Warum ich als Busfahrer manche Haltestellen überspringe, obwohl dort Leute warten

Es ist 17.23 Uhr. Menschen stehen an der Haltestelle, erschöpft von der Arbeit, gestresst vom Tag, voller Hoffnungen auf den Feierabend. Der Bus nähert sich – und plötzlich fährt er einfach weiter. Ein Raunen geht durch die Menge, einige schütteln den Kopf, andere murmeln ihren Ärger.

Und ich sitze am Steuer, spüre diesen Moment von Frust und Enttäuschung direkt vor mir. Glaubt mir: Auch wir wollen jede Haltestelle zuverlässig bedienen. Aber hinter diesem "Vorbeifahren" steckt ein kompliziertes Geflecht aus Verantwortung, Planung und Sicherheit.

Warum Busfahrer manchmal Haltestellen überspringen

Die Leitstelle ist das Herzstück des gesamten Betriebs. Von dort aus wird in Echtzeit überwacht, welcher Bus wo steht, welche Verspätungen drohen und welche unvorhergesehenen Ereignisse den Verkehr beeinflussen. Kommt ein Unfall, eine Baustelle oder ein technisches Problem, muss binnen Minuten entschieden werden, wie der Fahrplan zu retten ist. 

Dann kann die Anweisung kommen: "Haltestelle überspringen". Für die wartenden Menschen unverständlich, für uns Fahrer eine Pflicht.

Martin Binias, bekannt als „Herr Busfahrer“, ist Influencer und aktiver Busfahrer. Mit Humor und Reichweite macht er den ÖPNV nahbar, schafft Verständnis für den Berufsalltag und wurde mehrfach ausgezeichnet. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Die Wartenden an der Haltestelle sehen nur: Der Bus fährt vorbei

Besonders kurzfristige Baustellen, wie nach einem Wasserrohrbruch oder einem Gasleitungsschaden, können den Straßenverkehr abrupt verändern. Rettungseinsätze und Notfälle erzwingen ebenfalls schnelle Entscheidungen. 

In solchen Momenten muss die Leitstelle reagieren, um den Gesamtverkehr zu sichern, und wir Fahrer setzen diese Entscheidungen unverzüglich um. Für die Wartenden an der Haltestelle bleibt nur die Beobachtung: Der Bus fährt vorbei.

Es gibt weitere Gründe, die oft übersehen werden. Personelle Engpässe – ein krankheitsbedingter Ausfall, ein verspäteter Ersatzbus – zwingen uns, Prioritäten zu setzen. Sicherheitsaspekte wie glatte Straßen, medizinische Notfälle oder aggressive Situationen im Bus können ebenfalls erforderlich machen, Haltestellen zu überspringen.

Die Leitstelle trifft jede Entscheidung – wir haben nur wenig Spielraum

Viele Fahrgäste glauben, wir handeln eigenmächtig. Das stimmt nicht. Jede Entscheidung kommt von der Leitstelle, und wir setzen sie aus Verantwortung um. Wir sehen die Enttäuschung, hören die Fragen, spüren die Ungeduld – und oft fühlen wir uns hilflos. Wir würden gern erklären, beruhigen, alternative Wege aufzeigen. Doch in der Realität haben wir nur sehr wenig Spielraum.

Kommunikation könnte vieles verbessern. Digitale Anzeigen, Echtzeit-Apps oder Lautsprecherdurchsagen könnten Fahrgäste sofort informieren. Doch nicht überall sind diese technischen Details verfügbar, und nicht immer funktionieren sie fehlerfrei. So bleibt nur ein Moment des Unverständnisses, der Ärger erzeugt.

Überspringen als Teil eines Systems aus Sicherheit und Pünktlichkeit

Aus unserer Perspektive ist das Überspringen einer Haltestelle nie Nachlässigkeit. Es ist Teil eines Systems, das Sicherheit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit gewährleisten soll. Unser Ziel bleibt stets dasselbe: die Menschen sicher ans Ziel zu bringen, auch wenn sie manchmal länger warten müssen. 

Am Ende hoffe ich, dass die Menschen verstehen: Hinter jedem Bus stehen ein Fahrer und die Leitstelle, die täglich Entscheidungen treffen, die kaum jemand sieht.

Ein funktionierender Nahverkehr braucht das Zusammenspiel von Leitstelle. Fahrern und Fahrgästen. Jede ausgelassene Haltestelle ist ein Kompromiss, ein kleiner Schritt, um den größeren Fluss aufrechtzuerhalten. Wir bitten um Verständnis – nicht um Entschuldigung, sondern um Einblick in die oft unsichtbaren Herausforderungen unseres Alltags.

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.