Neues EU-Verbot besorgt Unternehmen: Minister warnen vor „dramatischen Folgen“

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Mit einer EU-Reform des Strommarktes sollen hohe Preise für Verbraucher vermieden und der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben werden. © Arne Immanuel Bänsch/dpa

In einem Brandbrief warnt Hubert Aiwanger vor den drastischen Folgen eines EU-Verbots für PFAS-Stoffe. Der bayrische Wirtschaftsminister befürchtet ein Sterben der chemischen Industrie.

München – Die Landesregierungen von Bayern und Baden-Württemberg wehren sich mit einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gegen ein geplantes PFAS-Verbot der Europäischen Union. Laut des bayrischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und seiner baden-württembergischen Amtskollegin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hätte eine derartige pauschale EU-Chemikalienregulierung „dramatische Folgen“ für die heimische Chemiebranche.

PFAS-Verbot: Chemikalien sind nicht zu ersetzen

Bei Beschränkungen des als „Ewigkeitschemikalie“ bekannten PFAS drohten Produktionsverlagerungen ins außereuropäische Ausland, erklärten die Minister in ihrem Brief, über den die WirtschaftsWoche zuerst berichtete. Das liege an der Einzigartigkeit der PFAS, die aufgrund ihrer Eigenschaften als wasser-, fett- und schmutzabweisend im industriellen Einsatz in den kommenden Jahren nicht zu ersetzen seien.

Die Abkürzung PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, die nach Schätzungen eine Gruppe von rund 10.000 industriell hergestellten Substanzen umfasst. PFAS werden in zahlreichen Produkten wie Kosmetika, Kochutensilien und Textilien verarbeitet. Auch bei Fast-Food-Verpackungen, Kinderprodukten, Oberflächenschutz, verschiedenen Wachs-Produkten, Farben oder Elektronikgeräten bilden sie einen für die Industrie einen aufgrund ihrer einzigartigen Beschaffenheit unverzichtbaren Inhaltsstoff.

EU-Verbot für PFAS könnte Chemieindustrie hart treffen

In Bayern und Baden-Württemberg ist die von einem möglichen PFAS-Verbot betroffene Chemiebranche einer der wirtschaftsstärksten Industriezweige – und Großarbeitgeber für tausende Beschäftigte. In Bayern betrug der Umsatz der chemischen Industrie im Jahr 2023 fast 23,5 Milliarden Euro und versorgte 65.121 Menschen mit Arbeit. In Baden-Württemberg ist die Branche für ein Umsatzergebnis von 26,2 Milliarden Euro bei 64.150 Beschäftigten verantwortlich. Deutschlandweit erwirtschaftete die Branche 2023 fast 225,5 Milliarden Euro und beschäftigte rund 480.000 Menschen.

Die Wirkung der Stoffe ist im wissenschaftlichen Diskurs umstritten. Wenngleich die Stoffe bereits seit 1940 von der Industrie verwendet werden, sind noch immer nicht alle Stoffe der PFAS endgültig erforscht. Aiwanger und Hoffmeister-Kraut berufen sich auf eine Einschätzung der OECD, die den Großteil der industriell eingesetzten Fluorpolymere als wenig besorgniserregend bewertet. Demnach seien rund 96 Prozent der Stoffe, die das PLC-Label („polymers of low concern“) tragen, in der zeitlich beschränkten Verwendung von Industrieprodukten unbedenklich.

Verbraucherzentrale befürwortet Beschränkung aller Ewigkeitschemikalien

Auch der wenig negative Einfluss auf die Umwelt sei durch verschiedene Studien belegt, weswegen die Minister vor einem generellen Verbot warnen: „Diese unbedenklichen Fluorpolymere zunächst pauschal zu verbieten und anschließend über viele einzelne Ausnahmen die wichtigsten Anwendungen wieder zuzulassen, ist aus unserer Sicht der falsche Ansatz und führt zu zahlreichen Problemen in der Praxis.“

Dieses Argument sehen Expertinnen und Experten kritisch: Die Verbraucherzentrale setzt sich etwa für eine Beschränkung der gesamten Stoffgruppe ein. Gezielte Verbote von nachweislich schädlichen PFAS hätten in der Vergangenheit dazu geführt, dass diese durch noch unerforschte, nicht-regulierte und möglicherweise noch schädlichere Stoffe ersetzt wurden. Für die Behörden sei es aufgrund der rasanten Entwicklung schlichtweg unmöglich, alle Stoffe am Markt zu überwachen.

Unbedenklich? PFAS-Stoffe in Trinkwasser, Lebensmittel und sogar Muttermilch nachgewiesen

Laut Bundesumweltministerium bergen viele PFAS eine konkrete Gefahr für Umwelt und Gesundheit, da sie nicht natürlich abbaubar sind. Außerdem tragen derartige Polymere als fluorierte Kunststoffe – anders als im Brief der Minister behauptet – bereits in der Herstellung und auch bei ihrer Entsorgung erheblich zur Umweltverschmutzung bei.

Grundsätzlich wurde PFAS bereits im Trinkwasser, tierischen und pflanzlichen Lebensmittel nachgewiesen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung warnt zudem davor, dass auch Außen- und Innenraumlauft, Hausstaub sowie die Muttermilch mit PFAS belastet sei. Bei Menschen steht die Aufnahme von PFAS laut verschiedenen Studien mit Schädigungen der Leber, des Hormon- und Immunsystems, Stoffwechselstörungen, Verringerung der Fruchtbarkeit sowie Krebs im Zusammenhang. Aufgrund der thermischen Beständigkeit der Stoffe wurden diese bereits in abgelegenen Gebieten wie etwa in Sibirien nachgewiesen. Eine Recherche von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung zeigte im vergangenen Jahr, dass in Deutschland mehr Orte durch PFAS verunreinigt seien, als bisher angenommen.

Aiwanger und Hoffmeister-Kraut sehen von der Leyen in der Pflicht: Wettbewerbsfähigkeit bedroht

Deutliche Kritik äußerten Aiwanger und Hoffmeister-Kraut auch am bürokratischen Vorgehen der EU, die mit ersten Regulierungsvorschlägen frühstens 2026 vorbringen würden: „Diese lange Phase der Unsicherheit bei den Unternehmen bedroht die Unabhängigkeit Europas bei der Versorgung mit strategisch bedeutsamen Chemikalien und die Wettbewerbsfähigkeit.“ Tatsächlich plant die EU kein sofortiges Verbot, sondern arbeitet an einer differenzierten Beschränkung. Der bisherige Gesetzesentwurf sieht zudem sehr lange Übergangsfristen von bis zu 13,5 Jahren und durchaus Ausnahmen für in der Industrie unverzichtbare Anwendungen vor.

Dennoch sehen die Minister durch das Verbot ein großes Risiko, dass sich Unternehmen zur Abwanderung entscheiden und die Innovationsfähigkeit der Chemiebranche in Deutschland nachhaltig gefährdet sei. Vielmehr plädieren die Minister dafür, dass sich die EU an den PFAS-Regelungen der USA und Großbritannien orientieren sollten. Nur so wäre die Wettbewerbsfähigkeit und „technologische Souveränität“ Europas gewährleistet. Chemikalienvielfalt und Chemikalienverfügbarkeit seien darüber hinaus für einen attraktiven Standort Deutschland und Europa unverzichtbar. Deshalb erwarte man sich „schnellstmögliche Signale, dass dieser Vorschlag zumindest in Erwägung gezogen wird“, erklären die Minister abschließend.

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