Deutschland wartet auf eine Ruck-Rede - doch Merz predigt lieber Zuversicht

  • Im Video oben: Merz eröffnet seine Rede zur Einheit mit Witz und hält flammenden Appell - Experte sieht "bemerkenswerte Rede"

Was die Spin-Doktoren im Kanzleramt wohl bewogen hatte, das Gerücht zu streuen, der Kanzler werde am Tag der deutschen Einheit eine „Ruck-Rede“ halten? Friedrich Merz hat genau das nicht getan.

Jedenfalls keine “Ruck-Rede“, wie sie 1997 der damalige Bundespräsident Roman Herzog (CDU) gehalten hatte. Der hatte vor 28 Jahren gefordert: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“

Herzog plädierte damals für Abstriche an den gewohnten Besitzständen: „Alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen“. 

Merz tritt nicht in die Fußstapfen des Vaters der "Ruck-Rede"

Die damalige CDU/FDP-Regierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) befolgte Herzogs Rat nicht. Zu einem Ruck kam es erst, als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2003 seine Agenda-Politik durchsetzte.

Merz ist am 3. Oktober nicht in Herzogs Fußstapfen getreten. Er hat sich eher an seinem Vizekanzler von der SPD orientiert. Lars Klingbeil hatte nämlich kürzlich festgestellt: „Unser Hauptgegner ist die Laune“. Gemeint war offenbar die weit verbreitete schlechte Laune in der Gesellschaft wie auch in der Wirtschaft.

Appell an Zuversicht statt Predigt zu Blut, Schweiß und Tränen

Merz versuchte, die Laune zu verbessern. Er ließ keinen Zweifel daran, dass Deutschland vor großen Herausforderungen steht – sicherheitspolitisch, wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch. Doch predigte er nicht „Blut, Schweiß und Tränen“, sondern Zuversicht. 

Die Merz-Botschaft lautete: Das Land, die Gesellschaft und die Politik solle sich „mehr zuzutrauen“, solle einen „neuen Aufbruch“ zu wagen.

Merz beschwor „einen neuen Ehrgeiz". Das Land müsse international wieder Führungsrollen in Bereichen wie der Technologie einnehmen wollen. Auch müsse man zeigen, dass sich Wohlstand und Klimaschutz vereinbaren lassen.

Kanzler bemüht, Sorgen vor sozialem Kahlschlag zu zerstreuen

Der CDU-Vorsitzende war sichtlich bemüht, Sorgen vor einem sozialen Kahlschlag zu zerstreuen. Er plädierte für einen „neuen Konsens der Gerechtigkeit“. Die Lasten – auch zwischen Generationen – sollen so verteilt werden, dass der Sozialstaat in seinem Kern erhalten wird. 

Obwohl Merz zum 35. Jahrestag der Wiedervereinigung sprach, ging er nur kurz auf die historische Wende von 1989/90 ein. Stattdessen blickte er mehr nach vorn. „Unsere Nation steht mitten in einer wichtigen, vielleicht entscheidenden Phase ihrer neueren Geschichte.“

Aus den Ereignissen von damals zog der „Mut-Macher“ Merz eine wichtige Lehre: „Erinnern wir uns an die Zuversicht, mit der unsere ostdeutschen Landsleute vor 35 Jahren ihren Aufbruch wagten.“

Merz setzt also ungeachtet aller Schwierigkeiten auf Zuversicht und realistischen Optimismus. Mit Pessimismus und Larmoyanz vergeude man nur Zeit. So erwies sich die vermeintliche „Ruck-Rede“ als „Mut-Rede“.