Vorbereitung auf einen langen Krieg: Putin verschärft Militärprogramm für Kinder und Jugendliche
Vorbereitung auf einen Krieg – begonnen in der Schulbank: Putin plant stärkeren Drill, richtiges Geschichtsbewusstsein und umfassende Heldenverehrung.
Moskau – „Das Hauptziel besteht darin, die Bürger systematisch auf einen möglichen Krieg vorzubereiten“, sagt Sergej Mironow. Der Vorsitzende der Partei „Gerechtes Russland“, hat ausgedrückt, womit jetzt Wladimir Putin offenbar Ernst macht: mit einer weiteren Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen mit Militärpropaganda. Putin will eindringen in die Köpfe der Heranwachsenden in seinem Reich sowie in dem von Russlands Truppen besetzten Territorium der Ukraine. Für Analysten bedeutet das, Russlands Volk soll auf einen langen Krieg konditioniert werden.
Der Thinktank Institute for the Study of War (ISW) berichtet aktuell, Russlands Potentat baut vor dem „vom Kreml ausgerufenen ,Jahr des Verteidigers des Vaterlandes‘ im Jahr 2025 weiterhin das russische Netzwerk militärisch-patriotischer Erziehungsprogramme für junge Menschen in Russland und der besetzten Ukraine aus“. Wie der Kreml veröffentlicht, hat das Staatsoberhaupt am 20. Dezember eine vier Punkte umfassende Anweisung an die Regierung erteilt. Laut der Zusammenfassung des ISW, fielen darunter die Erweiterung eines Netzwerks von „Militärsportcamps“ als paramilitärische Grundschule für den späteren Eintritt in die Streitkräfte, der ganzjährige Betrieb von „Gesundheitscamps“ für Kinder, das Aufsetzen einer Online-Plattform für Jugendliche zu deren militärisch-patriotischer Erziehung sowie die Ausweitung des Kreml-Programms „Straßen des Sieges“.
„Straßen des Sieges“: Putin plant Touristenrouten für Kinder und Jugendliche entlang von Denkmälern
Durch die „Straßen des Sieges“ soll Jugendlichen anhand von Exkursionen der Besuch von Pilgerstätten der Verehrung russischer Kriegshelden ermöglicht werden, so das ISW: Putin habe angeregt, dass das Projekt „die Schaffung pädagogischer Touristenrouten für Kinder und Jugendliche entlang von Orten militärischen Ruhms vorsieht, einschließlich Besuchen in Heldenstädten, Städten militärischen Ruhms und Städten voller Arbeitskraft“, wie der Kreml veröffentlicht. Möglicherweise ein weiteres Indiz dafür, was Thomas Urban anhand Putins politischer Prämissen annimmt: „Putin, der sich so gern auf den Brutalmodernisierer Peter den Großen beruft, hat also wegen seiner Obsession, dessen Imperium wiederherzustellen, die eigentlichen Probleme des Riesenlands aus dem Blick verloren.“
Die Russen haben Putin immer vor allem wegen seiner Außenpolitik geschätzt, die die Grundlage für seine Bewertung bildete. Das funktioniert auch heute noch.
Wie Urban im Magazin Cicero geschrieben hat, sehe sich Putin von der Vorsehung dazu auserwählt, das russische Imperium wiederherzustellen. Offenbar will er für diesen Plan jetzt das Fundament festigen. Auch Valery Fedorow ist überzeugt, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nie in die Lage kommen wird, Putin in Friedensverhandlungen etwas abzutrotzen – beispielsweise den Rückzug Russlands an die Grenzen der Ukraine im Jahr 1991. Das sei für die Russen inakzeptabel; etwas zu verschenken, bedeute für die Bevölkerung, sich mit der ständigen Bedrohung aus Kiew abzufinden.
„Und das ,kriegerische Russland‘ wird im Gegenteil mobilisiert und handelt nach dem Prinzip ,Alles für die Front, alles für den Sieg‘“, sagt der Politikwissenschaftler und Chef des größten russischen Meinungsforschungsinstitut VCIOM. Für Meinungsforscher Fedorow herrscht in Teilen der Bevölkerung tatsächlich das Bild ihrer Zukunft als „großes Russland“; als „ein Land, das Nein sagen kann!“, als Land, das auf der ganzen Welt für Stärke und Festigkeit gefürchtet und respektiert würde; als ein Land, das den Ukraine-Krieg gewonnen habe und sich womöglich nicht damit zufrieden gebe; als ein Land, das eine wichtige Rolle in der Welt spiele. Dies sei das Bild der Zukunft für das „kriegführende Russland“, so Fedorow.
„Kriegerische Russland“: Putin immer vor allem wegen seiner Außenpolitik geschätzt
Obwohl parallel noch andere Bilder bestünden, etwa von einem „gerechten Russland“, einem „hochtechnologisierten“ oder einem „bequemen Russland“. Fedorow meint, alle diese Bilder kulminierten nahezu unumstößlich in der Person ihres Präsidenten: „Die Russen haben Putin immer vor allem wegen seiner Außenpolitik geschätzt, die die Grundlage für seine Bewertung bildete. Das funktioniert auch heute noch“, sagt er gegenüber dem russischen Sender RBK.
Und das wird wahrscheinlich auch noch weiter funktionieren, wie Alla Hurska zusammenfasst – laut der Analyse der Ukrainerin für den US-Thinktank Jamestown Foundation reicht der Ukraine-Krieg schon längst über den Alltag hinaus auch in das Leben an russischen Universitäten, Schulen und Kindergärten hinein. Dem Kreml beziehungsweise dem Präsidenten sei demnach die patriotische Erziehung seiner Bürger beziehungsweise Heranwachsenden bisher zu nachlässig gehandhabt worden. Hurska verweist auf einen Bericht des Online-Magazins eurasianet vom Januar 2023, demzufolge den Offiziellen offenbar das fehlende Bewusstsein der Heranwachsenden zum Stand der Weltpolitik missfallen habe.
Heldenkult neu aufgelegt: Putin will 2025 zum „Jahr des Verteidigers des Vaterlandes“ erklären
„‘Gespräche über wichtige Dinge‘, Unterricht in der militärischen Grundausbildung, Unterricht unter Beteiligung von Frontrückkehrern, paramilitärische Routinen, obligatorisches Hissen der Flagge und Anhören der Hymne – all das wurde nach Kriegsbeginn in der Ukraine Teil der Schulbildung in Russland“, schreibt Alexey Martov. Was dem eurasianet-Autoren damals aufgefallen war, ist wohl auch der Grund, weshalb Putin jetzt Nachdruck in die Bildungspolitik hinein dekretiert: Obwohl die Erziehung zum Patriotismus‘ in Ländern des kommunistischen Ostens immer schon hoch oben in den Curricula alle Bildungsstufen rangierte, „steht Russland noch am Anfang eines Prozesses, der keineswegs einheitlich verläuft und zu unvorhersehbaren Folgen führen kann“, wie Markov festhielt.
Offenbar zurecht. Seiner geplanten Militarisierung der Jugend hat Putin vielleicht deshalb aktuell einen offiziellen Anstrich gegeben. In einer aktuellen Sitzung des Staatsrates zur Förderung von Familien zum Zwecke der Erhöhung und Sicherung der Geburtenrate hat er angekündigt, 2025 zum „Jahr des Verteidigers des Vaterlandes“ zu erklären – im 80. Jahr des russischen Sieges über Hitler-Deutschland will er öffentlich und offensiv die Erinnerung an die „Helden und Teilnehmer einer besonderen Militäroperation“ polieren, wie der Kreml veröffentlicht. Der „Ruhm unserer Väter, Großväter und Urgroßväter, die den Nationalsozialismus niedergeschlagen haben“, wie er sagt, will er in die Zukunft tragen.
Russlands Trauma: Sieg über den Faschismus bedeutet das Überleben der vom Untergang bedrohten Nation
Der Begriff „Faschismus“ diene dabei als Blaupause verschiedener Assoziationen, die eng verknüpft sind mit dem Kern der postsowjetischen Identität Russlands, wie Lisa Gaufman ausführt. Bis weit nach dem Ende des Kalten Krieges habe sich Russland als „Großmacht“ und als „Befreier Europas“ identifiziert – ein Selbstbild, das mit dem Untergang der Sowjetunion kollidiert; inklusive des Seitenwechsels ehemaliger sowjetischer Satellitenstaaten zur Gegenseite, die repräsentiert wird durch die Europäische Union und vor allem durch die Nato. Für Ideologen und Propagandisten eine ideale Angriffsfläche. Und vor allem für Wladimir Putin.
Seit der Krim-Annexion 2014 versuche der Kreml die russische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer auf der falschen Seite der Geschichte stünden, schreibt Gaufman für die Bundeszentrale für politische Bildung. Der „Große Vaterländische Krieg“, wie die Russen den Zweiten Weltkrieg bezeichnen, sei in Russland verknüpft mit der Erinnerung an die Niederlage des Faschismus, aber vor allem an das Überleben der vom Untergang bedrohten Nation, wie die Politikwissenschaftlerin zusammenfasst.
Russlands leise Revolte: Eltern lehnen Ukraine-Krieg als „moderne Manifestation des Patriotismus“ ab
Paramilitärischer Sport und Unterricht in – nach russischer Definition – „korrekter Geschichte“ sind die eine Seite der Medaille, die Schwierigkeiten in der Durchsetzung dieser Doktrin in der gesamten Gesellschaft die andere. Wie Martov schreibt, sollte ein Unterrichtsskript empfohlen haben, „die Entscheidung, einen Krieg in der Ukraine zu beginnen, als moderne Manifestation des Patriotismus zu bezeichnen“, worauf sich im ganzen Land unter Eltern Empörung geregt haben soll und die Passage aus dem Skript verschwand.
Eine andere Form der Spartanisierung sollen die Russen offenbar gerade schlicht und ergreifend durch Verzicht realisieren: Wie eurasianet aktuell meldet, versucht Wladimir Putin, die wirtschaftliche Schieflage seines Reiches damit zu erklären, dass es den Bürgern gemeinhin einfach zu gut gehe. Die Inflation in Russland wird Ende dieses Jahres bei 9,5 Prozent liegen und damit weit über dem Zielwert von vier Prozent, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet.
Um den Preisanstieg zu erklären, schob Wladimir Putin den Schwarzen Peter einfach an seine Bürger weiter, berichtet eurasianet: „Seiner Meinung nach wird die Lebensmittelinflation in der Russischen Föderation dadurch verursacht, dass die Russen zu viel und zu gut essen.“