Was in den entscheidenden Stunden vor und nach Laura Dahlmeiers Tod passierte

Am 28. Juli verunglückte Laura Dahlmeier am Laila Peak tödlich. Eigentlich hatte sie mit ihrer Seilpartnerin Marina Krauss aber einen anderen Berg im Karakorum-Gebirge besteigen wollen: den Serac Peak. Dort lag aber wegen des warmen Frühlings zu wenig Schnee. Weil es aber in den Folgetagen kälter wurde und schneite, schwenkte die Seilschaft um und nahm den Laila Peak ins Visier.

In einem Interview mit dem "Spiegel" haben Vater Andreas Dahlmeier und Extrembergsteiger Thomas Huber, ein Freund der Familie, dieses und weitere Details rund um das Bergunglück in Pakistan enthüllt. Sie erzählen, wie Dahlmeiers Seilpartnerin Krauss der Familie den genauen Hergang des Unglücks schilderte. Öffentlich will sie nicht mehr sprechen.

Eigentlich wollte Dahlmeier nicht auf den Laila Peak - doch dann schlug Wetter um

Am 28. Juli brachen Laura Dahlmeier und Krauss aus dem Hochlager in 5300 Metern zum Gipfel des Laila Peak auf. Dieser liegt bei 6096 Metern. Als die Seilschaft aufbricht, ist es noch dunkel und kalt. Der Schnee ist hart gefroren. 

300 Meter vor dem Gipfel stoppt der Aufstieg aber - weil es plötzlich warm wird. Dahlmeier und Krauss entscheiden sich zum sofortigen Abstieg und reagieren so auf die erhöhte Gefahr von Schneerutschen und Steinschlägen.

An der zweiten Abseilstelle baut das Duo eine sogenannte Eissanduhr als Verankerung. Dabei werden mit schräg angesetzten Eisschrauben Löcher in das Eis gebohrt. Anschließend wird das Seil durch diese gefädelt.

Als Erste seilt sich Krauss, die schon beim Aufstieg vorausgeklettert war, an der Eissanduhr ab. Als sie am Standplatz angekommen ist, kommt Dahlmeier nach. In diesem Moment passiert das Unglück: Große Gesteinsbrocken lösen sich von einem Felsgürtel über ihr, wobei einer die 31-Jährige am Kopf trifft.

Laila Peak
Der Laila Peak im Karakorum-Gebirge. Getty Images

Krauss sieht Dahlmeier regungslos im Seil hängen - und greift in ihren Rucksack

Krauss befindet sich da etwa 15 Meter unter Dahlmeier, die regungslos im Seil hängt. Sie ruft nach ihrer Seilpartnerin, bekommt aber keine Antwort. Als sie zu Dahlmeier aufsteigt, sieht sie, dass diese eine schwere, offene Kopfverletzung erlitten hat. Ihr Helm ist zertrümmert.

Dann versucht Krauss mehrmals, Dahlmeier abzuseilen. Als weitere Steine herabfallen, wird Krauss klar, dass sie sich in Lebensgefahr befindet. Sie greift in Dahlmeiers Rucksack und holt einen kleinen Sender namens „InReach” heraus.

Das ist ein satellitengestützter Messenger mit GPS-Funktion, der auch in entlegenen Regionen funktioniert. Bergsteiger nutzen diesen Sender, der so groß wie eine Zigarettenschachtel ist, um an solchen Orten Nachrichten zu verschicken. Oder wie in diesem Fall, um einen Notruf abzusetzen. Krauss tut das, nachdem sie sich aus der Steinschlagzone begeben hat.

Über die Notrufzentrale in den USA, wo Mitarbeiter erste Rettungsmaßnahmen veranlassen, erfährt Vater Andreas, einer von Laura Dahlemeirs Notfallkontakten, vom Unglück. Er reagiert, indem er Vertraute informiert, die selbst Bergerfahrung haben. In der Bergwachtszentrale im Ortsteil Partenkirchen bildet sich ein Krisenstab.

Dieser kommuniziert sowohl mit der Notrufzentrale in den USA als auch via inReach mit Marina Krauss. Der Krisenstab rät ihr, sich in Sicherheit zu bringen, aber erst am Abend abzusteigen, wenn die Gefahr weiterer Steinschläge wegen einsetzender Kälte geringer werde. Erst als es dunkel wurde, machte sich Krauss allein und ohne Seil auf den Weg zum Hochlager.

Dem Krisenstab ist schnell klar, dass ein Rettungsteam zu Dahlmeiers Unglücksstelle in rund 5800 Metern Höhe aufsteigen muss. Hubschrauber können wegen der dünnen Luft in über 5000 Metern Höhe nicht aufsteigen, weshalb eine Rettung per Seilwinde kaum möglich ist.

Thomas Huber ist Bergsteiger
Thomas Huber ist Bergsteiger Imago Images

Rettungsteam bricht auf - als sie Dahlmeier sehen, kommt die traurige Gewissheit

Was Andreas Dahlmeier aber weiß: In der Nähe, in der Region der Latok-Gruppe, befindet sich der deutsche Extrembergsteiger Thomas Huber, ein Freund der Familie Dahlmeier. Er weiß bereits vom Unglück und erklärt sich sofort bereit zu helfen, als Laura Dahlmeiers Vater ihn per inReach kontaktiert. Zusammen mit US-Bergsteiger TadMcCrea steht er gegen 12 Uhr, keine drei Stunden nach dem Unglück, bereit für den Einsatz.

Dann tut sich allerdings das nächste Problem auf: Der für den Nachmittag versprochene Hubschrauber des pakistanischen Militärs wird das Duo erst am nächsten Morgen abholen. "Mir war klar, dass die Nacht für sie in der Wand hart werden würde", sagt Huber dem "Spiegel". "Ich dachte nur: Laura, halte durch."

Am Morgen des 29. Juli werden Huber und McCrea schließlich abgeholt. Mit Hubschraubern holen sie am Basislager des Berges Masherbrum zwei weitere US-Bergsteiger ab, die ihre Hilfe angeboten haben: Jackson Marvell und Alan Rousseau. Eine Stunde später sind sie am Laila Peak.

Sie entdecken Laura Dahlmeier im Seil hängend, fliegen wieder und wieder an ihr vorbei. Dann wird Gewissheit, was die Bergsteiger fürchteten. "Wir konnten keine vitalen Reaktionen erkennen", sagt Huber. Er, die anderen Bergsteiger und die Piloten der Hubschrauber sind sicher: Laura Dahlmeier ist tot. Vermutlich starb sie unmittelbar nach dem Steinschlag am 28. Juli.

Als das Rettungsteam im Basislager des Laila Peak landet, greift Huber zum Telefon und ruft Andreas Dahlmeier an. Er erklärt ihm, was das Team gesehen hat. "Und dann haben wir beide geweint", berichtet der Extrembergsteiger.

Ex-Biathletin Laura Dahlmeier stirbt bei Bergunglück.
Ex-Biathletin Laura Dahlmeier stirbt bei Bergunglück. dpa

Thomas Huber sucht Laura Dahlmeiers Leiche - doch sie ist unauffindbar

Der Leichnam von Laura Dahlmeier ist noch immer irgendwo am Laila Peak. Obwohl sie schriftlich verfügte, dass sich niemand in Gefahr begeben solle, um ihren Körper vom Berg zu holen, kehrte Thomas Huber im September auf Wunsch von Dahlmeiers Eltern an den Berg zurück. Doch den Leichnam fand er nicht.

"In der Regel schmilzt eine Eissanduhr unter Belastung nach einigen Tagen aus. Bei diesem warmen Sommer in Pakistan lag es nahe, dass Lauras Leichnam weiter abstürzen würde", sagt Huber dem "Spiegel". Trotz des Einsatzes eines Spekulativs mit 30-facher Vergrößerung und einer Kameradrohne, die Risse und Spalten in der Wand abflog, bleibt Laura Dahlmeiers Körper verschwunden. Auch in einem Korridor, wo er hingefallen sein könnte, fand Huber nichts. "Wenn wir Laura gefunden hätten, wären wir in die Wand gestiegen und hätten sie geborgen", versichert Huber gegenüber dem "Spiegel".

Eine Vermutung, wo der Leichnam sein könnte, hat der Extrembergsteiger dennoch. Er liegt wohl in einer der Gletscherspalten und ist inzwischen von Gesteinsmassen begraben, die jeden Tag den Berg hinabfallen glaubt Huber. 

Er hat eine kleine Gedenktafel am Berg zurückgelassen und den Eltern Aufnahmen gezeigt, wo Dahlmeier vermutlich liegt. Von dort sieht man auf ein Gletschertal und drei Achttausender. "Es ist ein wunderschöner Ort, wo Laura jetzt ihre Ruhe findet", sagt Huber.