Haus-Zoff mit Kirche: „Der Makler rät uns, aufzugeben – das bringt nichts mehr“

Ein Wohnviertel ist im Aufruhr. Seitdem Dutzende Anwohner am Molanusweg in Hannover-Kirchrode von der evangelischen Kirche ein Angebot zur Verlängerung ihrer Erbpachtverträge erhalten haben, fürchten sie um ihr Zuhause. Statt wenige Hundert Euro im Jahr will die Eigentümerin der Grundstücke künftig bis zu 2500 Euro - pro Monat. Für viele der Hausbesitzer sind die geforderten Summen nicht aufzubringen. Das Drama kommt mit Ansage.

"Der Makler hat uns geraten, aufzugeben. Das bringt nichts mehr"

Familie Schaper wollte das eigene Haus bereits vor zwei Jahren verkaufen. Gudrun Schaper hätte mit ihrem Ehemann Wilfried in ihr Elternhaus zurückkehren und ihre Mutter aus dem Pflegeheim nach Hause holen können.

"Es ging wegen der Kirche nicht", sagt Gudrun Schaper rückblickend. Schon damals waren die Bodenrichtwerte stark gestiegen. Zunächst 1100 Euro, später bis zu 1600 Euro hätte ein potenzieller Käufer monatlich an Erbpacht an die Kirche zahlen müssen. Für die rund 85 Quadratmeter Altbau auf einem 570 Quadratmeter Grundstück zu viel.

"Der Makler hat uns geraten, aufzugeben. Das bringt nichts mehr", erinnert sich Wilfried Schaper an den gescheiterten Verkaufsversuch. Kurz nach der Entscheidung sei die Schwiegermutter verstorben.

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FOL / Niklas Golitschek

1650 Euro Pacht bei 1690 Euro Rente

Nun droht dem Ehepaar und weiteren Anwohnern, diese Kosten selbst tragen zu müssen. Bis 2028/2029 laufen die meisten Pachtverträge aus. Für die beiden Rentner bedeute das laut Angebot: 1650 Euro Pacht. Dabei betrage ihre Rente gerade einmal 1690 Euro.

Anwohnerin Astrid Houghton sammelt für die Nachbarschaft Informationen rund ums Thema und weiß von einem Ehepaar, das bei 1500 Euro Rente sogar 1850 Euro Pacht zahlen soll.

"Dafür kann man ein älteres Häuschen mieten, aber keinen Schrebergarten", sagt sie mit Blick auf die beschaulichen Grundstücke mit den kleinen Wohneinheiten; Photovoltaik und Wärmepumpe sind am Molanusweg weit entfernte Zukunftsmusik.

Kirche sieht ihre Forderungen als gerechtfertigt

Die Kirche sieht ihre Forderungen dennoch als gerechtfertigt. Die Zinshöhe liege mit vier Prozent im bundesweiten Mittel bei Erbbauverträgen. Für die Berechnung der Angebote im Vorjahr sei der Bodenrichtwert von 1100 Euro pro Quadratmeter in dem Gebiet maßgeblich gewesen. Inzwischen ist er auf 1000 Euro gefallen, das werde berücksichtigt.

"Die Kirchengemeinde ist verpflichtet, mit ihren Vermögenswerten und den Einnahmen aus der Kirchensteuer verantwortlich und im Interesse aller zu verfahren. Aus diesem Grund und im Sinne der Gleichbehandlung richtet sie sich bei der Verlängerung der Erbbaurechte nach marktüblichen Konditionen", begründet Rebekka Neander, Sprecherin der evangelischen Landeskirche Hannover, das Vorgehen auf Anfrage von FOCUS online.

Aus den Erbbauzinsen finanziere die Kirchengemeinde in Kirchrode auch ihre diakonischen Projekte und Bildungsangebote für den Stadtteil und sei deshalb auf die Einnahmen angewiesen.

"Nicht sterben, vermieten oder vererben"

Den Anwohnern ist die Kirche bereits mit einem vergünstigten Pauschalangebot mit 35 Prozent Rabatt entgegengekommen und zeigt sich offen für individuelle Konditionen bei sozialen Härten. Die sollen dann allerdings nicht für mögliche neue Käufer oder für Erben gelten.

"Wir sitzen in der Falle", beschreibt Anwohnerin Monika Suckow ihren Eindruck. "Ich wollte mein Haus verkaufen, wenn ich 90 Jahre alt werde, und ins Altersheim gehen. Jetzt ist es unverkäuflich", fürchtet auch Rentner Jochen Dittrich.

Kein Interessent werde 1400 Euro Pacht im Monat für eine Immobilie aus dem Jahr 1954 zahlen. Die Kaufpreise hätten sich zuletzt bei etwa 1.250.000 Euro bewegt. "Wir dürfen nicht sterben, vermieten, verkaufen oder vererben. Sonst haben wir den hohen Zins", sagt Houghton und lacht verbittert: "Das sind Knebelkonditionen."

Selbst die 1990er Kaufangebote waren unerschwinglich

Dass eine Pacht von 180 Euro nicht mehr zeitgemäß ist, ist auch allen Anwohnern am Molanusweg klar. Die Gemeinschaft von 32 betroffenen Haushalten hat der Kirche deshalb vorgeschlagen, die früheren Jahresbeiträge künftig monatlich zu bezahlen – also das Zwölffache des bisherigen Erbbauzinses.

Von der Kirche heißt es zu dem Angebot allerdings: "Es liegt noch deutlich unterhalb der Konditionen, die die Kirchengemeinde 2019/20 den Erbbauberechtigten unterbreitet und das viele Erbbauberechtigte angenommen haben."

Houghton und ihre Mitstreiter halten dagegen, dass die Konditionen schon damals für die Rentner nicht bezahlbar gewesen seien – ebenso wie die Kaufangebote für die Grundstücke in den 1990er Jahren, als noch die Kredite abgezahlt worden seien.

Vor allem jüngere Bewohner hätten vor fünf Jahren unterschrieben, nicht aber die Alteingesessenen, die seit 20 Jahren und länger am Molanusweg leben.

Anwohner werfen Kirche "gieriges Verhalten" vor

Rund um das Viertel sind die Bodenrichtwerte vor allem seit 2016 in die Höhe geschossen – in der Zeit der Niedrigzinsen entwickelte sich die Nachbarschaft zu einer gefragten Lage.

2015 lag der Bodenrichtwert noch bei 370 Euro pro Quadratmeter und stieg bis zum Vorjahr bis auf 1100 Euro. Nur zwei Straßen weiter liegt der Bodenrichtwert schon bei nur noch 750 Euro, in Kirchrode im Durchschnitt sogar nur bei 683 Euro.

Die Anwohner werfen der Kirche deshalb vor, in einer Phase von hohen Preisen den Erbbauzins über Jahrzehnte absichern zu wollen. "Das ist ein richtig gieriges Verhalten", kritisiert Houghton. Hamburg etwa reagierte und senkte den Erbbauzins auf 1,3 Prozent. In Lüneburg erhöhte die Klosterkammer Hannover im Vorjahr lediglich um rund 25 Prozent zur Wertsicherung.

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Anwohner am Molanusweg in Hannover-Kirchrode FOL / Niklas Golitschek

Die evangelische Landeskirche habe die Anwohner am Molanusweg von Beginn von oben herab behandelt, sagt Houghton. "Wir dachten, das wird ein partnerschaftliches Gespräch", erinnert sie sich an einen Termin zum Thema nach dem Angebot.

Statt des Kirchenvorstands der zuständigen Gemeinde habe dann ein Anwalt trocken die Gesetzeslage erklärt: "Wir waren völlig entsetzt nachher." Das Angebot habe "durch Fachleute" erläutert werden sollen, heißt es von der Kirche mit dem Verweis, dass die Verlängerung seit mehreren Jahren Thema sei.

Heimfall bedroht Hausbesitzer mit starkem Wertverlust

Eigentlich soll der Erbbau Bodenspekulationen vorbeugen und bezahlbares Wohnen ermöglichen. Doch wo Grundstücke in der Nachbarschaft zu horrenden Preisen verkauft werden und das als Grundlage für die Bewertung des Zinses gelten, wird dieser Mechanismus ausgehebelt.

„Wir haben Anspruch auf eine angemessene Vertragsgestaltung“, sagt Houghton und spricht von Gesetzeslücken im Erbbaurecht, durch die die Anwohner benachteiligt würden.

Hinzu kommt: Werden die Verträge nicht verlängert, tritt der sogenannte Heimfall ein. Die Hausbesitzer erhalten dann zwei Drittel des Verkehrswerts der Immobilie und müssen sich etwas Neues suchen. „Damit kommt man nicht weit im Pflegeheim oder mit einer neuen Wohnung“, sagt Houghton mit Blick auf die jüngsten Verkaufspreise am Molanusweg.

Anwohner hoffen auf weiteres Entgegenkommen der Kirche

Deshalb hofft die Gemeinschaft auf ein weiteres Entgegenkommen der Kirche. Denn selbst das reduzierte Angebot sei kaum zu bewerkstelligen. „540 Euro würde ich schlimmstenfalls schaffen“, sagt etwa Witwe Renate Neumann: „Aber dann kann ich mir keine Reparaturen mehr leisten.“

Dabei sei sie vor 40 Jahren mit ihrem Mann an den Molanusweg gezogen, um einmal keine Miete mehr zahlen zu müssen. Mit dem neuen Erbbauzins sei dieser Traum dahin. Hans-Werner Schwarze lebt seit seiner Kindheit – seit 1954 – in seinem Haus am Molanusweg, inzwischen mit Ehefrau Dagmar.

Beide sind mittlerweile über 80 Jahre alt. 500 Euro Pacht im Monat wären noch zu schaffen, sagen die beiden. „Aber wenn einer stirbt, hat der andere noch weniger Einkommen“, gibt Dagmar Schwarze zu bedenken.

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FOL / Niklas Golitschek
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FOL / Niklas Golitschek