Aufrüstung mit brutaler Kriegswaffe: Nato zieht Eisernen Vorhang zu Russland hoch
Tabu-Bruch in Europa: Fünf Nato-Staaten planen den Einsatz von Landminen gegen Russland. Trotz Kriegsangst kritisieren Bewohner die Entscheidung.
Vilnius – Fünf Staaten an der Nato-Ostgrenze wollen einen neuen Eisernen Vorhang zu Russland ziehen, mithilfe eines Minengürtels. Angesichts des Ukraine-Kriegs wollen sich die Nato-Mitgliedsstaaten so vor eine Invasion durch Russland oder Belarus schützen. Dafür wollen sie auch eine brutale Kriegswaffe nutzen, deren Nutzen durch ein gemeinsames Abkommen eigentlich verboten worden war: Antipersonenminen.
Aus der sogenannten Ottawa-Konvention von 1997 wollen Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen austreten, wie sie bekanntgaben. Es wird davon ausgegangen, dass die fünf Nato-Staaten noch im Juni ihre formelle Austrittserklärung bei den Vereinten Nationen (UN) einreichen. Das würde den Weg dafür freigeben, die Minen wieder zu produzieren, zu lagern und einzusetzen. Die Wälder und Seenlandschaften an der Grenze könnten dadurch zu einem tödlichen, explosiven Minenfeld werden.
Litauen in heikler Situation: Russland-Invasion durch Sulwalki-Lücke könnte Baltikum abschneiden
Hintergrund ist die Angst vor einer Eskalation russischer Expansionsbestrebungen. Unter anderem befände sich Litauen bei einer direkten Konfrontation mit Russland und Belarus in einer heiklen Situation, denn Litauen grenzt mit Russlands Exklave Kaliningrad an beide Staaten. Es wird spekuliert, dass Russland bei einer neuen Invasion am ehesten die sogenannte Suwalki-Lücke durchschneiden würde. Gemeint ist die Grenze zwischen Polen und Litauen, über die Russland am schnellsten zur russischen Exklave Kaliningrad kommen würde. Sollte das passieren, wäre das Baltikum von den anderen Nato-Ländern abgeschnitten, eine Versorgung wäre erschwert.
Aus Angst vor Russland bereitet sich Litauen deswegen militärisch vor. In der südlichen Randregion von Litauen befinden sich bereits eine Reihe von Schildern mit den Aufschriften „Stopp“ und „Eintritt nur mit Genehmigung des staatlichen Grenzschutzdienstes“. Ein Zaun, verstärkt mit Stacheldraht, markiert die Grenze zu Belarus. Dass dort Landminen gelegt werden würden, ist höchstwahrscheinlich. Litauen plant in den kommenden Jahren, 800 Millionen Euro in die Produktion von Anti-Panzer- und Antipersonenminen zu investieren.
Was sind Antipersonenminen?
Antipersonenminen sind Landminen, die sich gegen Personen richten. Es handelt sich um kleine Sprengfallen, die in ihrer Zerstörungskraft, durch ihren Auslöser und ihren Wirkradius vor allem Menschen schaden sollen. Umstritten sind die Antipersonenminen, weil ihre Entschärfung aufwendig ist. Blindgänger können auch nach Jahrzehnten noch eine Gefahr sein. Auch durch automatische Entschärfungsvorrichtungen kann das Problem nicht vollständig gelöst werden. Außerdem führen die Minen zu schwersten Verletzungen an Gliedmaßen, die oft zu Amputationen führen. Viele Minenarten sollen Menschen extra nicht töten, sondern nur schwer verletzen – um zusätzliche Ressourcen beim Feind zu beanspruchen.
Zeitzeugin aus Zweitem Weltkrieg erinnert an Vergangenheit: „Unsere Enkelkinder müssen leben“
Eine Zeitzeugin des Zweiten Weltkriegs, Jadwyga Mackewich, erfüllen die aktuellen Entwicklungen mit Furcht. Sie war drei Jahre alt, als die Nationalsozialisten ihr Dorf Šadžiūnai im Jahr 1944 niedergebrannt haben. Das litauische Dorf liegt an der Grenze zu Belarus. Gegenüber The Telegraph beschrieb sie ihre frühsten Erinnerungen; „Ich habe sehr geweint: Mein Dorf brannte“. Vor einem neuen Krieg habe sie Angst, besonders um ihre drei Enkelkinder und zwei Urenkel. „Für uns, wir werden bald sterben. Aber unsere Enkelkinder müssen leben“, meinte Mackewich.
Dennoch stellte sie sich gegen die Idee von Landminen vor ihrer Haustür. „Mit dieser Idee wäre ich nicht glücklich“, sagte die 84-Jährige. „Vielleicht laufen Tiere durch und sie explodieren. Ich habe keine Kraft mehr, in den Wald zu gehen. Ich gehe dort nicht mehr spazieren, außer um Feuerholz zu sammeln. Aber ich kann nichts ändern. Es wird so sein, wie es sein wird.“

Litauen-Familie trifft Vorbereitung für Krieg mit Russland – doch sorgt sich wegen Antipersonenminen
Etwa anderthalb Kilometer von der Grenze zu Belarus, im litauischen Dorf Didieji Baušiai, bereitete sich währenddessen eine Familie auf einen Krieg vor. „Warum wollten die Russen die Ukraine angreifen? Sie wollen mehr Territorium“, sagt die 37-jährige Jurate Penkowskiene The Telegraph. „Also werden sie wahrscheinlich auch unser Territorium wollen.“ Doch auch sie ist nicht überzeugt von Landminen, die Nato sei die beste Sicherheitsgarantie.
„Für die Verteidigung mag das gut sein, aber für die Menschen ist es nicht gut, weil die Minen dort bleiben könnten“, sagt Penkowskiene zu dem geplanten Minenfeld. „Ich würde mir Sorgen machen, weil wir jetzt frei in den Wald gehen können. Aber danach wäre es psychologisch nicht mehr so einfach, in den Wald zu gehen“.
Litauens Verteidigungsminister verteidigt Minen-Entscheidung: Russland bringe „existenzielle Gefahr“
Litauens Verteidigungsminister Dowile Šakalienė stritt die Schwere der Entscheidung, wieder Landminen zu nutzen, nicht ab. Der Wandel sei aus einer Notwendigkeit entstanden, argumentierte er stattdessen. Der Ukraine-Krieg und die Grenzen zu Russland und Belarus seinen eine „existenzielle Gefahr“. Außerdem habe Russland sich nie auf die Ottawa-Konvention eingelassen und mehr Landminen produziert, während Europa seine eigenen Bestände zerstört habe. Auch im Ukraine-Krieg soll Russland Antipersonenminen genutzt haben.
Die Grenze zwischen den fünf Nato-Staaten und Russland und Belarus umfasst insgesamt etwa 3460 Kilometer. Unter anderem plant auch Polen einen massiven Eisernen Vorhang an der Grenze zum Oblast Kaliningrad und zu Belarus. Neben meterhohen Zäunen und Mauern mit Überwachungsanlagen und sogenannten Drachenzähnen sollen auch hier Antipersonenminen zum Einsatz kommen. (lismah)