„July Storm“: Putin lässt die Ostsee brodeln – Experten prophezeien Eskalation

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„July Storm“: Putin lässt die Ostsee brodeln – Experten prophezeien Eskalation

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Putin setzt ein Ausrufezeichen gegenüber der Nato. Die Ostsee wird zum Herd aggressiven Gerangels um die Seeherrschaft; jetzt mischen Drohnen mit.

Moskau – „Die Ostsee ist Zentrum eines Spiels, das über das morgige Europa entscheiden wird“, schreibt Oliver Moody. Der Autor des aktuell erschienen Buches „Konfliktzone Ostsee“ behauptet, mit dem Ukraine-Krieg und Wladimir Putins ungehemmter Aggression sei die Zeit der europäischen Ostseestaaten angebrochen: „Als neuer Gegenpol Russlands bestimmen sie über die Zukunft Europas“, schreibt Moody. Focus Online berichtet davon, dass Sicherheitsexperten davon ausgingen, die Situation spitze sich zu und weitere Konflikte auf See stünden bevor.

Europa müsse sich „auf eine Provokations-Dynamik mit Russland einstellen, die sich nicht nur auf dem Meer abspielt, zitiert Focus Online Christian Bueger. Der Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Oslo glaubt, dass die Seemächte rund um die Ostsee nicht nur ihre Flotten aufmarschieren lassen, sondern „wir werden auch mehr und mehr Drohneneinsätze sehen“, so der Co-Autor einer aktuellen Studie zur internationalen Politik in globalen Ozean-Regionen.

Nato in Alarmstimmung: „Russland wird die Lage im Schiffsverkehr in der Ostsee beobachten“

Russland wird die Lage im Schiffsverkehr in der Ostsee beobachten und auf jeden konkreten Fall einer Festsetzung oder Inspektion von Schiffen dort oder anderswo im Weltmeer reagieren“, sagte Maria Sacharowa, Wie die russische Nachrichtenagentur Tass die Sprecherin des russischen Außenministeriums unter Präsident Wladimir Putin weiter zitierte, stellten diese nach Meinung des Kremls einen Verstoß gegen die Normen des internationalen Seerechts hinsichtlich der Freiheit der Seeschifffahrt dar.

„Obwohl ,July Storm‘ die größte Marineübung Russlands seit Jahren ist, bezeichnet Moskau sie als Routineübung.“

Moskau trumpft auf in der Ostsee. Neben der Schattenflotte dampfen auch mehr und mehr Überwasser- sowie Unterwasserschiffe durch das Gewässer und zeigen Flagge gegenüber der Nato, die sich seit dem Beitritt Schwedens sicherer fühlt in dieser Region. Ihr Handlungsspielraum wird erweitert, der russische dagegen eingeengt; ziviler Handel sowie die militärische Logistik müssen für den Alarm- beziehungsweise Verteidigungsfall neu austariert werden. Ein Reibungsprozess, der offensichtlich in vollem Gange ist. Möglicherweise hat sich die Nato mit dem Beitritt Schwedens zu früh darauf verlassen, dass diese neue Sortierung der Kräfte reibungsloser vonstatten gehen würde – ein Trugschluss, wie Oliver Moody klarstellt.

Ich habe jedoch ein Problem mit der ,Nato-Meer‘-Rhetorik, wenn sie selbstgefällig wird und die militärstrategischen Realitäten ignoriert: nämlich, dass Russland weiterhin enormen Druck auf die gesamte Ostseeregion und insbesondere auf die baltischen Staaten ausübt. Der Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands hat daran nichts Wesentliches geändert“, sagt der Buchautor im Interview mit dem Berliner Thinktank Zentrum Liberale Moderne über Putins Strategie im Baltikum.

Schon fünf vor Zwölf für die Nato? „Russland nicht an einer vertikalen Konflikteskalation interessiert“

Bereits 2019 hatte das russische Magazin Top War vorausgeahnt, was in einem Konfliktfall in der Ostsee zu erwarten sein würde: Der westlichen Verteidigungsallianz gelte die Ostsee als wichtiger und schützenswerter Weg für Operationen gegen Russland; Ziel sei, Landstreitkräfte im Baltikum mit Seetransporten durch deren Häfen zu versorgen, so die Autoren. „Deshalb wird die Nato natürlich verlangen, dass keine ausländischen Flotten mehr auf der Ostsee sind und die Logistik bedroht wird.“ Tatsächlich gelten die zu Putins Schattenflotte gezählten Tanker als Risiko für Handel und Umwelt, weswegen die Anrainer restriktiv regieren; was in Moskau als Affront interpretiert wird.

Wladimir Putin lässt den Zerstörer Vice-Admiral Kulakov an sich vorbeiziehen
Putins maritime Paradepferde: Flottenparade in St. Petersburg 2021 – der Diktator und seine damaliger Verteidigungsminister Sergei Shoigu lassen den Zerstörer Vizeadmiral Kulakow an sich vorbeiziehen. Das Schiff machte gerade vor Fehmarn auf sich aufmerksam. © IMAGO/TASS/Alexei Nikolsky

Allerdings hatte bereits 2018 Tobias Oder darauf hingewiesen, das die Seewege zwar auch im Fokus der Nato lägen, allerdings besonderes Augenmerk im Westen die russsische Enklave Kaliningrad genieße. Dort hat Russland neben der Baltischen Flotte auch Raketen stationiert und als Stachel im Fleisch des Westens eine konkrete Drohkulisse für einen schnellen Zugriff auf das Baltikum errichtet, so der Autor für den Thinktank Center for International Maritime Security. Zu der Zeit war an die Verstärkung der Nato durch Finnland und Schweden im Traum noch nicht zu denken, und Russland hatte in der Ostsee vielleicht sogar noch Oberwasser.

Allerdings hat Autor Oder behauptet, „dass Russland nicht an einer vertikalen Konflikteskalation interessiert“ sei, also vermeiden wollte, aus einem schwelenden politischen Konflikt eine militärische Konfrontation zu machen. Mit dem Ukraine-Krieg hat sich diese These offensichtlich erledigt. „Daher wird Russlands Endziel nicht darin bestehen, möglichst viele feindliche Schiffe zu zerstören, sondern vielmehr ein Signal an die Gegner zu senden und sie so lange wie nötig davon abzuhalten, ihre Schiffe östlich deutscher Hoheitsgewässer zu befahren“, so Oder damals. Dass Putin auch jetzt stillhalten könnte, bleibt zu hoffen. Die Rhetorik Russlands sowie deren Bewegungen in dem Gewässer deuten aber in eine andere Richtung.

Vorbild Ukraine-Krieg: Drohnenwelle aus dem Schwarzen Meer schwappt über kurz oder lang in Ostsee über

Letztendlich mündete Tobias Oder in der These, dass Russland versuche herauszufinden, welcher Tropfen der vorletzte wäre, der für die westliche Verteidigungsallianz das Fass zum Überlaufen bringe: Ihm zufolge setze Russland auf A2/AD-Fähigkeiten, die die Verteidigung der baltischen Staaten für westliche Entscheidungsträger unattraktiv oder zu kostspielig erscheinen lassen. Anti-Access/Area Denial (oder A2/AD) gilt als militärische Strategie zur Kontrolle des Zugangs zu und innerhalb eines Operationsgebiets. – letztendlich wird jetzt ausgeknobelt, wer sich für das mögliche Gerangel um den Schlüssel zur Ostsee in die beste Startposition bringt.

Möglicherweise schwappt auch Putins Drohnenwelle aus dem Schwarzen Meer über kurz oder lang in die Ostsee über. Wie die Kieler Nachrichten berichtet haben, habe ein regulär den Fehmarnbelt passierendes Kampfschiff offenbar Kontakt mit einer Drohne gehabt – wo diese hergekommen war, sei fraglich. Aber auf Pressefotos sei zu sehen gewesen, dass ein Matrose versucht habe, die Drohne mittels elektronischer Störung, einem „Jammer“ abzuwehren. Ansonsten sei an der Passage des russischen Zerstörers Vizeadmiral Kulakow nichts zu beanstanden gewesen. Laut den Kieler Nachrichten beschäftige das Schiff die Nato aber regelmäßig in der Ostsee.

Die Tagesschau berichtet rund um die Ostsee aktuell von zwei Trends, die die Vorboten eines Drohnenkrieges über dem Gewässer bedeuten können: Erstens habe die schwedische Marine inzwischen häufiger zu tun mit havarierten zivilen Schiffen – offenbar weil deren GPS-Navigation gestört gewesen war. Vermutete Störungsquelle: Russland. Zweitens hat Wladimir Putin eine Flottenparade in St. Petersburg abgesagt; dort war eine Ansammlung von Drohnen aufgetaucht. Vermutete Störungsquelle: Ukraine.

Putin verdächtig: „Daher muss da jemand aktiv zugange sein und die GPS-Signale stören“

„Im Normalfall stellen wir die Störungen regelmäßig bei Wind und Wetter fest. Jetzt ist es plötzlich deutlich mehr geworden. Daher muss da jemand aktiv zugange sein und die GPS-Signale stören“, zitiert die Tagesschau Jonas Franzen. Laut dem Angehörigen der schwedischen Schifffahrtsbehörde würde den Navigationsgeräten entweder eine falsche Position vorgegaukelt oder sie würden ganz außer Gefecht gesetzt werden.

Eine Störung der Sicherheit erlebt aktuell über der Ostsee auch Russland. Am Sonntagmorgen seien im Raum St. Petersburg mehr als zehn ukrainische Drohnen abgeschossen worden, berichtet die Tagesschau unter Berufung auf die Absage des Tages der Marine samt Flottenparade durch den Kreml. Gleichzeitig hat Russland eine russische Marine-Großübung beendet. Die hatte am 23. Juli begonnen und mehr als 150 Schiffe, 120 Flugzeuge, zehn Küstenraketensysteme und rund 15.000 Soldaten der Pazifikflotte, der Nordflotte, der Baltischen Flotte sowie der Kaspischen Flottille umfasst.

Ein Ausrufezeichen Putins gegenüber der Nato, wie Peter Suciu für das Magazin National Interest feststellt – trotz des Marine-Desasters gegen die Ukraine sollte das Manöver Russlands Reputation als Seemacht wieder aufpolieren, so Suciu: „Obwohl ,July Storm‘ die größte Marineübung Russlands seit Jahren ist, bezeichnet Moskau sie als Routineübung.“

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