„Terror“ in der Ukraine und „Katastrophe“ für die Welt: Nobelpreisträgerin warnt vor falscher Nuklear-Sorge

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Olaf Scholz will keine „Taurus“ liefern. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA zeigt die ukrainische Friedensnobelpreisträgerin Verständnis – warnt aber eindringlich.

München – Die ukrainische Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk hat in einem Interview mit IPPEN.MEDIA Verständnis für deutsche Sorgen vor einer Eskalation mit Wladimir Putins Russland geäußert, etwa angesichts der umstrittenen Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Sie warnte jedoch eindringlich vor den globalen Folgen, sollte die Unterstützung für die Ukraine ausbleiben. Eine „Katastrophe“ für die gesamte Welt könne die Konsequenz sein.

Scholz und Putin vor einer Rakete
Bundeskanzler Olaf Scholz (li.) ist vorsichtig bei Taurus-Lieferungen – wohl aus Sorge vor Wladimir Putins Russland. © Bernd Elmenthaler/ITAR-TASS/SNA/IMAGO/Montage

„Ich habe Empathie mit diesen Menschen“, sagte Matwijtschuk angesprochen auf Sorgen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und in Deutschland vor einer „Eskalation“ mit der Atommacht Russland. Grund sei aber eine falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit. „Sie wollen nicht die Realität akzeptieren, dass die Weltordnung, wie wir sie kannten, am Ende ist“, erklärte Matwijtschuk. Das gesamte System von Frieden und Sicherheit der Vereinten Nationen kollabiere „vor unseren Augen“. Dies sei bereits in Ländern wie Syrien, Myanmar oder Afghanistan spürbar gewesen – nun aber auch in Europa durch den Krieg in der Ukraine.

Scholz bleibt bei „Taurus“ im Ukraine-Krieg hart: „Sicher, dass diese Entscheidung geändert werden wird“

Die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2022 wies darauf hin, dass Russlands Präsident Wladimir Putin bisher „ungestraft“ agieren konnte. Dies werde von autoritären Staaten wie China, Iran oder Nordkorea genau beobachtet. Sie könnten sich ebenfalls dazu entschließen, ihre geopolitischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Matwijtschuk warnte: „Wenn wir heute Angst haben, die Komfortzone zu verlassen, erwartet uns morgen die Katastrophe.“

Die Ukraine erlebe indes immer wieder den gleichen Fortgang, wenn sie um Waffen bitte: Es habe zunächst auch eine „scharfe Debatte“ über die Lieferung moderner Panzer oder F16-Kampfjets gegeben – bevor diese dann doch geliefert wurden. „Insofern bin ich sicher, dass diese Entscheidung geändert werden wird“, sagte Matwijtschuk in Bezug auf die umstrittene Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern oder die Erlaubnis, westliche Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen. Sie betonte jedoch: „Die Zeit drängt.“

Die Wahrnehmung von Zeit in der Ukraine unterscheide sich stark von der in Deutschland oder Frankreich. „Denn in einem Krieg, für uns, wird Zeit in zahllose Tode umgesetzt.“ Jeder Tag der Verzögerung führe zu unzähligen Todesfällen auf den Schlachtfeldern, im Hinterland und in den besetzten Gebieten. „Politiker können diese Verzögerungen mit der Sorge vor einer Eskalation erklären. Aber Russland hat bereits alle roten Linien überschritten.“

Frieden im Ukraine-Krieg: „Terror“ in besetzten Gebieten – Unterstützer brauchen „Ziel“

Die Friedensnobelpreisträgerin warnte davor, anzunehmen, dass ein diplomatischer Kompromiss mit Russland „Frieden“ bedeute. Putins Statthalter hätten in den besetzten Gebieten Terror gegen Zivilisten etabliert. „Die Russen haben bewusst eine aktive lokale Minderheit ausgelöscht; etwa Journalisten, Bürgermeister, Freiwillige, Geistliche, Lehrer. Sie bringen ukrainische Kinder nach Russland, um sie ‚russisch‘ erziehen zu lassen.“

Die Menschen in diesen Gebieten lebten in einer Grauzone ohne Schutz und rechtliche Mittel, erläuterte die 40-Jährige die Lage in den okkupierten Zonen. „Um es klar zu sagen: Eine Besetzung verringert nicht menschliches Leid, sie macht es nur unsichtbar“, betonte Matwijtschuk. Sie mahnte, ein klares Ziel sei notwendig: Ein Sieg der Ukraine über den Aggressor Russland. „Wir brauchen eine gemeinsame Strategie – und wir können keine Strategie mit unseren internationalen Partnern haben, wenn wir kein gemeinsames Ziel definiert haben“, sagte sie.

Matwijtschuk, die 2022 den Friedensnobelpreis als Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties (CCL) erhielt, betonte auch, dass die Ukraine „sehr dankbar“ für die Unterstützung aus Deutschland sei. „Das hilft uns, zu überleben.“ Das CCL hat unter anderem Menschenrechtsverletzungen bei der Niederschlagung der Euromaidan-Proteste und spätere russische Kriegsverbrechen in besetzten Gebieten dokumentiert. (fn)

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