Serie „So geht es Deutschland wirklich“ - „Völlig verrückt“: Mitten in der Krise feiert Unternehmer Mike ein Wirtschaftswunder
Mike Fischer, 61, ist ein Top-Unternehmer aus Gera in Thüringen. Nach dem Mauerfall gründete er eine Fahrschule, die mittlerweile bundesweit Furore macht. Fischer ist einer, der anpackt, mutig nach vorn geht und andere mitreißt – auch in trüben Zeiten.
Er köpft ein Ei, nippt an seinem Kaffee. Es ist 7.30 Uhr. Deutschland kommt langsam in die Gänge. Höchste Zeit, dass was vorwärtsgeht.
Mike Fischer, Jeans, weiße Sneaker, 30-Euro-Hoodie, sitzt nicht zu Hause. Er frühstückt auf Arbeit. Wobei: Arbeit ist das falsche Wort. Es ist sein Leben.
Er liebt seinen Beruf so sehr, dass er sich das Logo seiner Firma auf den rechten Arm tätowieren ließ: „Fischer Academy“. So heißt die Fahrschule, die er im März 1990 gegründet hat. Heute setzt er damit pro Jahr mehr als eine Million Euro um.
Aber Fischer wäre nicht Fischer, wenn er mit seinen wirtschaftlichen Erfolgen prahlen würde. „Die Zahlen müssen stimmen“, sagt der 61-Jährige, während auf seiner Apple-Watch Nachrichten im Sekundentakt blinken. „Aber mir geht es um etwas ganz anderes.“
Firmenlogo und Werte eintätowiert: „Denke anders“
Er krempelt den Ärmel hoch. Über dem rot-weißen Firmenlogo kommen weitere Tätowierungen zum Vorschein: „Trage Verantwortung!“, „Denke anders“, „Nimm Dich nicht so wichtig!“ „Bleibe ehrlich“, „Sei besessen“, „Sei dankbar!“.
Neun Glaubenssätze hat er sich in die Haut stechen lassen. Sie erinnern ihn jeden Tag daran, worauf es ankommt. „Das sind Werte, für die ich stehe. Und die wir hier im Unternehmen jeden Tag leben.“
Der zweite Kaffee. Fischers Augen leuchten. „Wenn Sie mich fragen, wie glücklich ich im Moment bin auf einer Skala von eins bis zehn, dann würde ich sagen: acht.“ Den Zwei-Punkte-Abzug macht der Vater zweier erwachsener Söhne nur, weil ihm das linke Knie schmerzt und er demnächst unters Messer muss. Eine 31 Jahre alte Sportverletzung.
„Ansonsten“, sagt er lachend, „wäre es eine Zehn plus“.
Ein mittelständischer Unternehmer im Osten Deutschlands, der rundum glücklich ist? In diesen wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten?
„Wir schließen gerade das beste Jahr in unserer 34-jährigen Firmengeschichte ab“, sagt der Thüringer stolz. Und schiebt nach: „Ich freue mich auf die Zukunft!“
Natürlich ist Fischer nicht blind. Wie jeder Unternehmer im Land leiden er und seine 25 Mitarbeiter unter dem, was gerade schiefläuft.
Fischer: „Bin kein Freund der schlechten Nachrichten"
Ausufernde Bürokratie, falsche sozialstaatliche Anreize, Fehlentwicklungen bei der Energiewende, die erdrückende Steuerlast. Dazu Politiker, denen es an visionärer Kraft fehlt und die jede Aufbruch-Mentalität vermissen lassen. Fischer hätte allen Grund, sich zu ärgern. Und tatsächlich ist er mit vielen Entwicklungen „sehr unzufrieden“.
Doch er weigert sich, die allgemeine Verdrossenheit zu befeuern. Er sagt: „Ich bin kein Freund der schlechten Nachrichten und des Alles-Kaputtredens. Wenn alle nur negativ denken, dann wird das Leben auch negativ. Dagegen wehre ich mich.“
Fischer hat seinem Team und seinen Fahrschülern ein Umfeld geschaffen, das nicht nur hell und freundlich und inspirierend ist. Für die allermeisten ist es eine Art Zuhause. Ein familiärer Ort. Seine Buchhalterin trägt den offiziellen Titel „Zahlenfee“, die Kollegin in der Kantine „Frühstücksengel“. Eine Mitarbeiterin im Kundenservice ist die „Alltagsheldin“.
Man mag das für übertrieben halten oder auch kindisch. Fischer meint es ernst. Es ist seine Art, Mitmenschen Respekt zu zeigen, sie wertzuschätzen.
Das gilt auch für Handwerker und Dienstleister. Jeden Tag um 13 Uhr öffnen die Fischer-Leute die Firmenbriefkästen. Rechnungen werden sofort geprüft und beglichen. Der Chef: „Wir bezahlen jede Rechnung bis spätestens 18 Uhr. Damit bedanken wir uns für die geleistete Arbeit. Wir wollen zeigen, dass auf uns Verlass ist.“
Die Art, wie hier miteinander umgegangen wird, ist auch für Fahrschüler beeindruckend.
Er ist Vorbild in einer Ost-Stadt mit vielen Problemen
Einmal klopfte ein junger Mann aus der Nähe von Köln an Fischers Bürotür. Er war nach sieben Tagen Fahrschule durch die Prüfung gefallen. Enttäuschung pur. Beim Abschied sagte der aus schwierigen Verhältnissen stammende 22-Jährige: „Ich habe mich bei Ihnen gefühlt wie in einer richtigen Familie. Es war die schönste Zeit meines Lebens.“
Fischer bekam Gänsehaut. „In dem Moment wurde mir klar, was der Sinn unseres Unternehmens ist.“ Dass die Leute ihren Führerschein machen können, okay. „Aber im Kern geht es um mehr. Nämlich um die Gemeinschaft, um das Miteinander und den positiven Spirit.“ Die Firma sei Familie. „Die Leute, die hier arbeiten und zu uns kommen, spüren das.“
Seine anpackende, leidenschaftliche Art mache ihn zum „Vorbild“ für die Jugend, lobte ihn einst die Geraer Oberbürgermeisterin. Die Industrie- und Handelskammer nannte ihn einen Macher, der „auch in einer Stadt mit vielen Problemen“ mutig nach vorne gehe.
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Mike Fischer ist das freundliche Gesicht einer Stadt, die nicht immer als freundlich wahrgenommen wird.
Eine Stadt, die viele verbinden mit wirtschaftlichem Niedergang, Agonie, braunem Image. Eine Stadt mit AfD-Mehrheit im Rathaus und einer pulverisierten SPD. Den Grünen traut man hier ähnlich Großes zu wie den Witzbolden von „Die Partei“. Beide haben im Stadtrat je einen Sitz. Die CDU stellt immerhin den Oberbürgermeister.
Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler fand unlängst in der „FAZ“ ein paar aufmunternde Worte über Gera, Heimat des weltberühmten Malers Otto Dix und landschaftlich wunderschön gelegen. Er lobte die vielen fleißigen, klugen Menschen, die es gewiss nicht immer leicht hätten, die aber ihre Stadt voranbringen wollten.
„Von Gera lässt sich lernen“, so Köhler. Eine Ausnahme.
„Wir sollten vielmehr auf das Positive schauen"
Denn in Regel ereilt die 96.000-Einwohner-Stadt im Osten Thüringens dasselbe Schicksal wie andere Ost-Kommunen: Journalisten aus Berlin, Hamburg oder München reisen an, suchen – und finden – irgendwelche Nazi-Deppen und Stänkerer. Deren Botschaften werden verbreitet und setzen sich in den Köpfen fest. Ein Trauerspiel.
Mike Fischer ist der Gegenentwurf zu jenen, die immer alles schlechtreden und miesmachen. Nicht aus Trotz. Sondern aus Überzeugung.
„Was hier in der Stadt passiert – rechte Demos, Folgen der Migration, Ladensterben in der City – gibt es doch überall.“ Ob in Köln, Duisburg, Bremen oder Hannover. Stets könnte man das Negative betonen und einer Stadt damit einen Verlierer-Stempel aufdrücken. Doch das werde der Sache nicht gerecht. „Wir sollten vielmehr auf das Positive schauen.“
„In Gera leben fast 100.000 Menschen. Das sind doch nicht alles Idioten“, sagt Fischer. „Die Stadt ist toll, wir haben eine super Infrastruktur und viele engagierte, hilfsbereite Leute, die echt was auf die Beine stellen. Du hast hier alle Möglichkeiten.“
Er selbst hat seine Chance genutzt.

Er sei ein „typisches DDR-Kind aus Gera“, sagt Fischer, 1963 geboren, miserabler Schüler, lausiger Elektriker-Lehrling, später begeisterter Berufskraftfahrer. Noch zu Ostzeiten sattelt er um und wird einer der jüngsten Fahrschullehrer im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat.
Als die Mauer fällt, ist er 26. Die Welt steht ihm offen. Er nimmt 14 Tage Urlaub, um sich im Westen umzuschauen. Nahe Gütersloh findet er einen Helferjob am Bau und kehrt mit 1000 D-Mark zurück nach Hause. Damals ein Vermögen. Sein Startkapital für die erste eigene Fahrschule, gegründet im März 1990.
Fischer kauft einen „Trabant 601 de luxe“, mit dem Fahrschüler fortan über die Buckelpisten Geras knattern. Einzige Mitarbeiterin damals: seine Mutter. In den ersten Wochen landen auf ihrem Schreibtisch 4000 Anmeldungen, alle handgeschrieben. Es ist der Start einer atemberaubenden Entwicklung. Heute umfasst seine Flotte 15 E-Autos und drei Lastwagen.
Erfolgsgeschichte: Vom Trabi bis zu Shirin David
Mike Fischer packt an. Neben seiner Fahrschule betreibt er drei Friseurläden, eine Autovermietung, eine Zeitarbeitsfirma und einen Pizza-Lieferdienst. Auch im Geschäft mit mobilem Kaffee-Verkauf aus dem Bauchladen versucht er sich. Gemeinsam mit seinem Vater, einem Bauingenieur, kauft und saniert er alte Häuser.
Nicht jedes Vorhaben gelingt. Fischer muss Rückschläge einstecken. Aus Fehlern lernt er. Und bleibt auf Erfolgskurs. Auch deshalb, weil er sich zum Weiterbildungs-Junkie entwickelt und das Einmaleins des Unternehmertums aufsaugt.
„Als Ossi habe ich anfangs nicht mal gewusst, was eine Umsatzsteuer ist“, sagt Fischer. Heute hängt in seiner Fahrschul-Zentrale ein Zitat des russischen Revolutionsführers Wladimir Iljitsch Lenin: „Lernen, lernen, nochmals lernen!“
2008 der große Durchbruch. Fischer hat die Idee, aus seiner regionalen Fahrschule eine nationale Top-Adresse zu machen. Schüler aus ganz Deutschland sollen zu ihm nach Gera kommen. „Eigentlich völlig verrückt“, sagt er heute. Denn laut Gesetz muss man seine Fahrerlaubnis eigentlich in seinem Wohnort machen.
Mike Fischer kann so etwas nicht stoppen.
Mitten in Gera zieht er ein „Fahrschul-Internat“ hoch, 22 Betten in hübsch sanierten Altbauwohnungen, dazu Verpflegung und Rundum-Betreuung. Zugleich bietet er Schülern an, ihren Pkw-Führerschein in nur sieben Ausbildungstagen zu machen (aktuelle Kosten 6500 Euro), den Lkw-Führerschein in zehn Tagen.
Für diese kurze Zeit melden sich die Schüler behördlich in Gera an. Sie werden offiziell Bürger der Stadt.
Gut 500 Fahrschüler aus ganz Deutschland zählt die „Fischer Academy“ seither jedes Jahr. Der Andrang ist auch deshalb groß, weil TV-Sender und Zeitungen über Fischers genialen Coup berichten, später Influencer mit vielen Millionen Followern auf YouTube, Facebook und Instagram. Prominenteste Fahrschülerin: die Rapperin Shirin David.
Mittlerweile ist Mike Fischer selbst zur Marke geworden. Er schreibt Bücher („Erfolg hat, wer Regeln bricht“, „Umdenkfabrik“), tritt als Redner auf, heimst Unternehmerpreise ein, ist ein erfolgreicher Podcaster. Dem YouTube-Kanal seiner Fahrschule folgen 180.000 Abonnenten.
Wo andere Probleme sehen, sieht er Chancen
Die Gefahr, dass ihm der Erfolg zu Kopf steigen könnte, sieht der 61-Jährige nicht. Villa, Boot, Luxus – „alles Dinge, die ich nicht brauche“.
Einmal kauft er sich doch einen Porsche. An der Tankstelle rufen die Leute: „Geiler Schlitten, was kostet der, wie viel PS?“ Fischer schreckt das ab. Nach einem halben Jahr verkauft er den Wagen wieder. „Mit hohem Verlust.“
Was für ihn wirklich zählt im Leben, kann man auf Fischers Unterarm sehen. Dort stehen seine neun Gebote und das Firmenlogo. Außerdem ein skizzenhaftes Bild mit Symbolkraft: ein Mann, der gegen den Strom schwimmt. Fischer eben. Als Jugendlicher in der DDR war er Leistungsschwimmer, jetzt sei er ein „Andersmacher“, so Fischer über sich selbst.
Wo andere Probleme sehen, sieht er Chancen. Selbst aus den größten Rückschlägen zieht Mike Fischer Kraft und Energie.
1993 wäre der Traum beinahe geplatzt. Beim Beachvolleyball in Griechenland verletzt er sich schwer. Kreuzband, Meniskus, Seitenbänder, alles kaputt. Die Operation in Deutschland verläuft miserabel. Im Knie bildet sich eine Infektion. Multiorganversagen, Fischer muss auf die Intensivstation. Insgesamt zehn Operationen folgen. Ärzte hatten ihn fast aufgegeben.
Nach einem dreiviertel Jahr kehrt der junge Chef zurück. Im Rollstuhl. „Das war eine der größten unternehmerischen Erfahrungen, die ich gesammelt habe“, sagt Fischer. Er stellt fest, dass die Mitarbeiter den Laden ohne ihn geschmissen haben. „Die haben das einfach in die Hand genommen. Das lief besser als vorher. Ich konnte meinen Leuten voll vertrauen.“
Mike Fischer: „Ich will nur in die Zukunft schauen"
Der überstandene Sportunfall lehrt ihm, auch im Negativen immer das Positive zu sehen. „Von da an wusste ich: Fast alle Probleme, die jetzt noch kommen, können nicht schlimmer sein. Und ich werde sie lösen.“
Er bereue nichts, sagt Mike Fischer, auch nicht die harten Zeiten, die ihm viele schlaflose Nächte bereiteten. Sie seien genauso wertvoll wie die Erfolge. Aber mit Vergangenem hält er sich nicht lange auf. Er illustriert seine Einstellung standesgemäß.
„Bei einem Auto ist die Frontscheibe groß und der Rückspiegel ist klein. Ich schaue ganz selten nach hinten in die Vergangenheit“, so Fischer.
„Ich will nur in die Zukunft schauen. Auf das, was wir neu gestalten.“