Russland setzt wohl auf Giftgas mit heftigen Folgen – perfide neue Taktik trifft auch Zivilisten
Die lautlose Gefahr: Russland setzt laut ISW-Bericht zunehmend chemische Kampfstoffe per Drohne gegen ukrainische Truppen und Zivilisten ein.
Kiew – Russland nutzt im Ukraine-Krieg vermehrt Drohnen, um chemische Stoffe in Frontgebieten und im Hinterland der Ukraine freizusetzen, wie es in dem Bericht der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) vom 17. April heißt. Solche Einsätze verstoßen gegen das Chemiewaffenübereinkommen und die Genfer Konvention – beide Abkommen hat Russland unterschrieben. Der Einsatz chemischer Waffen ist damit ein Bruch des Völkerrechts.
Effekt trotz Abschuss: Drohnen mit Giftgas detonieren teils zeitverzögert
Der chemische Kampfstoff Chlorpikrin und andere „nicht identifizierte Chemikalien“ seien im vergangenen Monat insgesamt 767 Mal, 844 Mal im Februar und 740 Mal im Januar zum Einsatz gekommen, wie Times berichtete. Zum Vergleich: Im November vergangenen Jahres waren es demnach 166 Einsätze. Je nach Konzentration kann Chlorpikrin zum Tod durch Ersticken führen. „Wir sprechen hier nicht von Tränen und Husten, sondern von chemischen Verätzungen des Kehlkopfs, der Lunge, der Mundhöhle, des Nasenrachenraums und sogar der Haut“, sagte Oberleutnant Sergej Skibtschyk der Zeitung.
Das ukrainische Einsatzkommando Süd und das Zentrum für Desinformationsbekämpfung meldeten Mitte April, dass in russischen Shahed-Drohnen Kapseln mit CS-Gas (Chlorbenzylidenmononitril) gefunden wurden – ein Reizstoff, der laut internationalem Abkommen verboten ist. Ähnliche Funde gab es auch in anderen Regionen, etwa der Oblast Donezk. Es bestehe der Verdacht, dass Russland dieses Vorgehen nutze, um solche Stoffe auch gegen Zivilisten einzusetzen, betonten die Experten des ISW weiter. Teils waren die Fluggeräte mit Granaten mit verzögerter Detonation ausgestattet.
Hintergrund dieser russischen Taktik sei, dass ukrainische Streitkräfte Shahed-Drohnen zuvor sehr effektiv abgeschossen hatten. Nun versuche Russland vermutlich, „Shahed-Drohnen mit Waffen auszustatten, die auch dann noch Schaden anrichten, wenn ukrainische Streitkräfte die Drohnen abschießen, bevor sie ihre beabsichtigten Ziele erreichen“, so die Analyse weiter. Das könne zu einem „unverhältnismäßigen Schaden an der Zivilbevölkerung“ führen.

Über 7.000 Einsätze seit Kriegsbeginn: Russland greift offenbar systematisch zu Chemiewaffen
7.730 Mal hätten die russischen Streitkräfte seit Beginn der Invasion im Februar 2022 mindestens chemische Kampfstoffe eingesetzt, sagte Oberst Artem Vlasyuk von der Abteilung für Strahlen-, Chemikalien- und Bioschutz der ukrainischen Streitkräfte (RCBZ) gegenüber der Times. Auch die unabhängige Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) konnte im Februar 2025 den Einsatz chemischer Waffen in der Ukraine nachweisen, wie es in einem Bericht hieß. „Das russische Militär setzt regelmäßig Kampfmittel und Munition mit gefährlichen Chemikalien gegen ukrainische Streitkräfte ein, auch solche unbekannter Herkunft. Leider gab es mehrere Todesopfer unter den ukrainischen Soldaten“, teilte das ukrainische Außenministerium dazu mit.
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Der Kreml weist indes Vorwürfe über den Einsatz von Chemiewaffen zurück und wirft im Gegenzug der Ukraine die Verwendung solcher Waffen vor, ohne Beweise vorzulegen. Augenzeugenberichte zeichnen ein anderes Bild. „Ich erinnere mich an einen Gasangriff auf sechs unserer Soldaten: Einer wurde getötet, die anderen fünf wurden vergiftet. Sie litten unter ständigen Tränen, Speichelfluss, kurzzeitigem Sehverlust und Atemnot“, sagte die ukrainische Sanitäterin „Haika“ vom 1. Bataillon der 80. Luftangriffsbrigade der Times. Der tote Soldat habe keine sichtbaren Verletzungen erlitten, fügte sie hinzu.
Bereits in der Vergangenheit war bekannt geworden, dass russische Truppen derartige Kampfstoffe in der Ukraine verwenden. „Der Einsatz solcher Chemikalien ist kein Einzelfall und vermutlich dem Wunsch der russischen Streitkräfte geschuldet, ukrainische Truppen aus befestigten Stellungen zu vertreiben und taktische Vorteile auf dem Schlachtfeld zu erzielen“, hieß es bereits im Mai vergangenen Jahres in einer Analyse der damaligen US-Regierung.