Machtkampf um Saluschnyj: Klitschko kritisiert Selenskyj scharf - „Schluss mit Intrigen“

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Prominente Ukrainer können nicht verstehen, warum Präsident Wolodymyr Selenskyj den verdienten General Walerij Saluschnyj ausgerechnet jetzt loswerden will. Sie finden deutliche Worte.

Kiew - Mitten in einer schwierigen Phase im Ukraine-Krieg ist in Kiew ein spektakulärer Machtkampf ausgebrochen. Präsident Wolodymyr Selenskyj will sich vom Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj trennen, doch der oberste General der ukrainischen Streitkräfte lehnt einen Rücktritt ab.

Ukraine: Machtkampf zwischen Wolodymyr Selenskyj und Walerij Saluschnyj

Der 50-jährige hemdsärmelige Saluschnyj gilt bei seinen Soldaten und in der Bevölkerung der Ukraine als äußerst beliebt. Im Jahr 2022 verbuchten die ukrainischen Truppen unter seinem Kommando Aufsehen erregende militärische Erfolge gegen die russische Invasionsarmee von Kreml-Autokrat Wladimir Putin. Jetzt haben sich prominente Ukrainer demonstrativ auf seine Seite geschlagen.

Vitali Klitschko, Ex-Profiboxer und gegenwärtig Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt, erklärte laut Nachrichtenportal Ukrainska Pravda: „Es war vor allem Saluschnyj zu verdanken, dass die Ukrainer wirklich an unsere Streitkräfte geglaubt haben, die heute am meisten Vertrauen genießen. General Walerij Saluschnyj hat als Soldat während des Krieges viele schwierige Momente durchgemacht. Nur er weiß, wie viele es tatsächlich waren.“

In der Kritik: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
In der Kritik: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. © IMAGO / ZUMA Wire

Selenskyj contra Saluschnyj: Klitschko schlägt sich auf die Seite des Generals

Klitschko kritisierte harsch, dass „die Politik wichtiger sein kann als der gesunde Menschenverstand und die Interessen des Staates“. Heute, da die Ukraine „um ihr Überleben kämpft, geht es vor allem um die Kampffähigkeit und Zusammenhalt der Armee sowie die Einheit der Gesellschaft. Ist das das Ziel der angedeuteten Veränderungen? Die Gesellschaft ist verunsichert. Und das sollte berücksichtigt werden. Letztendlich: Schluss mit politischen Intrigen und internen Kämpfen.“

Was Klitschko mit angedeuteten Veränderungen meinte: Selenskyj hat in einem Interview mit dem italienischen Sender Rai 1 angekündigt, die aktuelle politische und militärische Führung des Landes austauschen zu wollen. „Ein Reset, ein Neuanfang ist notwendig“, erklärte der 46-jährige Selenskyj: „Ich meine damit die Ablösung einer Reihe von führenden Persönlichkeiten, nicht nur in einem einzelnen Bereich wie dem Militär.“ Es wirkte geradezu, als wolle Selenskyj, der nominell Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber ist, sein Misstrauen gegenüber Saluschnyj bestätigen.

Selenskyj gegen Saluschnyj: Ukraine-Unterstützer Prytula fordert Aussprache

„Die Soldaten in den Schützengräben kümmert das alles wenig. Ihnen geht es darum, die Linie zu halten und den nächsten Tag zu überleben“, meinte indes der ehemalige ukrainische Fernsehmoderator Serhij Prytula, der mit Spendengeldern seiner Stiftung die Armee unterstützt - unter anderem mit Drohnen.

„Meiner Meinung nach sollten die Beteiligten das nicht in der Öffentlichkeit austragen. Sie sollten zum Telefon greifen und das hinter verschlossenen Türen klären. Alles andere macht die Gesellschaft nur verrückt“, sagte Prytula der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.): „Wir haben schon einen Feind im Osten, wir brauchen keinen zweiten innerhalb des Landes. Wir müssen die internen Kämpfe stoppen und unsere Einheit bewahren. Ansonsten werden die Russen unseren Staat zerstören!“

General Walerij Saluschnyj hat als Soldat während des Krieges viele schwierige Momente durchgemacht. Nur er weiß, wie viele es tatsächlich waren.

Ukraine-Machtkampf: Saluschnyj veröffentlichte Artikel wohl ohne Info an Selenskyj

Das Vertrauensverhältnis zwischen Selenskyj und Saluschnyj gilt schon seit November als belastet, nachdem das britische Nachrichtenmagazin Economist einen Gastbeitrag des Generals zum festgefahrenen Krieg gegen die Invasion durch Russland veröffentlicht hatte. Und das ohne Absprache mit Selenskyj, was man laut Spiegel im Präsidentenbüro beklagte. Saluschnyj sprach unter anderem von einem „Stellungskrieg“ ohne Dynamik, was der Präsident umgehend verneinte.

Anfang Februar legte Saluschnyj in einem Interview mit dem amerikanischen Sender CNN nach, in dem er erklärte, eine ukrainische Drohnen-Offensive solle Putins Truppen in die Schranken weisen. Offenbar wurde das Interview vor Selenskyjs Versuch geführt, Saluschnyj zum Rücktritt zu bewegen. Formal kann indes nur Verteidigungsminister Rustem Umjerow den obersten General entlassen. Das ist bislang, Stand 5. Februar, nicht geschehen. Weil Umjerow um die wahrscheinliche Tragweite einer Saluschnyj-Entlassung weiß, während Widersacher Putin eine möglicherweise noch größere Mobilisierung der russischen Bevölkerung angekündigt hat?

Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte: Walerij Saluschnyj.
Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte: Walerij Saluschnyj. © IMAGO / ZUMA Press

Wolodymyr Selenskyj: Ukraine-Präsident warnt seinen Oberkommandierenden

Im November 2023 hatte Selenskyj den General im Interview mit der britischen The Sun vor angeblichen politischen Ambitionen gewarnt: „Bei allem Respekt für General Saluschnyj und alle Kommandeure, die auf dem Schlachtfeld sind, gibt es ein absolutes Verständnis der Hierarchie, es kann nicht zwei, drei, vier, fünf geben. Wenn man den Krieg mit dem Gedanken führt, dass man morgen Politik oder Wahlen macht, dann verhält man sich in seinen Worten und an der Front wie ein Politiker und nicht wie ein Militär.“

Saluschnyj hatte politische Ambitionen dagegen dementiert. Unter seinem Kommando hatten die ukrainischen Streitkräfte im Frühjahr 2022 die russische Armee aus den nördlichen und nordwestlichen Vorstädten von Kiew (etwa 2,8 Millionen Einwohner) sowie aus der Millionenstadt Charkiw (rund 1,5 Millionen Einwohner) zurückgedrängt. Im Herbst 2022 befreiten die ukrainischen Truppen unter seinem Befehl Cherson an der Schwarzmeerküste und schlugen die Russen mit einer überraschenden Finte bei Charkiw im Nordwesten des Landes hinter die Grenze zurück. (pm)

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