Urbanes Leben am Papierbach: Landsbergs Flaggschiff hält nicht Kurs
Landsberg - Wenn die Vollendung des wichtigsten Bauprojekts einer Stadt in Frage steht, ist Handeln angesagt. Aber was kann man tun?
Es war ein Traum von Projekt, die Verwandlung des weitgehend brach liegenden innerstädtischen Areals der ehemaligen „Pflugfabrik“ in das „Urbane Leben am Papierbach (ULP)“. Projektentwickler ehret+klein aus Starnberg versprach am 3. Februar 2015, „Landsbergs Neue Mitte“ zu schaffen, ein „lebendiges Wohnquartier“ mit Restaurants, einem Supermarkt, einem Hotel, Kleingewerbe, Kultur und Dienstleistern von der Hausaufgabenhilfe bis zur Paketannahme. Bis zum Jahr 2024 sollte ein vielfältiges Quartier entstehen, in hochwertigem Geschosswohnungsbau, mit einem Spektrum vom Penthouse bis zur Sozialwohnung, ausreichend Tiefgaragenplätzen, begrünten Dächern, einem direkten Bahnanschluss und einem neuen autofreien Lechsteg, der in die am anderen Ufer liegende Altstadt führt.
Das durch eine Bürgerbeteiligung begleitete Konzept war vom ersten Tag an überzeugend, zumal es in die Zeit passte. Hier ließ sich die Mobilität der Zukunft demonstrieren. Vom Papierbach aus würden die 1.800 Bewohner mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln die Stadt und das Umland erreichen. Das Auto könnte man in der Garage lassen, zumal die Nahversorgung im Quartier selbst garantiert war. Auch der damalige Oberbürgermeister Mathias Neuner (CSU), selbst Bauingenieur, unterstützte das Projekt voller Überzeugung. Die Stadt schloss mit Hilfe von großen Anwaltskanzleien den notwendigen städtebaulichen Vertrag und schuf in Rekordzeit einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan.
Es ging auch gut weiter: Ehret+Klein entschloss sich, für jedes Gebäude einen eigenen städtebaulichen Wettbewerb durchzuführen, um auch innerhalb des Quartiers Vielfalt zu schaffen. Jede Wohnung sollte „fibre to the home“ bekommen, also einen eigenen Glasfaseranschluss mit hoher Bandbreite. Car-Sharing sollte das eigene Auto überflüssig machen. Eine zentrale Wärmeversorgung war fester Bestandteil des Projekts.
Für die Stadt Landsberg wurde das „Urbane Leben“ schnell zum Flaggschiff. So ein Vorzeigeobjekt brauchte sie auch, denn nach dem erfolgreichen Umbau des Hauptplatzes war ihr Städtebau eher ein Verschiebebahnhof. Das ursprünglich kommunale Heilig-Geist-Spital wurde von einem sozialen Träger in einem Neubau weitergeführt; der Altbau steht leer und muss dringend saniert werden. Die beiden Mittelschulen wurden durch einen Neubau vereint; das Schulhaus auf dem Schlossberg wurde dadurch frei und soll nun zu einer großen Grundschule umgebaut werden, wodurch zwei Grundschulen leer stehen werden. Jede dieser Rochaden kostet Millionen Euro, die erst jetzt in den Haushalten wirksam werden. Spielraum für weitere Projekte, unter anderem einen oft gewünschten Schrägaufzug, der den Zugang zum Landsberger Osten erleichtert, gibt es auf absehbare Zeit nicht.
Doch der Blick auf das Bauprojekt am Papierbach wurde zunehmend getrübt. Fast jeder Wettbewerb endete mit der Forderung, die Kubatur des jeweiligen Gebäudes zu erweitern, um mehr Wohnungen zu schaffen. ehret+klein plädierte für den Verzicht auf eine Fußgängerbrücke im Areal und bat um eine Reduzierung der Tiefgaragenplätze. Der eigentlich zu erhaltende Karl-Schrem-Bau (heute: Sternrad-Haus) sollte neu errichtet werden. Außerdem verlängerte sich die Bauzeit erheblich: Im Jahr 2024 ist maximal die Hälfte des Areals fertig. Die bereits eingezogenen Bewohner müssen noch jahrelang in einer Baustelle leben. Andere warten auf die Fertigstellung ihrer Wohnungen und müssen sich einstweilen um Notlösungen kümmern.

Der Stadtrat kam dem Projektentwickler bei den meisten Themen entgegen. Vollends problematisch wurde es aber, als der Investor hinter dem Projekt, ein amerikanischer Öl-Magnat aus Old-Greenwich, Connecticut, im Herbst 2023 persönlich anreiste, um in Verhandlungen mit der Stadt ein großes Änderungspaket durchzusetzen, zu dem auch Subventionen in Millionenhöhe gehören sollten. Diese Zuwendungen begründeten die Verantwortlichen mit höheren Altlasten. Doch die betreffen das Innenverhältnis zwischen ehret+klein und dem früheren Grundstücksbesitzer, der österreichischen Familie Pöttinger. Besonders erschreckend war, dass das Projekt ohne den Supermarkt, ohne Geschäfte und ohne kulturelle Nutzung fortgesetzt werden sollte. Diese Gewerbeflächen wollte der Investor in Wohnraum umwandeln. Beobachtern wurde sofort klar: Das macht aus dem „Urbanen Leben“ eine „Schlafstadt West“.
Nun hängt in Landsberg der qualifizierte Städtebau am seidenen Faden. Inzwischen gibt es mit Doris Baumgartl eine Oberbürgermeisterin der Wählervereinigung UBV und mit Annegret Michler eine neue Stadtbaumeisterin. Die eine ist erkennbar an Kontinuität interessiert, die andere eher an einer lebendigen Quartiersentwicklung. Der früh einbezogene Stadtrat muss ebenfalls versuchen, beide Ziele zu vereinigen. Man will die Zusammenarbeit mit den bisherigen Partnern harmonisch fortsetzen. Gleichzeitig aber muss man darauf achten, keine Zusagen zu machen, die Folgewirkungen für andere Projekte hätten. Eine Geldzahlung schließen soweit ersichtlich alle aus.
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Wie soll es nun weitergehen? Es gibt in dem Paket der Investorenseite weniger problematische Ansätze; dazu gehört, die geplante Kita auf den Fußabdruck des Jugendzentrums aufzusetzen und damit Tiefbau samt Altlastenbeseitigung zu vermeiden. Diese und ähnliche Gedanken werden die Stadträte wohl aufgreifen und ein Paket der Zugeständnisse schnüren. Aber ob dieses Paket ausreicht? Und wie kommen dann die sozialen und wirtschaftlichen Komponenten zustande, die Einkaufsmöglichkeit und die Restaurants, das Kleingewerbe und die Treffpunkte? Wenn das Quartier zum Baugebiet wird, wie wird aus dem Baugebiet wieder ein Quartier?