RKI zweifelte über Monate an AstraZeneca: „Weniger perfekt“, „kein Selbstläufer“, „2-Klassenimpfung“

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Eine Impfdose von AstraZeneca: In den RKI-Protokollen geht es immer wieder um den Impfstoff, etwa am 16. Oktober 2020 oder am 29. Januar 2021. © IMAGO / Martin Wagner/RKI-Protokolle vom 16.10.2020 und 29.01.2021 (Montage)

Das Robert Koch-Institut bewertete die Corona-Impfstoffe ziemlich unterschiedlich. Von AstraZeneca schien die Behörde lange nicht überzeugt. Sollte das öffentliche Bild geschönt werden?

AstraZeneca galt während der Pandemie hämisch als Impfstoff zweiter Klasse: Grund war die im Vergleich zu Biontech oder Moderna geringere Wirksamkeit des Impfstoffs. Das war bekannt. Neu ist allerdings, wie stark selbst das Robert Koch-Institut an dem Impfstoff zweifelte, wie freigeklagte interne Dokumente des RKI-Corona-Krisenstabs zeigen.

RKI in Corona-Protokollen über Astrazeneca: „Impfstoff weniger perfekt“

AstraZeneca ist immer wieder Thema in den bis April 2021 mehr als 200 Protokollen. Als die Impfkampagne in Deutschland anrollte, bilanziert das RKI in der Sitzung vom 8. Januar 2021 in Bezug auf AstraZeneca: „Kein Selbstläufer wie bei den anderen, da Impfstoff weniger perfekt ist.“ Laut RKI muss es für AstraZeneca daher „möglicherweise Beschränkungen“ geben, Daten für ältere Personen seien „sehr begrenzt“. Drei Wochen später erhielt AstraZeneca die Zulassung in der EU.

Im März zog die Ständige Impfkommission nach und empfahl den Impfstoff für alle Altersklassen. Sie verwies dabei auf eine neue Studienlage – sollte diese Empfehlung aber wieder korrigieren müssen. Dass sich wissenschaftliche Erkenntnisse während der Pandemie ändern, ist logisch. Insgesamt schien das RKI von AstraZeneca aber auch über Monate hinweg nicht vollends überzeugt.

Impfstoffbeschaffung schneller „wenn das von den Regulatoren so entschieden wird“

Ein möglicher Impfstoff gegen Covid-19 ist in den RKI-Protokollen schon früh Thema. Am 15. April 2020, also während des ersten Lockdowns, behandelt das RKI einen Bericht „zum Stand der Impfung“. Demnach gibt es zu diesem Zeitpunkt 115 Kandidaten für die Herstellung eines Impfstoffs, von denen sich fünf in fortgeschrittener Phase befänden. „Normalerweise plant man 12-18 Monate ab Beginn Phase 1“, heißt es im Protokoll. Es könne schneller gehen, „wenn das von den Regulatoren so entschieden wird“.

Was mit das gemeint ist, geht aus den Protokollen nicht hervor. Der Teil ist in dem Dokument geschwärzt. Gemeint sein könnten zum Beispiel die während der Pandemie erleichterten Zulassungsbeschränkungen für Impfstoffhersteller, aber bestätigt ist das nicht.

RKI-Protokoll vom 15. April 2020.
Auch im RKI-Protokoll vom 15. April 2020 sind entscheidende Stellen geschwärzt. © Screenshot RKI-Protokoll vom 15. April 2020.

Am 23. April ist von einer Weisung des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) die Rede. „In der BMG TK wurde heute früh gesagt, dass Hr. Spahn dem RKI letzte Woche den Auftrag zur Erarbeitung eines Konzepts zur Impfung erteilt hätte.“ Dieses Konzept wird am 27. April schließlich besprochen.

In der Sitzung geht es um die „Entwicklung einer Impfempfehlung“ in Zusammenarbeit mit der Stiko. Dazu heißt es: „Es werden mehrere Impfstoffe kommen, die im Schnelldurchgang entwickelt und geprüft wurden.“ Das Konzept solle mit dem Paul-Ehrlich-Institut, dem Bundesinstitut für Impfstoffe, koordiniert werden. „Es gibt noch Zeit, aber die Systeme sollten bis Ende des Jahres klar sein.“

RKI zu Impfstoffen: Moderna „sehr vielversprechend“ – „Top-Kandidat Biontec“

Einige Wochen später, am 29. Mai 2020, fällt dann erstmals der Begriff AstraZeneca: „Ein Impfstoff in England ist bereits in Phase2/3, mit möglicher Zulassung im kommenden Herbst. AstraZeneca hat bereits die Produktion dieses Impfstoffs begonnen.“ Im Juni sichert sich Deutschland gemeinsam mit Frankreich, Italien und den Niederlanden 300 Millionen Impfstoffdosen von AstraZeneca. „Die Zulassung ist für September 2020 geplant, sollten die Ergebnisse Sicherheit und Effektivität zeigen“, heißt es dazu am 3. Juli beim RKI.

Am 17. August weist das RKI AstraZeneca als einen von sieben Impfstoffen aus, die für „eine zeitnahe Impfung in Deutschland“ in Betracht kommen. Zu diesem Zeitpunkt wird der mRNA-Impfstoff von Moderna als „sehr vielversprechend“ betitelt. Gleichzeitig stellt das RKI jedoch fest: „keine schwerwiegenden Nebenwirkungen, aber im Vgl zu herkömmlichen Impfstoffen schon mehr.“ Wichtig: Die Studienlage befindet sich hier noch am Anfang und die Impfstoffhersteller arbeiteten kontinuierlich an der Verbesserung des Wirkstoffs.

Am 18. September bespricht das RKI in seiner Sitzung ein „Update Impfen“. Wenn die Daten in den Studien weiter gut seien, soll im Januar 2021 ein Impfstoff vorhanden sei: „Top-Kandidat Biontec“. In den folgenden Sitzungen sind die Passagen zum Thema Impfung teils stark geschwärzt.

Screenshot RKI-Protokoll vom 16. Oktober.
Nicht immer erfährt man in den RKI-Protokollen, was zur Impfung besprochen wurde. So etwa am 16. Oktober 2020. © Screenshot RKI-Protokoll vom 16. Oktober.

RKI zu AstraZeneca: „Hatte Schwierigkeiten“

Am 30. Oktober geht es um die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und AstraZeneca. Die Stiko-Empfehlung zur Impfung ist zu diesem Zeitpunkt geschwärzt. Das, was zur Impfung zu erkennen ist, liest sich in den RKI-Protokollen aber durchaus ausgewogen. So differenzieren die Experten des Krisenstabs und weisen auf auch Schwierigkeiten bei der Impfung hin. Zu einer im Magazin Nature veröffentlichten Studie zu Pfizer heißt es am 11. November 2020 kritisch: „Es fehlen Details über die Art der Infektionen, gegen die der Impfstoff schützen kann, wie lange die Wirksamkeit des Impfstoffs anhält oder wie gut der Impfstoff in verschiedenen Gruppen von Studienteilnehmern wirkt.“

Zwei Tage später, am 13. November, heißt es im Impf-Update in den Protokollen: „Studien zur Wirksamkeit erreichen Meilenstein beim mRNA Impfstoff von BioNTech/Pfizer“. Am 27. November sollte das RKI den Impfstoff erneut loben: „Hohe Effektivität von 95%, auch in hohen Altersgruppen.“ Anfang Dezember heißt es: „In Bezug auf Sicherheit wie erwartet gut“

Im Update vom 13. November heißt es wiederum zu AstraZeneca: „Hatte Schwierigkeiten; nach Öffnung kann Impfstoff bei 2-8 Grad im Kühlschrank 5 Tage aufbewahrt werden.“ Am 27. November steht dann: „Gesamteffektivität 70%, bei Unterkohorte mit kleinerer Dosierung 90% Impfeffektivität (Zufallseffekt)“. Dass AstraZeneca eine geringere Impfeffektivität als etwa Biontech hatte, erfuhr auch die Bevölkerung.

Am 4. Dezember 2020 hält das RKI fest: „Astra Zeneca verschiebt sich, da weitere Daten gefordert wurden“. Einen Monat später werden in Deutschland bereits die ersten Menschen gegen Covid-19 geimpft. Priorisiert werden zu diesem Zeitpunkt die Risikogruppen, Astra Zeneca ist noch nicht verfügbar. Wohl auch, weil die Studienlage zum Impfstoff dünn ist.

RKI-Protokolle zu AstraZeneca: „Empfindung der 2-Klassenimpfung“

Am 8. Januar 2021 heißt es in den RKI-Protokollen zur „Verhinderung von Infektionen“ durch Impfung: „bei mRNA-Impfstoffen nur Daten aus Tierversuchen, bei AstraZeneca beim Menschen nicht ausreichend, Konfidenzintervall zu groß. Nicht interpretierbar.“ Im selben Protokoll heißt es auch: „Dritter Impfstoff ist weniger gut – erschwert Situation.“ AstraZeneca wird hier namentlich nicht genannt. Plausibel scheint, dass es sich um AZ handelt und die beiden anderen Impfstoffe Biontech/Pfizer und Moderna sind.

Am 29. Januar ist im Impfupdate die Rede von der „Problematik der Deutung als 2-Klassen-Impfstoff.“ Vergleiche zu anderen Impfstoffen seien schwierig. Dass es sich hier höchstwahrscheinlich um AstraZeneca handelt, wird beim Blick ins Protokoll vom 12. Februar deutlich. Hier berichtet das RKI von einer geplanten „Kampagne mit RKI Unterstützung, um über AstraZeneca-Impfstoff zu informieren, um Empfindung der 2-Klassenimpfung entgegenzuwirken.“ Die Kampagne geschehe „in Steuerungskreis Corona-Impfkommunikation“, wobei ein Teil der Zuständigkeit – vermutlich eine Person oder Behörde – geschwärzt ist.

Sollte der Impfstoff öffentlich besser verkauft werden als er tatsächlich war? Fakt ist: das öffentliche Bild von AstraZeneca ist zu diesem Zeitpunkt schlecht, wie das RKI am 17. Februar selbst zu Protokoll gibt: „Akzeptanz von Impfstoffen ist bei AstraZeneca am geringsten, am höchsten bei Biontech.“

RKI-Protokoll vom 29. Januar 2021.
Ende Januar 2021 sieht das RKI die „Problematik der Deutung als 2-Klassen-Impfstoff“. Geht es hier um Astra Zeneca? © Screenshot RKI-Protokoll vom 29. Januar 2021.

Auch am 5. Februar sind mehrere Teile geschwärzt. Zu Astra Zeneca heißt es allerdings: „Publikation zu Astra Zeneca-Impfstoff von letzter Woche: Schwierigkeit der Interpretation der nicht ganz optimal durchgeführten Studie“. Einen Tag zuvor teilten RKI und Stiko mit, der AstraZeneca-Impfstoff werde „aktuell aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen“.

Nebenwirkungen bei AstraZeneca: „11 Fälle auf 1,2 Mio. Geimpfte, war zu erwarten“

Die Stiko passte ihre Entscheidung immer wieder an, was auch in den RKI-Sitzungen zur Sprache kam. Am 5. März 2021 heißt es: „Altersgrenze für AstraZeneca Impfstoff wird erhöht, dies wurde aufgrund des hohen Drucks bereits vorab (vor dem Stellungnahmeverfahren) kommuniziert.“ Einen Tag zuvor hatten RKI und Stiko bekannt gegeben, „die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff für alle Altersgruppen, entsprechend der Zulassung zu empfehlen“.

Mitte März treten die ersten Nebenwirkungen bei AstraZeneca auf. Das RKI behandelt am 12. März „Thromboembolien nach AstraZeneca-Impfungen“. Mit Blick auf Deutschland heißt es: „11 Fälle auf 1,2 Mio. Geimpfte, war zu erwarten“. Es handelte sich also um sehr wenige Fälle im Vergleich auf die verabreichten Impfdosen. AstraZeneca wird dennoch in ersten Ländern wie Dänemark vorerst ausgesetzt. Am 30. März empfiehlt die Stiko AstraZeneca nur noch für Personen ab 60 Jahren. Es sollten noch weitere Empfehlungen wie die sogenannte „Kreuzimpfung“ folgen, die stets mit den damals aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen begründet wurden.

Wie das RKI den Impfstoff zu diesem Zeitpunkt intern bewertet, ist nicht ersichtlich. Die vom Magazin Multipolar nach einem Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz veröffentlichten Corona-Protokolle enden Ende April 2021. In Deutschland wurden laut Impfdashboard mindestens 14,4 Millionen Impfdosen von AstraZeneca ausgeliefert (Stand: April 2023). (as)

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