Chinas Eisenbahn-Revolution lässt Deutschland alt aussehen

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Chinas Züge fahren schon jetzt dem Rest der Welt davon. Und sie sollen noch schneller werden. Doch es gibt auch massive Kritik an dem Hochgeschwindigkeitsboom.

Pünktlich um 9 Uhr an diesem Freitagvormittag verlässt der Hochgeschwindigkeitszug mit der Nummer G5 den Pekinger Südbahnhof. Die Fahrt führt durch nicht enden wollende Vororte und durch Millionenstädte, die außerhalb China kaum einer kennt, ins 1300 Kilometer entfernte Shanghai. Umgerechnet knapp 80 Euro kostet die Fahrt in der 2. Klasse. Wer etwas mehr ausgeben mag, kann es sich für 128 Euro in der 1. Klasse gemütlich machen oder für 278 Euro in einem Business-Class-Sitz, der sich zu einem Bett ausfahren lässt. Wobei sich lediglich ein kurzes Nickerchen lohnt. Denn nach nur viereinhalb Stunden erreicht Zug G5 – das G steht für Gaosu, auf Deutsch: hohe Geschwindigkeit – auf die Minute pünktlich sein Ziel.

Mit 350 km/h verkehren die Züge zwischen Peking und Shanghai, bis zu fünfmal pro Stunde. In Deutschland schaff man in dieser Zeit gerade einmal die knapp 600 Kilometer zwischen München und Berlin, und auch das nur mit viel Glück. In China hingegen gelten die Züge als äußerst pünktlich, vor ein paar Jahren verließen Staatsmedien zufolge 98,8 Prozent der Hochgeschwindigkeitszüge den Bahnhof zur im Fahrplan angegebenen Uhrzeit, und immerhin noch 95,4 Prozent kamen pünktlich an ihrem Ziel an.

Chinas Hochgeschwindigkeitsnetz umfasst fast 50.000 Kilometer

Auf 48.000 Kilometer ist das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz in den vergangenen Jahren angewachsen, die meisten großen Metropolen liegen nur noch wenige Zugstunden voneinander entfernt. Acht Stunden sind es beispielsweise von Peking ins 2300 Kilometer entfernte Shenzhen. Mit dem langsamen Nachtzug, der auch heute noch die chinesische Hauptstadt und die Tech-Metropole an der Grenze zu Hongkong verbindet, ist man hingegen gut 30 Stunden unterwegs.

Auf kürzeren Strecken wie der zwischen Peking und Shanghai hat der Zug das Flugzeug bereits weitgehend verdrängt: 52 Millionen Menschen fuhren im vergangenen Jahr zwischen den beiden Megastädten mit dem Zug, mit dem Flugzeug waren es nur knapp neun Millionen. Kein Wunder: Die Züge sind nicht nur schnell, sondern auch komfortabel und sauber – und sie bieten dank stabilem WLAN auch für Geschäftsreisende beste Bedingungen, die Zeit effektiv zu nutzen. Und: Man reist von Stadtzentrum zu Stadtzentrum und muss nicht extra mit der U-Bahn vom Flughafen in die City. Das spart Zeit.

In Zukunft sollen die Züge zwischen Peking und Shanghai sogar noch schneller werden. Im Dezember stellte der staatliche Eisenbahnbetreiber China Railway den Prototyp eines neuen Hochgeschwindigkeitszugs namens CR450 vor, der mit einer Geschwindigkeit von 400 km/h die Reisezeit zwischen den beiden Städten weiter reduzieren soll. Technisch möglich wären sogar 450 km/h, berichteten Staatsmedien. Wann der Zug zum Einsatz kommt, ist noch nicht bekannt.

Ein Prototyp des Hochgeschwindigkeitszugs CR450 wird in Peking Tests unterzogen.
Ein Prototyp des Hochgeschwindigkeitszugs CR450 wird in Peking Tests unterzogen. © Xing Guangli/Xinhua/Imago

Mit 600 km/h unterwegs: China präsentiert neuen Magnetschwebezug

Auch an einer neuen Magnetschwebebahn arbeiten chinesische Ingenieure derzeit. Im Juli präsentierte der staatliche Hersteller China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) auf einer Eisenbahnmesse in Peking den Prototyp eines 600 km/h schnellen Superzuges, der die Reisezeit zwischen Peking und Shanghai auf 2,5 Stunden drücken soll. Der leitende CRRC-Ingenieur Shao Nan sagte der chinesischen Zeitung The Paper, dass die Magnetschwebetechnik die Pünktlichkeit und Sicherheit des Schienenverkehrs mit der Geschwindigkeit des Flugverkehrs kombinieren solle. Noch ist die Technik zwar nicht serienreif – Ende des Jahres aber sollen wichtige Tests abgeschlossen sein. Bereits seit mehr als 20 Jahren verbindet ein Magnetschwebezug den Shanghaier Flughafen Pudong mit einem Außenbezirk der Stadt.

Schon jetzt ist das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz mehr als doppelt so lang wie das aller anderen Länder der Welt zusammen. Und es wächst immer weiter. Allein zwischen 2021 und 2024 seien 10.000 Kilometer in Betrieb genommen worden, sagte der chinesische Verkehrsminister Liu Wei Anfang der Woche, bis Ende des Jahres soll das Netz auf 50.000 Kilometer anwachsen. Zuletzt wurde im Juni in Zentralchina eine neue Strecke eröffnet.

Hochgeschwindigkeitszüge im Bahnhof von Nanjing
Hochgeschwindigkeitszüge im Bahnhof von Nanjing. © VCG/Imago

„Extreme Überkapazitäten“: Chinas Hochgeschwindigkeitsnetz in der Kritik

Mittlerweile haben nicht mehr nur die großen Millionenmetropolen einen eigenen Bahnhof für Hochgeschwindigkeitszüge: 97 Prozent der Städte mit mehr als 500.000 Einwohner sind laut Verkehrsministerium bereits an das Netz angeschlossen. Das sorgt auch für Kritik. So bemängelt etwa der Geograph Lu Dadao von der renommierten Chinesischen Akademie der Wissenschaften seit Jahren, dass in China mehr Strecken als benötigt gebaut würden.

„Alles deutet auf Überkapazitäten hin, sogar auf extreme Überkapazitäten“, schrieb der 85-Jährige unlängst in einem Artikel, der sich wie eine Abrechnung mit den Plänen der Regierung liest. Hochgeschwindigkeitsstrecken zu bauen und zu unterhalten, sei extrem teuer, so Liu. Die schnellen Züge machten allerdings „nur einen geringen Anteil am gesamten Passagieraufkommen in China aus“. Die meisten Menschen seien mit langsameren (und damit auch deutlich günstigeren) Zügen oder dem eigenen Auto unterwegs. Lius Fazit: „Ohne eine ausreichende Nachfrage seitens der Fahrgäste ist der Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke reine Verschwendung.“

Hinzu kommt: Auch wenn die Technik immer effizienter wird, verbrauchen Chinas Hochgeschwindigkeitszüge sehr viel Strom. Zwar baut China erneuerbare Energien wie Wind- und Wasserkraft sowie Solarparks so schnell aus wie kein anderes Land; weil der Stromverbraucher aber immer weiter steigt, nimmt das Land auch immer noch neue Kohlekraftwerke in Betrieb. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Kohle am Strommix bei 58 Prozent. Wirklich umweltfreundlich ist Zugfahren in China also nicht.

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