„Vielfraß“ im Vormarsch: Polens Panzer macht die Ukraine gegen Putin wieder mobil

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„Transportpanzer der Spitzenklasse“, urteilte Polens ehemaliger Ministerpräsident Mateusz Morawiecki über den KTO Rosomak – auch der ukrainischen Armee scheint das polnische Produkt bei Charkiw wieder die Initiative zu ermöglichen. © IMAGO/Beata Zawrzel

Blitzschnell und auch in Flüssen zuhause: Die Ukraine setzt viel Vertrauen in einen polnischen Schützenpanzer – den sie sich selbst ausgesucht hat.

Charkiw – „Dementsprechend sollte das Kiewer Regime keine großen Hoffnungen auf eine solche Ausrüstung setzen“, urteilen die russischen Propagandisten. Ihr Militär-Magazin Topwar hat bereits Anfang August versucht, den „Vielfraß“ der Ukraine klein zu reden. Der journalistische Schuss vor den Bug mag aber abgeprallt sein. Aktuell berichtet das Magazin Armyrecognition davon, dass die Verteidiger im Ukraine-Krieg rund um Charkiw offenbar wieder das Umschalten in die Vorwärtsbewegung gegen die Truppen Wladimir Putins gelungen ist – dank des polnischen Schützenpanzers, den die Ukraine nicht gespendet bekommen hat, sondern selbst ausgewählt und eingekauft.

Bei den jüngsten Kampfhandlungen in der Region Charkiw setzte eine Brigade der ukrainischen Streitkräfte mehrere Schützenpanzer vom Typ Rosomak ein. Trotz zahlreicher Versuche der russischen Streitkräfte, diese Fahrzeuge mit Lancet-Drohnen zu neutralisieren, wurden alle Versuche vereitelt, was die robuste Verteidigung und Mobilität des Rosomak zeigt“, schreibt Armyrecontion. Der „Kołowy Transporter Opancerzony Rosomak“ bedeutet in der Übersetzung Gepanzerter Rad-Mannschaftstransporter „Vielfraß“ und ist ein achträdriger leichter Schützenpanzer, von dem die Ukraine 200 Stück an die Front geschickt hat.

„Das Ostkommando der Ukraine tauscht alte sowjetische Fahrzeuge gegen neue polnische aus – und wird dadurch deutlich schlagkräftiger.“

Topwar disqualifiziert das Fahrzeug wegen seiner baulichen Nähe zu anderen westlichen Schützenpanzern – was faktisch zutrifft – und prophezeit allein aus diesem Grund „Probleme quantitativer und taktischer Natur“ – was möglicherweise auch ein Körnchen Wahrheit enthält. Immerhin manövrieren ukrainische Panzerfahrer sowie Panzergrenadiere mit einem Sammelsurium an Fahrzeugen in das Gefecht. Da sie ohnehin von jeglichem Material zu wenig besitzen, türmen sich die logistischen Herausforderungen auf – beispielsweise die Ersatzteilbeschaffung oder die Interoperabilität von verschieden ausgerüsteten Einheiten – etwa in Hinsicht der unterschiedlichen Ausstattung mit Kommunikation.

Waffenhilfe: Ukraine profitiert von findigen finnischen Ingenieuren

Russische Panzerbesatzungen booten einfach aus einem zerstörten Fahrzeug aus und besetzen das nächste. Ukrainische Besatzung müssen sich möglicherweise immer wieder an neue Ausrüstung gewöhnen. Grundsätzlich ist der „Vielfraß“ eine Lizenzproduktion des baugleichen finnischen Transporters Patria AMV. Auch die Bundeswehr könnte künftig mit Fahrzeugen der skandinavischen Rüstungs-Schmiede unterwegs sein.

Seit April 2023 gehört Deutschland zu dem ursprünglich von Finnland und Lettland gegründeten Programm CAVS (Common Armoured Vehicle System). CAVS steht für ein Entwicklungsprogramm für ein möglichst günstiges 6×6-Fahrzeug – bezüglich Beschaffungs- und Unterhaltskosten – für den osteuropäischen Raum; oder sogar darüber hinaus. Finnland, Lettland und Estland nehmen seit 2019 an dem Programm teil, Schweden seit 2021. Patria produziert den gepanzerten 6×6 Mannschaftstransportwagen, der als Favorit gilt für die Nachfolge der rund 900 deutschen Transportpanzer Fuchs. Mitbewerber waren der Transportpanzer Fuchs 1A9 von Rheinmetall und der Pandur Evolution von General Dynamics European Land System (GDELS), wie das Magazin Europäsche Sicherheit&Technik berichtet. Noch allerdings ist nichts entschieden.

Verkaufsschlager: Polens Lizenzproduktion als global player in Friedensmissionen

Der Patria AMV allerdings ist ein Verkaufsschlager, mehrere Armeen nutzen das Fahrzeug, auch die Europäische Union hatte für Missionen beispielsweise im Tschad auf das Fahrzeug gesetzt. Ende September hatte das Magazin Forbes noch eine Lobeshymne auf den „Vielfraß“ veröffentlicht: „Das Ostkommando der Ukraine tauscht alte sowjetische Fahrzeuge gegen neue polnische aus – und wird dadurch deutlich schlagkräftiger“.

Forbes-Autor David Ax zufolge seien die achträdrigen Schützenpanzer neben den 200 M-2 Bradley und den 200 Stryker Rad-Schützenpanzern aus den USA die am häufigsten vorhandenen Kampffahrzeuge westlicher Bauart im ukrainischen Bestand, wie er mit Bezug auf einen Post von Militaryland auf X (vormals Twitter) veröffentlicht hat.. Durch den Austausch ihrer BMP- und BTR-Schützenpanzer wurde die Ukraine beweglicher und widerstandsfähiger – was sich möglicherweise jetzt in Charkiw bemerkbar macht.

Unkaputtbar: Polens „Vielfraß“ lässt sich von Putins Drohnen kaum kleinkriegen

Ax will beobachtet haben, dass sich allein anhand der Ausrüstung aus einem veralteten Teil des ehemaligen Warschauer Pakts eine moderne, den Nato-Truppen ähnliche Armee herauskristallisierte: An Feuerkraft, Präzision der Waffen, Beweglichkeit sowie Panzerung machten sie schnell einen Unterschied im Gefecht.

Armyrecognition hebt den modularen Panzerschutz des „Vielfraß“ hervor. Aufgrund seiner Möglichkeit, auch seichte Gewässer zu durchqueren, ist die Panzerung entsprechend leicht ausgefallen und kann der zu lösenden Aufgabe entsprechend verstärkt werden. Aufbauend auf dem grundsätzlichen Schutz gegen Feuer aus Kleinwaffen und Artilleriegranaten sollen auch Module zum Schutz vor Sprengfallen und Panzerabwehrminen nachzurüsten sein, wie Armyrecognition schreibt.

Topwar will wissen, dass die Besatzung am Leben bleibe, wenn ein Sechs-Kilogramm-Sprengsatz unter dem Rad oder dem Boden explodiere und dass die Front gegen Beschuss mit bis zu 30-Millimeter-Projektilen gepanzert ist. Diese Panzerung ist Armyregocnition auch seinen jüngsten Bericht wert: Trotz zahlreicher Versuche durch Russlands Einheiten, Lancet-Drohnen gegen diese Fahrzeuge einzusetzen, sollen die Rosomaks standgehalten haben – Lancet-Drohnen sind stabförmige Minen, die aufgrund ihrer Flügelkonstruktion in der Luft herumlungern können und plötzlich vom Himmel fallen, um ihre Sprengwirkung zu entfalten.

Finanzspritze: Europäische Union arbeitet an Sonderfonds für die Ukraine

Für die Ukraine ist der „Vielfraß“ ein Kauf statt einer gespendeten Rüstungshilfe, wie das Magazin Soldat & Technik berichtet hat. Laut dem vorherigen Ministerpräsidenten Polens, Mateusz Morawiecki, soll Europäische Union einen Teil der Kosten direkt überwiesen haben, einen anderen Teil hat die Ukraine wohl bezahlt mit Mitteln, die sie vorher aus den USA erhalten hatten.

Die europäischen Mittel speisen sich aus der Europäischen Friedensfaszilität (European Peace Facility), einem Hilfsfonds für Projekte, die in verschiedenen Ländern vor allem demokratische Strukturen stabilisieren. Laut dem Magazin Euractiv sind bis Mitte vergangenen Jahres aus diesem generalistisch ausgerichteten Fonds 5,6 Millionen Euro allein für die Ukraine bereitgestellt worden – beispielsweise als Entschädigung für das Engagement einzelner Partnerländer an gelieferten Rüstungsgütern.

Mitte März berichtete Euractiv weiter, dass die EU jetzt einig sei, einen fünf Milliarden Euro schweren Fonds speziell für die Ukraine aufzulegen. Dieser könne bis 2027 auf bis zu 17 Milliarden Euro aufgestockt werden. Ein Entscheidungsentwurf soll auf die Unterschriften warten. Aus dem Fonds sollen dann auch Munition und Rüstungsgüter beschafft werden – beispielsweise neue Schützenpanzer. Die braucht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auch dringend. Aufgrund des neuen Mobilisierungsgesetzes verspricht er sich für seine Armee rund 100.000 frische Kräfte, wie die Süddeutsche Zeitung hochrechnet.

Gegenoffensive: Blitzschneller Polen-Panzer fährt die Ukraine zur Offensive

Für eine Gegenoffensive, beispielsweise bei Charkiw, fehlen aktuell Fahrzeuge. „Damit die ukrainischen Truppen die festgefahrene Situation in den Schützengräben durchbrechen und die russischen Truppen aus ihren Befestigungen zurückdrängen können, benötigen sie alle Voraussetzungen für eine echte mechanisierte Offensive mit kombinierten Waffen: Panzer, Infanterie in gepanzerten Fahrzeugen, die mit den Panzern Schritt halten können, selbstfahrende Artillerie, Kampfingenieure und Brückenbauausrüstung und auch Versorgungsfahrzeuge“, schrieb Experte Michael Peck im vergangenen Jahr im BusinessInsider – ohne Fahrzeuge kein Schwung, ohne Schwung keine weitere Gegenoffensive – kein Ende des Krieges.

Der Rosomak war konsequent auf hohe Mobilität hin ausgelegt – bis zu 100 Kilometer pro Stunde ist er schnell, im Wasser immerhin noch zehn; allerdings bestanden die Polen bei der Übernahme des finnischen Siegers ihrer Ausschreibung auf eine Lizenzproduktion im eigenen Land, um mit dem leichten Panzer ihrer heimischen Wirtschaft mehr Gewicht zu verleihen – seine Praxistauglichkeit hatte er dann schnell zu beweisen in verschiedenen Friedensmissionen, wie beispielsweise in Afghanistan; jetzt ist er erneut das Mittel der Wahl, um Frieden zu erzwingen. Der vormalige Ministerpräsident Mateusz Morawiecki war jedenfalls bei Vertragsabschluss sicher ob der Qualität seines inländischen Produkts, wie er laut dem Behördenspiegel gewittert hatte: „Rosomaks sind Transportpanzer der Spitzenklasse.“

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