200 Jahre altes Traditionsunternehmen insolvent: Über 200 Mitarbeiter betroffen – „Zieht mir die Schuhe aus“

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Die Aussichten für die Mitarbeiter von Glatfelter in Ober-Schmitten scheinen sich zu verbessern. ARCHIV © pv

Ein 200 Jahre altes Traditionsunternehmen meldet Insolvenz an. Noch vor einem Jahr herrschte beim Papierhersteller große Euphorie. Nun folgt der Schock.

Nidda – Die Pleitewelle in Deutschland geht in ihre nächste Runde. Nach der Insolvenz eines bekannten Marktführers, einer Traditionswerft nach der Staatsrettung der Konkurrenz und dem Insolvenzverfahren eines führenden Grillausstatters in Deutschland sowie eines bekannten Bratwurstherstellers im August, ist nun ein weiteres Traditionsunternehmen insolvent.

200 Jahre altes Traditionsunternehmen ist insolvent: Über 200 Mitarbeiter bei Papierhersteller betroffen

Die Rede ist von der ISHPaper GmbH und der Spezialpapierfabrik Ober-Schmitten GmbH aus Nidda im Wetteraukreis in Hessen, die am Mittwoch (4. September) Insolvenz beim Gericht in Friedberg anmelden mussten. Noch vor einem Jahr herrschte Optimismus bei dem in Schieflage geratenen Papierhersteller, der einfach SPO genannt wird. Damals übernahm die IS Holding die Traditionsfirma von dem amerikanischen Konzern Glatfelter für den symbolischen Betrag von einem Euro, nachdem dieser die Maschinen abgestellt und den Standort geschlossen hatte.

„Wir kennen unsere Geschichte, und es wird eine phänomenale Geschichte“, verkündete Ilkem Sahin, Chef der IS Holding damals nach der Übernahme des heute insolventen Papierherstellers. „Ich habe keinen Zweifel, dass der Erfolg kommt.“ Und auch im Frühjahr 2024 sah es noch danach aus, als könnte das Versprechen in die Realität umgesetzt werden. Schließlich kündigte die neue Konzernspitze den Kauf einer neuen Papiermaschine an und wollte zudem 500 Millionen Euro in den Niddaer Stadtteil investieren. Neue Mitarbeiter wurden eingestellt, fünf Auszubildende starteten im August ins erste Lehrjahr.

200 Jahre altes Traditionsunternehmen meldet Insolvenz an: Über 200 Mitarbeiter bei Papierhersteller betroffen

Nun sitzt der Schock in Nidda tief. Während bei einem insolventen Weltmarktführer bereits 200 Angestellte ihren Stellen verloren, stehen durch die Insolvenz des Traditionsunternehmens die Jobs von über 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Nidda auf der Kippe. Viele von ihnen zeigen sich nach der Insolvenz der Papierfabrik geschockt. Allen voran der Werkleiter Hagen Knodt, den die Nachricht offenbar im Griechenland-Urlaub erreichte.

„Das ist ein Schock, es zieht mir die Schuhe aus“, sagt er im Gespräch mit der Frankfurter Neuen Presse (FNP) von IPPEN.MEDIA. Vor einem Jahr holten ihn die Geschäftsführer wieder nach Ober-Schmitten in den Betrieb. Sie wollten sich um die bestehenden Probleme kümmern, berichtet Knodt weiter. Dann sei es ruhig geworden.

Traditionsreicher Papierhersteller meldet Insolvenz an: „Dafür habe ich kein Verständnis“

Niddas Bürgermeister Thorsten Eberhard zeigte sich ebenfalls von der Nachricht der Insolvenz völlig überrascht. „Ich bin mega-enttäuscht, sprachlos und kann das Ganze noch nicht einordnen“, bringt er sein Unverständnis bei der FNP über die Insolvenz zum Ausdruck. „Von jetzt auf gleich in eine Insolvenz zu gehen, dafür habe ich kein Verständnis.“

Es sei ganz schlimm für die Leute, insbesondere für die Wiederkehrer. Diese müssten sich komplett verschaukelt fühlen. „Das ist einfach nur unfair, den Menschen gegenüber“, fuhr Eberhard aus. Erklären könne er sich diese Abläufe noch nicht.

Traditionsunternehmen ist insolvent: Papierhersteller exportiert Produkte nach China, Indien und Japan

Das insolvente Traditionsunternehmen stellt in der Produktion zwei Sorten von Papier in der Spezialpapierfabrik her, die nicht nur hierzulande, sondern auch im Ausland Anklang und Absatz finden. Zum einen Transparentpapier, das etwa als Verpackung für Pralinen, zum Backen, als Sichtfenster von Briefumschlägen dient oder beim einfachen Basteln Verwendung findet. Darüber hinaus erinnerte Knodt in einem früheren Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) auch an das traditionelle Butterbrotpapier, das vollständig aus Zellstoff besteht und frei von Kunststoffen auf Grundlage von Erdöl ist. Transparentpapiere exportierte die Fabrik vor der Insolvenz nach Indien, Japan und nach China.

Die zweite Produktlinie von SPO findet sich in Spulen, Kabel oder auch Kondensatoren wieder. Weil in der Europäischen Union künftig Plastik durch andere Werkstoffe ersetzt werden soll, erkannte Knodt in der FAZ einiges Wachstumspotential für Transparentpapiere als Verpackung von Lebensmitteln und anderen Erzeugnissen.

200 Jahre alter Papierhersteller meldet Insolvenz an: Bekanntes Gesicht als Sachverwalter eingesetzt

Nach der Insolvenz des Papierherstellers mit den Standorten in Nidda und Ober-Schmitten bestellte das Amtsgericht Friedberg den Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Jan Markus Plathner von der Kanzlei Brinkmann & Partner zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Plathner ist keineswegs ein Unbekannter in der Branche. Vor einigen Jahren fungierte er als Sachverwalter beim Papierhersteller PaperlinX. In der WirtschaftsWoche erklärte er, dass er sich zunächst einen Überblick verschaffen wolle.

Dazu könnte auch gehören, dass nach Angaben der FNP für den Monat August noch keine Löhne an die Belegschaft der SPO ausgezahlt worden seien. „Unsere Mitglieder haben uns durchgegeben, dass für den Monat August die Löhne und Gehälter ausstehen“, erklärte Astrid Rasner, Gewerkschaftssekretärin der IGBCE Mittelhessen, ebenfalls in der WirtschaftsWoche. Nun dürfte sie zunächst Insolvenzgeld erhalten, um die Löhne der Belegschaft vorerst zu sichern. 

Traditionshersteller aus Hessen ist insolvent: SPO nicht das einzige Unternehmen der IS-Holding

Derweil ist das insolvente Traditionsunternehmen aus Hessen nicht das einzige Unternehmen der türkischen Investoren von IS-Holding. Denn auch der bekannte Autozulieferer BBS sieht sich derzeit einem Insolvenzverfahren ausgesetzt. Im vergangenen Jahr übernahm Geschäftsmann Sahin den Felgenhersteller, der Michael Schumachers erstes Weltmeisterauto ausstattete, aus dem damals bereits vierten Insolvenzverfahren heraus.

Reibungslos lief offenbar auch diese Investition nicht ab. Schließlich musste das Unternehmen, das mittlerweile unter dem BBS Autotechnik GmbH geführt wird, am 26. Juli 2024 Insolvenz anmelden. Kurz zuvor wies der türkische Unternehmer noch Gerüchte über eine Insolvenz und ausbleibende Lohnzahlungen bei Merkur.de von IPPEN.MEDIA zurück.

Die IS Holding ist ein Mischkonzern. Zu dem Unternehmen zählen unter anderem der Müsli- und Snackhersteller Peyman, der bereits genannte Felgenfertiger BBS, Pizza-Hut- und KFC-Restaurants sowie eine Filmgesellschaft.

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