Chef-Forscher warnt: Italiens Supervulkan ist unberechenbar – „Evakuierungspläne unzureichend“

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Der leitende Forscher des italienischen Vulkaninstituts warnt: Der Supervulkan könnte ohne lange Vorwarnzeit ausbrechen. Die jetzigen Evakuierungspläne sind unzureichend, kritisiert der Experte.

Neapel/Pozzuoli – Seit Monaten ist der Supervulkan der phlegräischen Felder aktiv, wie seit Jahrzehnten nicht mehr, wenn nicht seit Jahrhunderten. Ein Beben jagt im Süden Italiens das andere, zuletzt gab es am Montag (29. April) um 10.34 Uhr einen Stoß der Magnitude 2,4. Die Bucht von Neapel hat sich so weit emporgehoben, dass sie noch nie gemessene Höhen erreicht hat.

Die Behörden erwarten offiziell keinen Ausbruch in nächster Zeit - Experte widerspricht

Dennoch wird das Nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) nicht müde, zu betonen, dass es keinerlei Anzeichen für einen bevorstehenden Ausbruch gebe. Das INGV überwacht die phlegräischen Felder und auch den benachbarten Vesuv wie alle Vulkane Italiens. Die Messgeräte an den phlegräischen Feldern, die neben Vesuv und Ätna zu den am besten überwachten Vulkanen der Welt gehören, zeigten keine Werte, die eine baldige Eruption anzeigen würden. Die Temperaturen der Dampfaustrittsstellen waren tatsächlich schon mal höher als jetzt, der CO2-Ausstoß ist zwar sehr hoch, doch auf hohem Niveau stabil. Das INGV konzentriert sich derzeit vor allem auf die Gefahr von Erdbeben, die schwerer als bislang ausfallen könnten.

Die Phlegräischen Felder sind ein Supervulkan und werden permanent überwacht.
Messinstrumente zeichnen am Solfatara-Krater in den Phlegräischen Feldern die Entwicklung auf. © IMAGO/napolipress

Der leitende Forscher des INGV, Giuseppe Mastrolorenzo, warnt den obersten INGV-Chef Carlo Doglioni jedoch in einer E-Mail vor der Unberechenbarkeit des Riesenkraters. In der Nachricht, die dem Corriere della Sera vorliegt, bezeichnet Mastrolorenzo die Notfallpläne für das Vulkanrisiko sowohl für die Campi Flegrei als auch den Vesuv für „im Wesentlichen unzureichend“. Derzeit geht das INGV von einer Vorwarnzeit von 72 Stunden aus, um die Roten Zonen rund um die Vulkane evakuieren zu können. Für Mastrolorenzo sind das Pläne, die „drastische Überarbeitungen erfordern“. Für die Kur- und Urlauberinsel Ischia 13 Kilometer westlich der phlegräischen Felder, die ebenfalls ein derzeit nur ruhender Vulkan ist, gebe es überhaupt keinen Evakuierungsplan.

Chefforscher: Mit Ausbruch wie am Vesuv 79. n. Chr. rechnen

Die vom INGV als realistisch angenommene Eruptionsszenarien sind „meiner Meinung nach zu optimistisch, weil sie im Vergleich zur tatsächlichen Gefahr des Vesuvs und der Phlegräischen Felder zu klein sind“, so Mastrolorenzo. Das INGV geht im Falle einer Eruption von einer „subplinianischen Eruption“ der Stufe 4 auf dem Vulkanexplosivitätsindex aus.

Das ist immerhin eine „große“ Eruption, so wie die des Eyjafjallajökull in Island 2010. Laut Mastrolorenzo sollte das mögliche Szenario auf eine plinianische Eruption der Stufe 5 nach oben „korrigiert“ werden, das ist eine „sehr große“ Eruption. Das letzte Beispiel dafür war der Ausbruch des Mount St. Helens 1980 im US-Bundesstaat Washington. Plinianische Eruptionen sind außerordentlich explosive Ausbrüche, die mit gewaltigen Aschenfällen verbunden sind.

Evakuierungszone am Supervulkan ist zu klein, warnt der Experte

Der Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. war ein plinianischer Ausbruch der Größe 5. Er zerstörte die Städte Pompeji, Herculaneum und andere Orte, rund 5000 Menschen kamen ums Leben. Die Vulkane auf Island und in Washington brachen nicht in dicht besiedeltem Gebiet aus, während heute im Großraum Neapel rund drei Millionen Menschen leben.

Eine Hochstufung des Ausbruchsrisikos würde laut Mastrolorenzos Warnung „mit daraus resultierenden Erweiterungen der roten und gelben Zonen“ einhergehen. Seiner Meinung nach sollte der Grundsatz der größtmöglichen Vorsicht gelten, auch wenn die Wissenschaftler unterschiedlicher Meinung sind. Mastrolorenzo ist bezüglich der Vulkanrisiken als Pessimist bekannt.

So stellt sich ein Videokanal eine Vulkaneruption bei Pozzuoli vor.
Ein Screenshot einer Doku des Kanals Geopop simulierte ein Eruption hinter der Luftwaffenakademie bei Pozzuoli. © youtube/Geopop

Das gravierendste Problem betrifft nach Ansicht des Vulkanologen die „angebliche Fähigkeit, die bevorstehende Eruption vorherzusagen“. Er weist darauf hin, dass es für die Phlegräischen Felder „keine früheren Erfahrungen auf globaler Ebene gibt“. Die Warnzeichen bei explosiven Ausbrüchen, die manchmal über Monate hinweg erkennbar waren, gab es manchmal praktisch gar nicht, manchmal nur in den unmittelbaren Stunden vor den Eruptionen.

Nur 20 Prozent der weltweiten Vulkaneruptionen wurden vorhergesagt, die restlichen 80 Prozent nicht

Mastrolorenzo nennt „aktuelle Studien“, die darauf hindeuteten, dass „nur in einem kleinen Bruchteil, schätzungsweise etwa 20 Prozent der Fälle, explosive Eruptionen erfolgreich vorhergesagt werden konnten“. Diese Probleme beträfen nicht nur die Caldera des Supervulkans. Es gebe „ähnliche Prognoseprobleme auch für den Vesuv, der sich derzeit im Ruhezustand befindet“. Doch was schlägt Mastrolorenzo als Alternative vor? „Einen Notfallplan unabhängig von wissenschaftlichen Einschätzungen, kurzfristig und jederzeit umsetzbar.“

Dazu gehörten angemessene Fluchtwege sowohl zu Land als auch zu Wasser, mit Kommunikation über Apps, „um die dem Eruptionsereignis ausgesetzte Bevölkerung innerhalb weniger Stunden auf eine Entfernung von 20 Kilometern zu verlegen“. Kurz gesagt, ein Plan, der „auch in der Phase eines andauernden oder bevorstehenden Ausbruchs“ ausgelöst werden könnte.

Die aktuellen Evakuierungspläne seien zwar das Ergebnis von Studien und Bewertungen anderer angesehener Vulkanologen, allerdings sei die Vulkanologie keine exakte Wissenschaft ist, und dies umso weniger aufgrund der Eigenschaften der Phlegräischen Felder, so Mastrolorenzo. „Daher besteht für diejenigen, die Informationen bereitstellen, die Pflicht, nichts geheim zu halten und auch den Wissenschaftlern eine Stimme zu geben, die Thesen vertreten, die im Widerspruch zu den offiziellen stehen.“

Ähnlicher Vulkan in Asien brach 1994 mit extrem kurzer Vorwarnzeit aus

Eine aufsehenerregende Studie, die unter Leitung Prof. Christopher Kilburn vom University College London und dem INGV im vorigen Jahr veröffentlicht wurde und die vor einer steigenden Gefahr eines Ausbruchs des Supervulkans gewarnt hatte, nannte als Beispiel die Rabaul-Caldera in Papua-Neuguinea. Als sich dort 1994 ein doppelter Ausbruch ereignete, war eine Bebenaktivität vorausgegangen, die zehnmal geringer war als während einer zweijährigen Bebenaktivität im Jahrzehnt zuvor.

„Rabauls Beispiel zeigt, dass man sich nicht auf Analogien zum Verhalten in der Vergangenheit verlassen kann, um Ausbrüche großer Calderas vorherzusagen“, folgerten die Forscher. Die 15.000 Einwohner zählende Stadt Rabaul wurde 1994 völlig zerstört, als die Vulkane Tavurvur und Vulcan gleichzeitig ausbrachen. Sie gehören zu einem Calderasystem, ähnlich dem Supervulkan der phlegräischen Felder.

Trotz der extrem kurzen Vorwarnzeit gelang es damals, die 15.000 Einwohner in die dünn besiedelte Umgebung zu evakuieren. In der Roten Zone der Phlegräischen Felder leben aber knapp 500.000 Menschen. Ein weiterer Wissenschaftler warnte vor einigen Wochen vor der Möglichkeit einer sogenannten Phreatischen Eruption in den phlegräischen Feldern, die sich ohne jegliches Warnzeichen ereignen könne.

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