Warum sich Indonesien eine neue Hauptstadt in den Dschungel baut
Indonesiens Hauptstadt Jakarta steht vor dem Kollaps. Abhilfe soll eine neue Planstadt schaffen. Doch das 32-Milliarden-Dollar-Projekt steht vor gewaltigen Problemen.
Mit seinen 4650 Stahlplatten, die aus der Ferne wie Federn aussehen, soll Indonesiens neuer Präsidentschaftspalast an das Nationalsymbol des südostasiatischen Landes erinnern: Garuda, eine mythische Figur, halb Mensch und halb Adler. Der Garuda-Palast ist das Zentrum von Nusantara, der neuen Hauptstadt, die sich Indonesien gerade in den Dschungel der Insel Borneo baut. An diesem Samstag, dem indonesischen Nationalfeiertag, soll Nusantara eingeweiht werden.
Präsident Joko Widodo hat bereits vor ein paar Wochen erstmals in seinem neuen Palast übernachtet, aber offenbar unruhige Nächte inmitten der noch immer riesigen Baustelle verbracht. „Ich sage, wie es ist: Ich habe schlecht geschlafen“, zitierten ihn örtliche Medien. Angesichts der gigantischen Probleme, vor denen das Megaprojekt steht, kann man die Schlaflosigkeit des Präsidenten gut verstehen.

Jokowi, wie der Präsident meist genannt wird, wird im Oktober sein Amt an den im Februar gewählten Ex-General Prabowo Subianto abgeben. Nusantara solle Jokowis „größtes Vermächtnis“ werden, sagt der Politikwissenschaftler Edbert Gani Suryahudaya vom indonesischen Centre for Strategic and International Studies. Doch noch ist Nusantara weit davon entfernt, eine richtige Stadt zu sein. „Nusantara ist noch nicht bereit“, erklärte Jokowi vor wenigen Wochen. Angekündigt hatte er das Projekt vor fünf Jahren, 2022 begannen die Bauarbeiten, 2045 soll die Stadt fertig sein. Zwei Millionen Menschen sollen hier dann auf einer Fläche leben, die viermal so groß ist wie die aktuelle Hauptstadt Jakarta und doppelt so groß wie New York.
Nusantara soll 32 Milliarden US-Dollar kosten
Es ist ein gigantischer Kraftakt für Indonesien. Von den geplanten Baukosten von rund 32 Milliarden US-Dollar will die Regierung zwar nur 20 Prozent tragen, den Rest sollen private Investoren beisteuern. Doch die machen bislang nicht mit. Im Juni erklärte Indonesiens Investitionsminister Bahlil Lahadalia vor dem Parlament, dass zunächst die grundlegende Infrastruktur fertiggestellt werden solle. „Danach sind ausländische Investoren eingeladen, zu investieren.“
Ob die Investoren kommen, bleibt aber fraglich. Zumal für Jokowis Nachfolger Prabowo die neue Hauptstadt kein Herzensprojekt ist. „Prabowo hat zum Beispiel Initiativen wie kostenlose Mahlzeiten für Kinder vorgeschlagen, die erhebliche Mittel erfordern. Letztendlich wird er Prioritäten setzen müssen“, sagt Politikwissenschaftler Gani. Für Verunsicherung sorgte auch der überraschende Rücktritt von Nusantaras oberstem Behördenchef und dessen Vize vor ein paar Wochen.
Nusantara soll die bisherige Hauptstadt Jakarta als Verwaltungszentrum des riesigen Inselstaats ersetzen. Jakarta selbst, so Jokowi, solle „ganz zu einem Geschäfts-, Tourismus- und Wirtschaftszentrum werden“. In der Region leben knapp 34 Millionen Menschen, mehr sind es nur im Großraum Tokio. Jakarta leidet unter schlechter Luft, zu viel Verkehr und regelmäßigen Überflutungen. Rund 40 Prozent der Stadt liegen schon jetzt unter dem Meeresspiegel, bis 2050 könnte der Norden der Metropole komplett unter Wasser stehen. Nusantara dagegen sei sicher vor Naturkatastrophen, behauptet Präsident Widodo.
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„Die Regierung muss die Probleme, mit denen Jakarta derzeit konfrontiert ist, unverzüglich angehen“
Allerdings werden die Probleme, vor denen Jakarta steht, mit dem Umzug der Regierung nach Borneo nicht verschwinden. „Die Verlegung der Hauptstadt von Jakarta nach Nusantara in Kalimantan ist keine praktikable Lösung, da sie nur neue Probleme schafft. Stattdessen muss die Regierung die Probleme, mit denen Jakarta derzeit konfrontiert ist, unverzüglich angehen“, kritisiert Arie Rompas von Greenpeace Indonesien. Kalimantan ist der indonesische Name für Borneo. Experten warnen zudem, dass die Regierung vom 1300 Kilometer entfernten Nusantara aus die Sorgen der Menschen in der Region Jakarta aus den Augen verlieren könnte. „Die Verlegung der Hauptstadt nach Kalimantan kann sich auf die nationale Politik auswirken, da sie die staatliche Verwaltung von der Zivilgesellschaft entfernt“, sagt Politikwissenschaftler Gani.
Befürworter von Nusantara hingegen argumentieren, dass die neue Hauptstadt durch ihre Lage im Zentrum Indonesiens dazu beitragen könnte, den Wohlstand im Land besser zu verteilen. Derzeit werden 58 Prozent der Wirtschaftsleistung auf Java erbracht – der dicht bevölkerten Insel, auf der Jakarta liegt. „Der Hauptgedanke hinter der Verlegung der Hauptstadt nach Kalimantan ist die Förderung einer gleichmäßigeren Entwicklung im östlichen Teil Indonesiens“, sagt Gani.
Ökologisches Vorzeigeprojekt Nusantara?
Die indonesische Regierung hat Nusantara zudem zum ökologischen Vorzeigeprojekt erklärt. In der neuen Stadt sollen nur E-Autos verkehren, auch soll sie komplett mit erneuerbaren Energien versorgt werden. Die machen im Energiemix des Landes derzeit weniger als zwölf Prozent aus, auf den ersten beiden Plätzen liegen Kohle und Gas mit 36 beziehungsweise 32 Prozent. Greenpeace-Experte Arie Rompas will das Öko-Versprechen deswegen nicht so recht glauben. „Es gibt keine Studie, die zeigt, dass Nusantara tatsächlich klimaneutral werden kann“, sagt er. Zudem sei starke Abholzung auf Borneo schon jetzt ein Problem, das durch den Bau der neuen Regierungsstadt noch verschlimmert werde.
Aktivisten beklagen auch, dass auf Borneo Tausende Menschen umgesiedelt wurden, um Platz zu schaffen für Jokowis Vorzeigestadt. „Unser Land wurde uns gewaltsam weggenommen, wir mussten uns dafür bezahlen lassen, haben aber keinen angemessenen Preis bekommen“, sagte ein Stammesältester des Volks der Balik der Zeitung South China Morning Post. Umgekehrt scheinen Regierungsbeamte aus Jakarta wenig begeistert von der Aussicht, in Zukunft in der neuen Planstadt arbeiten zu müssen. Berichten zufolge wurden einigen von ihnen Beförderungen versprochen, wenn sie sich für ein neues Leben auf Borneo entscheiden.
Anfang der Woche tagte erstmals das Kabinett von Joko Widodo in Nusantara. „Die neue Hauptstadt ist eine Leinwand, auf der wir die Zukunft entwerfen können. Nicht jedes Land hat die Möglichkeit oder die Fähigkeit, eine neue Hauptstadt von Null auf zu errichten“, tönte der scheidende Präsident. Sein designierter Nachfolger klang da deutlich weniger elektrisiert. Er werde, sagte Prabowo Subianto, die neue Hauptstadt fertigstellen – „sofern das möglich ist“.