das goldene Zeitalter der Reisebüros ist vorbei.

Chancen für die Reisebranche – WeRoad sieht mögliche Preissenkungen für Verbraucher

Wie navigiert WeRoad durch diese Entwicklung?

Menschen wollen verreisen und sie wollen auch in diesem Sommer in den Urlaub. Wir haben klar gemerkt, dass jeweils nach den Pressemitteilungen von FTI bei uns ein klarer Buchungszuwachs stattgefunden hat, der sich eigentlich nicht anders erklären lässt, außer damit, dass Menschen an dem Tag erfahren haben, dass ihr Urlaub ins Wasser fällt. Ganz vorsichtig ausgedrückt: Ich glaube, manchmal können solche Momente eine Branche auch beflügeln – nicht unbedingt in Bezug auf den Umsatz, aber vielleicht führt das zu einem Umdenken.

Umdenken wobei, zum Beispiel?

Zum Beispiel bei den Hotelbesitzern, die schon zwölf Monate vor der Saison am liebsten alle Räume ausgebucht sehen würden. Reiseveranstalter kaufen diese Räume dann zur Sicherheit, um sie weiterverkaufen zu können. Wenn man sagt: Wir kaufen nur noch das, was wir tatsächlich brauchen, könnte das der ganzen Branche helfen. Beim Verbraucher könnten dann real die Preise sinken.

Sehen Sie für WeRoad derzeit Risiken?

Wir sind natürlich ein junges Unternehmen, dass sich das Vertrauen erst noch aufbauen muss. Dazu hatten wir kürzlich ein interessantes Gespräch mit dem Deutschen Reisesicherungsfonds, der natürlich sämtliche unserer Zahlen kennt. Und die haben uns gefragt, warum sich unser Umsatz zwischen zwei Quartalen reduziert hat. Das war kein Fehler: Wir passen die Preise einfach real den Kunden gegenüber an.

Wir wissen, was für eine Gewinnmarge wir benötigen. Wenn wir aber verbessert nachverhandeln können, mit einem Zulieferer von Unterkünften, Mietwagen, Transporten etc., dann geben wir die niedrigeren Kosten weiter an Kunden. Das schafft auf der einen Seite wahnsinnig viel Vertrauen. Auf der anderen Seite führt das wahrscheinlich dazu, dass Menschen gerne nochmal kaufen, weil sie sich quasi auf eine Bestpreisgarantie verlassen können.

Digitalisierung in der Reisebranche – Priorität bei FTI

Auf Anfrage durch IPPEN.Media teilte eine Sprecherin der FTI Touristik GmbH mit, dass die Insolvenz nicht mit der Digitalisierungsstrategie zusammenhänge: „Grundsätzlich zählte die Digitalisierung unserer Gruppe schon seit einiger Zeit zu den wichtigsten Unternehmenszielen.“ Als erster Großveranstalter habe FTI die Papierform der Saison- und Jahreskataloge abgeschafft. In „nächster Zukunft“ war der Relaunch der Buchungswebsites und die Entwicklung einer neuen Buchungsplattform vorgesehen.

Während der Pandemie habe FTI außerdem einen „starken Shift zugunsten der Reisebüros“ festgestellt. Dies habe sich mittlerweile aber wieder „relativiert“.

Auch interessant

Kommentare