Wie ZDF mit dem Zweiten Weltkrieg umgeht, tut beim Zuschauen ordentlich weh

Der Zweite Weltkrieg in Europa endete vor 80 Jahren am 8. Mai 1945. Allein in Deutschland starben etwa 6,35 Millionen Menschen – von den Männern der Jahrgänge 1921 bis 1927 fast jeder Dritte. 

Diesen Zahlen zum Trotz: Die Zahl der deutschen Opfer liegt weit hinter denen in der Sowjetunion und hinter China, prozentual die höchste Opferzahl hat das kleinere Polen erlitten. 

Für nüchterne Zahlen zum 80. Jahrestag des Zusammenbruchs von Nazi-Deutschland hält uns das öffentlich-rechtliche Fernsehen aber offensichtlich inzwischen für zu doof. Animierte Comic-Bildchen sollen uns bei der Hand nehmen und schön personalisiert an die Schrecken der Vergangenheit heranführen. 

Dazu hat sich die ARD mit „Hitlers Volk“ entschieden. Darauf setzt auch das ZDF mit seinem „Roadtrip 1945“. Und mit dem Zweiten sieht man in diesem Fall noch deutlich schlechter.

Zweiter Weltkrieg – aber schön locker im Polohemd

Es ist schon verblüffend, was man sich einfallen lässt, um unsere Gebührengelder zu verarbeiten. Das ZDF schickt den Moderator Mirko Drotschmann auf die Reise durch Deutschland. 

Der präsentiert sich sommerlich locker: beigefarbene Hose, blaues Polohemd, Sonnenbrille locker in den Ausschnitt geklemmt. Und der muss sich den Bildschirm dann immer wieder teilen mit der Comic-Figur Frederick „Freddie“ Gray. 

Der hatte als 16-Jähriger Hitler-Deutschland verlassen müssen, um 1944 mit einer Elite-Einheit der britischen Armee zurückzukehren. Seiner Tagebuch-Notizen bedient sich das ZDF, um uns Nachgeborenen die Vorgeschichte anschaulich zu machen.

Der Luxus-Geländewagen rollt dem Weltkriegs-Jeep hinterher

Da sammelt sich einiges an Peinlichkeiten. Beginnen wir mit Szene 1. Da lehnt Polohemd-Drotschmann locker am Geländewagen, bis der gezeichnete Briten-Soldat mit seinem Jeep ins Bild fährt und neben ihm hält. 

„Ich weiß nicht, ob meine Eltern noch leben“, wendet sich „Freddie“ ans Publikum zu Hause, „aber ich muss es wissen. Ich habe keine Zeit zu verlieren.“ Dann rollt sein Jeep aus dem Bild. Und auch Moderator Drotschmann steigt in seinen Wagen, um irgendwie die Spurensuche in der deutschen Geschichte aufzunehmen.

Ach ja: 80 Jahre danach sind die Trümmer weggeräumt

Die Peinlichkeitsgrenzen überschreitet das Ergebnis immer wieder. Der ZDF-Geländewagen rollt durch blühende Landschaften in den Niederlanden, gegengeschnitten sind schwarzweiße Schlachtbilder von erbitterten Kämpfen mit alliierten Truppen um die Hafenstadt Antwerpen im Jahr 1944. Dazu raunt eine Stimme verschwörerisch, „unter ihnen kämpfen auch Deutsche – in verdeckter Mission!“ 

Tatsächlich sind sich die Fernsehmacher nicht zu schade, das echte Auto dem gezeichneten Auto immer wieder hinterherrollen zu lassen auf der Suche nach den Eltern. „Die Sorge um seine Eltern treibt ihn an“, erfahren wir von Mirko Drotschmann am Steuer, „ich fahre weiter auf Freddies Route.“  Und er kommt zur fundamentalen Erkenntnis: „80 Jahre später erinnert nichts mehr an die Trümmer.“

Deutsche Frauen – vergewaltigen oder gleich erschießen?

Unvermittelt hören wir einen US-Offizier in Münster als Comic-Figur über die deutschen Frauen klagen: „Manchmal wünschte ich, sie würden uns erlauben, sie zu vergewaltigen oder sie zu erschießen.“ Eingeordnet wird diese Szene nicht. 

Der Zuschauer erfährt nicht, woher dieser Satz kommt und in welchem Zusammenhang er durch wen gefallen sein soll. Stattdessen mischt sich Liebe zu Leiden, Kitsch trifft auf Krieg. Dieser Umgang mit Geschichte tut schon ziemlich weh.

Zuckerguss für den historischen Schrecken

Die Absicht mag gut sein, durch die Personalisierung Zuschauer an das geschichtliche Thema heranzuführen. Doch verdirbt der Zuckerguss allzu schnell jeden Appetit auf das persönliche Schicksal, das es eigentlich zu erzählen gibt, und den historischen Schrecken, der vermittelt werden soll. 

Als Erklärung bleibt mir nur der Blick auf die merkwürdige Zeit, in der wir leben. Nie gab es so viele Möglichkeiten, sich Wissen zu verschaffen. Gleichzeitig glaubt jeder, was er will – oder soll. Vielleicht ist es diese Gemengelage, die dazu verleitet, Geschichtliches bis zur Fragwürdigkeit mit Geschichten anzureichern.