Ex-Bundestagsabgeordnete wegen Korruption vor Gericht: Filmemacher Daniel Harrich schreibt Justizgeschichte mit

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Engagiert: Der Münchner Daniel Harrich deckt durch seine ㈠investigativen Filme Missstände in der Welt auf. Für „Am ㈠Abgrund“ ist er erneut für den Grimme-Preis nominiert. © ARD

Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe und der Münchner Filmemacher Daniel Harrich deckten Korruption im Europarat auf – nun startet der Prozess in München.

Es war, als riefe man laut und deutlich: „Haltet den Dieb!“ – doch nichts passierte. „Aber jetzt passiert was“, sagt Frank Schwabe am 15. Januar 2025 im Kino des Bayerischen Hofs in München. Man möchte hinzufügen: endlich. Denn das, was der Bundestagsabgeordnete der SPD an diesem Abend im abgedunkelten Saal des Hotels erzählt, lässt einen ziemlich fassungslos zurück.

Da wurden und werden noch immer im großen Stil von autokratischen Staaten hohe Geldbeträge, goldene Uhren, edle Teppiche an einige Abgeordnete europäischer Länder geliefert – damit diese die massiven Menschenrechtsverletzungen in den betreffenden Staaten ignorieren, vertuschen, letztlich: decken. Seit 16. Januar 2025 stehen zwei dieser mutmaßlich bestechlichen Politiker in München vor Gericht. Der Münchner Filmemacher Daniel Harrich hat am Vorabend des Prozessauftakts zu Filmvorführung und anschließender Diskussion geladen. Denn auch Harrich ist es zu verdanken, dass sich was tut. Und mag es nur die Spitze des Schmiergeld-Berges sein: Zumindest sie soll nun öffentlich abgetragen werden.

Aserbaidschan soll deutsche Bundestagsabgeordnete bestochen haben

Mehrere Jahre lang hatten der heute 41-Jährige und sein Team recherchiert. Sind tief vorgedrungen in die illegalen Verflechtungen einiger europäischer Politiker mit diktatorischen Regierungen. Im Dokumentarfilm „Am Abgrund“, der im März 2024 in der ARD ausgestrahlt und nun für den Grimme-Preis nominiert wurde, begleiten sie Frank Schwabe als Leiter der deutschen Delegation im Europarat. Und decken auf, warum Abgeordnete weggeschaut haben, wenn in Aserbaidschan Wahlen gefälscht wurden, warum sie schwiegen, wenn Oppositionelle in europäischen Länder wie Deutschland verfolgt und sogar ermordet wurden. Die Recherchen offenbarten, wie das Netz aus Korruption den Europarat erfasste. Das zeigte Wirkung: Auf Frank Schwabes Antrag hat der Europarat der Delegation der Republik Aserbaidschan im Januar 2024 die Akkreditierung entzogen; und die Generalstaatsanwaltschaft München Anklage wegen des Verdachts auf Korruption gegen die Ex-Bundestagsabgeordneten Axel E. Fischer (CDU) und Eduard Lintner (CSU) erhoben.

Für Daniel Harrich könnte der Fall damit abgeschlossen sein. Doch jeder, der diesen engagierten Filmemacher kennt, weiß, dass ihn die Themen über die jeweiligen Recherche-Projekte hinaus beschäftigten. „Abhaken und weiter zum nächsten, geht nicht“, betont er, der natürlich trotzdem nebenbei schon an der nächsten Skandalgeschichte arbeitet, die voraussichtlich im Herbst 2025 öffentlich gemacht wird. Er ermuntert die anwesenden Journalisten im Bayerischen Hof, den Prozess, der da nun 39 Tage lang in München geführt wird, in ihren Medien zu beleuchten. „Da wird deutsche Justizgeschichte geschrieben. Dass zwei Abgeordnete des Deutschen Bundestages wegen Korruption in ausländischen Staaten angezeigt werden, gab es noch nie.“

Mutig: Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD) hat als Europaratsmitglied von üblen Korruptionsfällen erfahren - und sie öffentlich gemacht.
Mutig: Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD) hat als Europaratsmitglied von Korruption erfahren – und sie ㈠öffentlich gemacht. © ARD

Und so dankt Frank Schwabe Daniel Harrich dafür, dass der einer der wenigen war, die ihm zugehört haben. „Ich war schon kurz davor, an mir selbst zu zweifeln. Aber ich war mir so sicher, dass diese Korruption stattfindet, ich habe so viel gesehen und gehört – doch niemand wollte mir glauben.“ Das Prinzip sei immer dasselbe: Erst liege da eine teure Aufmerksamkeit im Hotelzimmer eines Abgeordneten. So werde ausgetestet, ob der jeweilige Gast im autokratischen Land empfänglich für Bestechung sei. „Wer diese ,Geschenke‘ mitnimmt, ist der perfekte Kandidat für den nächsten Schritt.“ Aus Schmuck würden finanzierte Reisen oder großzügige Essenseinladungen – und irgendwann fließe Geld. „Erst jetzt erfahren wir, dass es um noch viel höhere Summen geht, als wir gedacht hatten“, sagt Daniel Harrich, als unsere Zeitung ihn am 16. Januar in einer Prozesspause am Telefon erreicht. Von 3,4 Millionen Euro für einen einzelnen Abgeordneten sei da vor Gericht die Rede. Und so geht es für Schwabe und seine Mitstreiter gar nicht so sehr darum, wie hoch die Strafen am Ende ausfallen – sie erhoffen sich durch das Gerichtsverfahren Einblicke in das perfide Schmiergeld-System; wünschen sich, dass noch deutlicher und öffentlich wird, wie Korruption in der Politik vonstattengeht.

„Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass alle Politiker bestechlich sind. Die Mehrheit macht einen ordentlichen Job“, betont Schwabe. Doch, so zeigen es Daniel Harrichs Dokumentar- und der gleichnamige Spielfilm „Am Abgrund“ mit Heiner Lauterbach, es gibt sie, die krummen Geschäfte. „Das muss aufhören.“ Der erste Schritt ist getan. „Am Abgrund“: Daniel Harrichs Dokumentar-
und Spielfilm sind in der ARD-Mediathek abrufbar.

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