Merz liefert nicht – Wirtschaftsverbände warnen Union und SPD: „Deutschland ist wie gelähmt“
Die deutsche Wirtschaft vermisst aus den bisher bekannten Ergebnissen zwischen CDU, CSU und SPD das richtige Signal. Die Verbände fordern mutigere Reformen.
Berlin – Von der Aufbruchsstimmung ist nicht mehr viel übrig geblieben. Nachdem die Arbeitsgruppen bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD in der vergangenen Woche ihre Ergebnisse präsentiert haben, müssen nun die Chefs ran. Aus Sicht der Wirtschaft reichen die bisher präsentierten Ergebnisse nicht aus, um eine Deindustrialisierung zu stoppen. „Leider weisen die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD derzeit in die falsche Richtung“, fasste es zum Beispiel der Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Bertram Kawlath, zum Auftakt der Hannover Messe zusammen. „Der Reformeifer verblasst schon wieder, bevor er so richtig begonnen hat.“
Die deutsche Wirtschaft ist „gelähmt“: SPD, CDU und CSU müssen große Reformen liefern
„Deutschland ist aktuell mangels Orientierung wie gelähmt“, sagte Kawlath. „Diesen Zustand müssen wir ganz schnell beenden.“ Die nächste Regierung müsse eine mutige Reformagenda vorlegen, forderte Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Nur so lasse sich die Stimmung im Land drehen. Denn derzeit sei die „schlechter als ich es je erlebt habe“.
Seit 2019 sei die Industrieproduktion in Deutschland um elf Prozent geschrumpft, sagte der BDI-Chef. In diesem Jahr erwarte er einen weiteren Rückgang um 0,5 Prozent. „Das wäre der vierte Rückgang in Folge“, sagte Leibinger. Im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Elektro- und Digitalindustrie rechnen die Branchenverbände 2025 sogar mit zwei Prozent Minus bei der Produktion. Zwar werde der Tiefpunkt wohl im Laufe des ersten Quartals erreicht, hieß es beim VDMA. Doch die Erholung setze nur zögerlich, nicht flächendeckend und mit schwacher Dynamik ein.
Hoffnung machen der Industrie die geplanten Milliardeninvestitionen in Verteidigung und Infrastruktur. Die durch Schulden finanzierten Investitionen müssen dazu beitragen, die strukturellen Schwächen des Standorts Deutschland zu beheben, sagte Leibinger. „Entscheidend ist ein klares Konzept für den effizienten Einsatz des Milliardenpakets, das Vertrauen schafft. Nur so wird sich die Stimmung im Land nachhaltig drehen.“
Deutschland droht Deindustrialisierung: Viele Unternehmen wollen abwandern
Auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger vermisst in den ersten Verhandlungsergebnissen von Union und SPD „ein Aufbruchsignal an die Wirtschaft“. Was bislang aus den Arbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen zu hören sei, „stimmt mich nicht zuversichtlich“, erklärte er in der vergangenen Woche. „Die Chefverhandler von Union und SPD müssen die Chance nutzen, den Koalitionsvertrag noch zu einem großen Wurf zu machen.“ Ein Reformprogramm für Deutschland müsse die Papiere der Arbeitsgruppen ergänzen und fortentwickeln.
Dulger forderte „eine grundlegende Politikwende“. Er betonte: „Die kommenden vier Jahre müssen durch die Parteien genutzt werden - sonst schließt sich das Fenster, Wachstum in Europa gestalten zu können.“ Konkret spricht sich der Arbeitgeberpräsident unter anderem für eine Begrenzung steigender Sozialbeträge und eine Arbeitsmarktpolitik aus, „die fordert und fördert“.

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Am Wochenende schickten rund 60 Verbände aus der Wirtschaft einen Brandbrief an die Chefverhandler. Darin warnen sie ganz konkret: „Die bisherigen Nachrichten aus den Koalitionsverhandlungen lassen befürchten, dass unsere Betriebe ihre Investitionen wie zuletzt ins Ausland verlagern oder ganz aufhören und Investoren um Deutschland einen Bogen machen“. Besonders fordern die Verbände eine Unternehmenssteuerreform, die Deutschland wettbewerbsfähiger mache. Im Sondierungspapier hatten sich die Koalitionäre noch auf eine solche Reform geeinigt.
Gewerkschaften fürchten 13-Stunden-Schichten: Merz soll nicht ans Arbeitszeitgesetz ran
Derweil schicken auch die Arbeitnehmervertreter warnende Signale an den künftigen Kanzler Friedrich Merz (CDU). Besonders Sorgen bereitet dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) der schwarz-rote Plan zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes, das statt einer täglichen Höchstarbeitszeit eine Wochenarbeitszeit festlegt.
„Das Arbeitszeitgesetz ist keine politische Verhandlungsmasse“, sagte DGB-Chefin Yasmin Fahimi den Zeitungen der Funke Mediengruppe (31. März). „Es ist ein Schutzgesetz, das Erholung und Gesundheit sichert, und fußt auf arbeitsmedizinischen Erkenntnissen.“ Bereits in zu vielen Branchen kämen Beschäftigte längst an ihre Belastungsgrenze. „Dort droht ein Kollaps mit einer weiteren beliebigen Ausweitung der Arbeitszeiten.“
Weiter kritisiert sie: „Wäre nur die tägliche Ruhezeit von elf Stunden gesichert, riskieren wir regelmäßige 13-Stunden-Schichten als neuen Standard.“ (wal mit AFP und dpa)