In dem alten Bauernhaus in der Oberen Stadt herrscht wieder Leben. Für die denkmalgerechte Sanierung verantwortlich ist ein Ehepaar, das die einstige Ruine innerhalb von zwei Jahren wieder bewohnbar machte – und nun selbst eingezogen ist.
Es ist einfach zu verführerisch. Wer auch immer an dem alten Bauernhof in der Oberen Stadt 98 vorbeigeht, spitzt zumindest ein kleines bisschen durchs Fenster hinein in das historische Gemäuer, das nun so prächtig dasteht. Innen an den Fenstern hängen geblümte Gardinen, auf dem Fensterbrett stehen Kerzen, Zimmerpflanzen und Heiligenfigürchen. Kein Zweifel, hier scheint jetzt jemand zu wohnen. Das war zuletzt vor einigen Jahrzehnten der Fall. Das Bauernhaus, das einst eines der prächtigsten der Stadt war und so viele Jahre eingewachsen vom wilden Wein dastand, ungenutzt und dem Verfall preisgegeben – es lebt wieder.
Auch in Wessobrunn wurde zuletzt ein alter Bauernhof saniert.
Früher eine Ruine: Altes Bauernhaus in Bayern ist wieder bewohnt
Vor ziemlich genau zwei Jahren haben Anita und Walter Kurzrock und ihr Sohn Walter junior, dem der nördliche Teil des Anwesens inzwischen gehört, angegriffen: Sie haben die Sanierung des alten Bauernhofs von Anitas Familie gemeinsam mit Architektin Judith Resch in die Hand genommen. Und die Heimatzeitung hat sie von Anfang an dabei begleitet.
Denkmalschutz verhindert Abriss
Los ging es bereits 2016. Aufgrund der alten Bausubstanz wurde das Haus in die Denkmalschutzliste aufgenommen, ein Abriss des alten Familienbesitzes kam nicht infrage. Nach mehreren gescheiterten Anläufen segnete das Denkmalschutzamt die Sanierungspläne der Familie 2022 ab. Im Juli 2023 starteten sie das „Familienprojekt“, wie Walter junior es damals nannte. Das Ziel: Den alten Mauern wieder Leben einhauchen, damit es von Mietern als Wohnraum genutzt werden kann. Jetzt, zwei Jahre später, ist die Sanierung nahezu abgeschlossen. Es wohnt wieder jemand in dem alten Hof. Wer, das ist eine kleine Überraschung: Es ist das Ehepaar Kurzrock senior selbst.
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Passanten sind neugierig
Seit etwa zehn Wochen leben Anita und Walter jetzt schon in dem frisch sanierten Altbau. So manche Passanten schauen beim Vorbeigehen seitdem genauer hin. „Eine Frau hat mal so intensiv hereingeschaut, dass ich sie angesprochen habe“, sagt Anita Kurzrock und muss lachen. Sie hat die Passantin gefragt, ob sie helfen könne. Die war einigermaßen verlegen, gab aber zu: Die Neugier war einfach zu groß. Kurzrock bat sie herein, sich umzuschauen. Die Frau war begeistert – und Kurzrock freute sich mit. Schließlich haben sie und ihr Mann Walter zusammen mit Sohn Walter junior als Bauherr den alten Hof die vergangenen zwei Jahre aufwendig denkmalgerecht saniert. Da darf man sich freuen – und auch stolz sein.
Die Kurzrocks haben wirklich etwas geschafft. Aus dem Hof, erstmalig urkundlich erwähnt 1789, der 1810 „auf einer Brandstatt“ vermutlich wiedererrichtet wurde, wie in alten Zeugnissen nachzulesen ist, haben sie ein Wohnhaus gemacht, das modernen Ansprüchen mehr als genügt. Und in dem der alte Charme und vor allem das aus Sicht des Denkmalschutzes wertvolle Historische trotzdem erhalten wurde.
Der Weg dahin war mühsam, in manchmal kleinen, manchmal großen Schritten ging es voran. Ganz am Anfang stand die Sicherung der Fundamente und Hausmauern und deren Dämmung. Dann machten sich die Landsberger Kirchenmalerin Beate Brettschneider und der Münchner Stuckateurmeister Kristof Huf an die Sanierung der Fassade. Ende 2023 erstrahlte sie in neuem Glanz, ganz so, wie man sie um 1910 gestaltet hatte – und die Weilheimer staunten, was sich all die Jahrzehnte da hinter der Wand aus Wein versteckt hatte.
Elektrik und Sanitär erneuert
Doch die Sanierung des Äußeren war freilich erst der Anfang. Elektrik und Sanitär wurden komplett erneuert. Das Haus, das nur zu einem ganz kleinen Teil unterkellert ist und jahrhundertelang auf dem blanken Boden stand, bekam nach unten eine Dämmschicht aus Glasschaumschotter. Oben, am Dach, wurde auch gedämmt – durch Steinwolle, die wie der Glasschaumschotter die Wärme im Haus hält. Ein wichtiger Meilenstein war auch die Erdbohrung im Sommer 2024, die Voraussetzung war für einen Anschluss an eine Erdwärmepumpe. Sie sorgt nun für warmes Wasser und bedient mit einer Vorlauftemperatur von gerade einmal 27 Grad hocheffizient die Fußboden- und Wandheizungen im ganzen Haus, die die alten Mauern und Holz- und Steinböden warm und trocken halten. Ein zusätzlicher Holzofen in der Stube sorgt für Autarkie, „falls mal der Strom ausfällt“, sagt Walter Kurzrock. Außerdem könne man damit backen und kochen.
Nachdem das Grobe am und im Haus fertig war, ging es an die Feinheiten. Und die hatten es in sich: Die alten Fenster aus dem 19. Jahrhundert – für den Denkmalschutz besonders erhaltenswert und einzigartig in der Oberen Stadt – wurden aufwendig saniert. Was aber jetzt, nachdem alles fertig ist, besonders ins Auge sticht, sind die farbenfrohen Wand- und Deckenverzierungen im ganzen Haus. Anita Kurzrock – begeisterte Volksmusikerin – zeigt auf eine Deckenmalerei in der Musikstube im Erdgeschoss. „Alle Experten haben immer gesagt: Eine solche Malerei an der Decke wird man so nirgends finden.“ Hier habe man früher zeigen wollen, dass man auch als Landwirt jemand war – und nicht nur die Bürger. Was Kirchenmalerin Brettschneider und Stuckateur Huf auf den Wänden im ganzen Haus unter Putz, Farbe und Tapeten entdeckt haben, habe sie selbst überrascht. „Als ich Kind war, war hier alles weiß.“ Die verschiedenen Muster und Farben aus unterschiedlichen Jahrhunderten sind jetzt in Ausschnitten überall im Haus erhalten.
Beeindruckende Malereien im ersten Stock
Ganz besonders beeindruckend sind auch die Malereien in einem der Zimmer im ersten Stock. Hier ist eine Wand nun lindgrün, abgeschlossen von einer dunkelgrünen Bordüre mit ockerfarbenen Mustern. Der Raum ist jetzt ihr Schlafzimmer. Und wie schläft es sich in dem alten Bauernhaus, das an allen Ecken knarzt und nach Freilichtmuseum Glentleiten riecht? „Wenn die Fenster zu sind, sehr gut“, sagt sie und lacht. Man wohnt halt in der Oberen Stadt, der Verkehr ist nicht mehr wie um 1900. Dafür sei der Kontakt zu den Menschen in der Oberen Stadt nun wieder ein ganz anderer – „obwohl wir vorher nur ein paar Meter weiter am Gögerlweg gewohnt haben.“ Jetzt kämen die Nachbarn wieder öfter vorbei und man helfe sich gegenseitig.
Und warum sind die Kurzrocks am Ende jetzt selbst eingezogen? Da innerhalb der wachsenden Familie für Kinder und Enkel größerer Wohnraum benötigt wurde, passte es gerade recht, das bisherige, große Familienhaus zu räumen und „sich vernünftig zu reduzieren“, sagt Walter Kurzrock. Und so reifte der Gedanke, in das Bauernhaus zu ziehen. Und: „Wir haben es immer mehr liebgewonnen.“
Fast jeden Tag im Haus gewerkelt
Verständlich. Zwei Jahre lang hat Walter Kurzrock fast jeden Tag im Haus gewerkelt, in unzähligen Arbeitsstunden die Handwerker bei der Sanierung unterstützt und sehr viel selbst gemacht. Zum Beispiel den Boden in drei Zimmern im ersten Stock. Zwischen den Dielen, die zu erhalten waren, klafften um die sechs Millimeter breite Ritzen. „Unmöglich zu putzen“, sagt Anita Kurzrock. Und auch unhygienisch, wie sie findet. Da mache der Denkmalschutz Vorgaben, die für einen Wohnraum kaum umzusetzen seien. Walter wurde erfinderisch, schnitt Holzleisten zurecht, lackierte sie und füllte damit die Lücken. Zwei Wochen war er mit dieser Millimeterarbeit auf Knien beschäftigt. „Unsere Töchter haben ihm dann zum Geburtstag Knieschoner geschenkt“, erzählt Anita.
Nun ist fast alles geschafft, die Kurzrocks räumen die letzten Kisten aus, kümmern sich um Abschlussrechnungen und regeln Förderungen. In den nächsten Monaten gehen sie noch die Außenanlagen an, wollen eine Terrasse einrichten. Und dann? „Hoffen wir, dass wir lange hier bleiben können“, sagt Anita Kurzrock und schaut die steile, alte Treppe zum ersten Stock hinab. Sie leuchtet jetzt in einem tollen Ochsenblut-Rot, entlang der Wand zieht sich eine filigrane Malerei. Die Treppe ist wunderschön, historisch und einmalig. Aber sie ist so gar nicht altersgerecht. „Zur Not schlafen wir im Erdgeschoss, ein Bad ist da auch“, sagt Walter dazu ganz pragmatisch. Eines ist sicher: Sollten die beiden die Treppe nicht mehr schaffen, werden sie eine Lösung finden. So wie sie immer eine gefunden haben. Für ihre Familie – und für das alte Bauernhaus an der Oberen Stadt 98.