Angst vor Magura: Russlands Luftwaffe schmeißt Drohnen aus Hubschraubern hinterher
Killer-Drohne in der Luft jagt Killer-Drohne auf See. Im Schwarzen Meer versucht Putin, die Hoheit seiner vertriebenen Flotte wiederherzustellen.
Moskau – „Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine herrscht ein ständiger Kampf zwischen Innovation und Gegeninnovation“, schreibt Gustav C. Gressel. Der Militär-Analyst des Thinktanks European Resilience Initiative Center (ERIC) hätte damit auch Wladimir Putins neuesten Versuch meinen können: eine möglicherweise ausgeklügelte Seeverteidigungstaktik über dem Schwarzen Meer; vor allem gegen die gefährlichen ukrainischen Magura V5-Drohnen. Mit eigenen simplen Jäger-Drohnen.
Auch wenn die Idee recht einfach ist, sollte das Potenzial dieser neuen Taktik nicht unterschätzt werden, schreibt das Magazin Defense Express über die Idee Russlands, Hubschrauber zu Drohnen-Mutterschiffen umzufunktionieren – von ihnen aus sollen kleine FPV-Drohnen (First-Person-View / Unmanned Aerial Vehicle UAV) ausgesetzt werden, um eigenständig Jagd zu machen auf die Magura V5-Drohnen – den russischen Albtraum im Schwarzen Meer. Laut der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian hat die russische Marine innerhalb von 18 Monaten 18 Schiffe durch die Magura-Drohne verloren.
Seemacht Russland geht vermutlich wieder in die Offensive um die Macht auf der Krim
Ein russischer Militärblogger habe jetzt eine Episode eines solchen Trainings veröffentlicht. Laut Defense Express werde darin gezeigt, wie Drohnenpiloten ihre UAV direkt aus der offenen Luke eines Mi-8-Helikopters abwerfen würden. Von da an scheint die FPV ihr Ziel selbst finden zu müssen. Defense Express mutmaßt, dass in der Einfachheit dieser Methode ihre Genialität liegen könnte. Russland käme zugute, dass auf offener See Ruhe herrsche vor elektronischem Störfeuer durch die Ukraine; unterstützt von der Höhe des Hubschraubers könne die Drohne ungestört einen Radius von bis zu 30 Kilometern beherrschen.
„Die Besatzung der FPV-Drohnen befindet sich im Hubschrauber, und das UAV selbst wird von der offenen Tür des Hubschraubers aus gestartet. Danach beschließt der Bediener, das Ziel anzugreifen.“
Möglicherweise hat Russland der Magura V5 damit die Zähne gezogen. Immerhin hatte die ukrainische Innovation dazu beigetragen, die Schwarzmeer-Flotte Russlands erst zu dezimieren, dann vollends in die Flucht zu schlagen und quasi selbst die Hoheit über dieses Gewässer zu gewinnen. Möglicherweise geht die vormalige Seemacht Russland rund um die Krim jetzt wieder in die Offensive, um verlorenes Terrain und die Macht auf der Krim zurückzugewinnen.
Diese Do-It-Yourself-Lösung für die eigene Marine hat sich als wahrer Tausendsassa herausgestellt – und ihre Möglichkeit, Sprengstoff über das Schwarze Meer zu tragen, war offenbar nur ein Nebenaspekt der eigentlichen Bestimmung der Magura V5. Nach Angaben des ukrainischen Herstellers SpetsTekhnoEksport sollte sie vor allem aufklären und überwachen können. Ihre Nutzlast wurde mit 320 Kilogramm angegeben; die sollte sie dann mit einem Tempo von 40 bis maximal 75 Kilometern pro Stunde über eine Reichweite von bis zu 800 Kilometern katapultieren können. Die Bedienung gehe laut Herstellerangaben so leicht von der Hand wie bei einem ferngesteuerten Spielzeugboot. In sicherer Entfernung. Von Land aus.
Durch die Magura-Drohne ist die Ukraine zur Drohnenmacht geworden
Inzwischen kann sie auch einen Raketenwerfer tragen, was ihre Reichweite und Gefährlichkeit potenziert. Eigentlich heißt das Boot „Maritime Autonomous Guard Unmanned Robotic Apparatus“ und ist in ihrer jetzigen Ausführung die fünfte Generation. „Die Ukraine ist in den letzten Jahren und insbesondere seit Beginn des Krieges zu einer Drohnenmacht geworden“, lobte Ulrike Franke, vom European Council on Foreign Relations gegenüber dem ZDF. Und sie ist sich ziemlich sicher: „Es ist wahrscheinlich, dass die Ukraine aus diesem Krieg als wichtiges Drohnenherstellerland hervorgehen wird.“
Allerdings hat diese jüngste Eskalationsstufe im Schwarzen Meer offenbar bereits im Mai begonnen. Das Magazin The Warzone hatte berichtet von einem Video auf X (vormals Twitter), wonach eine vermeintlich russische FPV-Drohne eine Magura verfolgt und letztendlich zerstört hätte. Möglicherweise sei das allerdings lediglich Propaganda gewesen. Kyrylo Budanow sagte, das Video zeigte vermutlich eine Magura V-Drohne, die statisch im Wasser liege und bei einem früheren Angriff auf See verloren gegangen sei. Fest steht, dass Russland mindestens eine dieser Drohnen bereits erbeutet hat.
Drohne übernimmt im Ukraine-Krieg die „langweiligen, schmutzigen und gefährlichen Jobs“
Möglicherweise resultiert das aktuelle russische Jagdfieber daher, einen Schlüssel gegen die kleinen autonomen Boote gefunden zu haben – allerdings existiert außer dem Telegram-Post kein weiterer Beweis für Russlands behauptetes Vorgehen. Darüber hinaus mutet Russlands Bemühen ungemein antiquiert an: „Die Besatzung der FPV-Drohnen befindet sich im Hubschrauber, und das UAV selbst wird von der offenen Tür des Hubschraubers aus gestartet. Danach beschließt der Bediener, das Ziel anzugreifen“, wie die ukrainische Nachrichtenagentur Unian schreibt.
Obwohl diese Lösung simpel erscheint, stelle sie eine neue Option für den Einsatz von FPV-Drohnen dar. „Tatsächlich eliminiert dieser Ansatz die Bedrohung, die Flugabwehrdrohnen für einen Hubschrauber darstellen können“, urteilt Unian. Bleibt zu fragen, ob Russlands vermeintliche Antwort auf Seedrohnen wie Magura V5, Seababy oder andere Modelle nicht schon wieder überholt sein könnte. Vor dem Ukraine-Krieg wäre eine Magura-Drohne Science Fiction gewesen, anfangs des Ukraine-Krieges sei sie „als Ersatz für bemannte Schiffe in ,langweiligen, schmutzigen und gefährlichen‘ Jobs“ eingesetzt worden, wie Bryan Clark schreibt.
Dank der Magura werden die Verluste der Ukraine auf See minimiert
„Doch heute, so die Überlegung, können Seedrohnen in jedem Glied der ,Kill Chain‘, die von der Erkennung eines Ziels bis zu dessen Beschuss mit einer Waffe reicht, Skalierbarkeit, Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit bieten“, so der Analyst des U.S.-Thinktank Hudson Institute in einer Publikation des Verbands Advanced Technology for Humanity (IEEE). Auch auf See kämen die Drohnen mittlerweile ins Schwärmen, wie Clark ausführt.
Das Hunderte Tonnen schwere Überwasser-Schiff habe somit möglicherweise ausgedient, mit der Magura V5 sei das geschrumpft auf fünfeinhalb Meter Länge, prophezeit Clark: Um ein feindliches Schiff anzugreifen, bräuchten Marine-Streitkräfte bisher Radar, Abschussrampen und Raketen. Doch Militärs lernten heute zu schätzen, „dass eine Flotte bemannter Überwasser-Schiffe mit einem Dutzend oder zwei Marinedrohnen mehrere Wege bieten würde, das Schiff zu finden und anzugreifen. Aufgrund ihrer Streuung wären diese Fahrzeuge auch weniger verwundbar“, wie der Analyst schreibt. Verluste werden minimiert.
Russlands einzige Möglichkeit über dem Schwarzen Meer war die Jagd mit Maschinengewehren
Sollte Russland tatsächlich manuell Killer-Drohnen auf Magura-Seedrohnen ansetzen, mutete das an, wie Bomber-Piloten aus dem Ersten Weltkrieg, die ihre Fracht ebenfalls manuell aus ihren Doppeldeckern entluden. Dennoch war auch das lediglich ein erster Schritt in Richtung Automatisierung des Krieges.
Folgerichtig müsste die Ukraine damit jetzt also beginnen, ihre Seedrohnen mit elektronischer Abwehr auszustatten, um die angreifenden Drohnen in die Irre zu führen. Oder Begleitschiffe müssten die Drohnen flankieren, mit Möglichkeiten zur Abwehr der Hubschrauber. Wie schon mit „loitering ammunition“ im Luftraum über der Ukraine praktiziert, sei die Technik bereits so weit, dass auch Seedrohnen die ehemaligen Aufgaben von U-Booten übernehmen könnten, wie der Analyst des Hudson Institute vorhersagt: das intelligente Herumlungern im Wasser als Weiterentwicklung einer stumpf herumdümpelnden Seemine.
Die Seedrohne würde sich aktivieren, wenn sie ein sich näherndes Ziel ausmachte. Auch Defense Express rekapituliert den technologischen Exzess im Schwarzen Meer dahingehend, dass Russland auf die Offensiven der Magura-Drohnen keine bessere Antwort gehabt zu haben schien, als Hubschrauber über dem Schwarzen Meer patrouillieren zu lassen, um die Drohnen daraus mit Maschinengewehren zu beschießen, wie Defense Express schreibt. Die Ukraine hat daraufhin die Reichweite der Drohne massiv erhöht.
Die zu diesem Zweck darauf verbauten Raketen sollen die Wympel R-73 sein – ursprünglich konzipiert für Luftkämpfe – wie das Magazin Forbes geschrieben hat, sie sollen die durch ihren Infrarotsensor selbstständig einen Helikopter oder ein Flugzeug anvisieren können. Jetzt versucht wiederum Russland Abstand zu gewinnen und gleichzeitig eine Handhabe gegen die Drohnen zu erhalten – oder wie Defense Express zusammenfasst: „So sehen die modernen ,Drohnenkriege‘ aus.“