„Sturmschwalbe“: Putins von vornherein gefloppte „Wunderwaffe“
Er wird nicht können, was er können soll: Russlands neuer Burewestnik-Marschflugkörper mit Atomkraft als Antrieb. Typisch Putin: mehr Schein als Sein?
Moskau – „Es ist unrealistisch zu erwarten, dass Russland jemals die Raketen ‚ausgehen‘ werden“, schreibt Ian Williams. Der Analyst des US-Thinktanks „Center for International and Strategic Studies“ (CSIS) hat die Aussage im Zusammenhang mit dem versuchsweisen Einsatzes von Wladimir Putins neuer Mittelstreckenrakete „Oreschnik“ (zu Deutsch: Haselstrauch) getroffen. Und während die Nato noch rätselt, was die Waffe kann, wie viele davon wohl gebaut würden und ob sie im Ukraine-Krieg zum Einsatz kommen könnte, hat Russland seinen nächsten Schrecken aufgefahren: die „Burewestnik“ (Sturmschwalbe), ein Marschflugkörper mit Nuklearantrieb und extra langer Reichweite. Der Reaktor gelte allerdings als anfällig, weswegen die Waffe mitunter als „das fliegende Tschernobyl“ bezeichnet würde, wie Waclaw Radziwinowicz in der Welt schreibt.
Putins Aktivitäten im Eis – gäben „mysteriöse Truppenbewegungen“ Hinweise „auf einen baldigen Einsatz“
Auf einer sibirischen Militärbasis gäben „mysteriöse Truppenbewegungen“ Hinweise „auf einen baldigen Einsatz“, so Radziwinowicz. Bereits im vergangenen Jahr hatten verschiedene Medien über angebliche Tests berichtet, und auch der ukrainische Militärgeheimdienst streut jetzt erneut Informationen über Versuche mit dieser Waffe. „Im Erfolgsfall wird Russland die Testergebnisse nutzen, um seine Interessen in den Verhandlungen mit dem Westen zu verteidigen“, zitiert Reuters Andriy Yusov, der Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes. Erste konkretere Berichte über Aktivitäten mit diesem neuen Marschflugkörper datieren von Mitte August, bevor sich Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump in Alaska zu Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine getroffen hatten.
„Wir können die gesamte Aktivität auf dem Testgelände beobachten, sowohl die riesigen Mengen an Versorgungsgütern, die zur Unterstützung der Operationen ankommen, als auch die Bewegung an dem Ort, von dem aus die Rakete tatsächlich abgefeuert wird“, zitiert Reuters Jeffrey Lewis vom US-amerikanischen Thinktank „Middlebury Institute of International Studies“. Der Nachrichtenagentur zufolge sei auch Decker Eveleth vom US-Thinktank „Center for Naval Analyses“ (CNA) unabhängig von Lewis zur gleichen Beobachtung gelangt. Ausschlaggebend gewesen seien Satellitenbilder des kommerziellen Satellitenunternehmens Planet Labs. „Sie stimmten darin überein, dass die Fotos umfangreiche Aktivitäten auf dem Testgelände Pankovo im Barentssee-Archipel Nowaja Semlja zeigten, darunter eine Aufstockung der Zahl an Personal und Ausrüstung sowie an Schiffen und Flugzeugen im Zusammenhang mit früheren Tests der 9M730 Burewestnik“, schreibt Reuters-Autor Jonathan Landay.
„Russland normalisiert einen gefährlichen Atomdiskurs.“
Lewis, Eveleth und zwei Rüstungskontrollexperten sagten, die Entwicklung der Rakete habe für Moskau an Bedeutung gewonnen, seit Trump im Januar die Entwicklung eines US-Raketenabwehrschilds namens „Golden Dome“ angekündigt habe, so Reuters. Bereits mit der Oreschnik hatte Russland Stärke demonstrieren wollen und den Beleg dafür erbringen, dass Russland in der Lage sei, Tod und Vernichtung von Moskau aus beispielsweise bis ins portugiesische Lissabon tragen zu können. Mit dem Test der Oreschnik Ende 2024 habe Wladimir Putin damit nach eigenem Bekunden die Freigabe westlicher Waffen für einen Angriff auf Russlands Territorium beantwortet. Die „Sturmschwalbe“ soll jetzt sogar gefährlicher sein als der „Haselstrauch“ und weiter fliegen können als die Orschnik, die auf maximal 5.000 Kilometer geschätzt wird.
Ukraine-Krieg zieht nach Europa: Putins neue Rakete kann vielleicht wochenlang über der Erde kreisen
Die Innovation dieser Waffe bestünde laut der Welt darin, dass sie nicht nur selbststeuernd konstruiert sein soll, sondern angetrieben werde von einem integrierten Atomreaktor; dadurch könne sie „wochenlang über der Erde kreisen mehrmals die Erde umrunden und dabei, eine Spur radioaktiver Zerfallsprodukte hinter sich herziehend, in unterschiedlichen Höhen manövrieren, um Flugabwehrsysteme zu umgehen“, wie Welt-Autor Waclaw Radziwinowicz den russischen Diktator zitiert. „Russland normalisiert einen gefährlichen Atomdiskurs“, schreibt Heather Williams. Die Analystin verweist auf eine Studie des US-Thinktanks CSIS von Anfang 2024, nach der russische Politiker in mehr als 200 Fällen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auf den Einsatz von Atomwaffen verwiesen hätten.
Mit der Eskalation des Konflikts in der Ukraine hätten auch die Drohungen an Schärfe gewonnen. Zuletzt hatte Wladimir Putin seine Atomdoktrin überarbeitet – bereits die Partnerschaft eines russischen Gegners mit einer nuklearen Macht reiche demnach, um einen atomaren Erstschlag auszulösen. Was offenbar dem Westen wenig Kopfzerbrechen bereitet, wie verschiedene Medien wiederholt berichten. Bereits die Einführung der als Hyperschallwaffe angepriesenen Oreschnik hatte Anlass gegeben zu Zweifeln, dass Russland seine ambitionierten Raketen zur Reife entwickeln beziehungsweise anschließend in relevanter Stückzahl produzieren kann. Während Optimisten Russland die Fähigkeit zu einer „Kalaschnikow“-Ökonomie zubilligen, also einfache, aber robuste Technik in Masse zu produzieren, sehen Pessimisten klare Schwächen Russlands im Bau von Hochtechnologie.
Beruhigung für die Nato: Experte verneint, dass die Burewestnik das Zeug zur „Wunderwaffe“ habe
Die Burewestnik macht da wohl keine Ausnahme: So sollen zwischen elf und 13 Tests mit der Waffe stattgefunden den haben. Analysten wollen darunter lediglich ein bis zwei Tests als erfolgreich erkannt haben. Bereits im September 2024 hatte Decker Eveleth klar verneint, dass der Burewestnik das Zeug zur „Wunderwaffe“ innewohne, wie der Analyst im Magazin Foreign Policy deutlich gemacht hat. Allein durch Reichweite und Sichtbarkeit der Waffe würden die Ambitionen Wladimir Putins begrenzt werden. Der Antrieb, der statt aus einem klassischen Düsentriebwerk, aus einem ungeschützten Kernreaktor bestünde, könnte theoretisch unbegrenzte Entfernungen zurücklegen – wenn er denn technisch umsetzbar wäre, wie sich die Russen das vorstellten, schreibt Eveleth.

Der Marschflugkörper ist dafür gebaut, unbegrenzt zu schweben und stellt damit die Potenzierung der Vernichtungskraft heute im Ukraine-Krieg schon gewohnter „loitering ammunition" dar – also „herumlungernder“ Munition. Allerdings benötigen diese schwebenden Waffen einen ständigen Abgleich mit satellitengestützter Kommunikation. Über einen längeren Zeitraum und längere Entfernungen summierten sich allerdings kleine Fehler im Lenksystem der Rakete, was deren Genauigkeit konterkariert. Je länger sie herumlungern, desto stärker würde ihre Treffergenauigkeit leiden; laut Eveleth könne sie also vorerst nie das leisten, wofür sie konstruiert worden war; ihm zufolge bestünden also grundlose Ängste, hinsichtlich von Burewestnik-Waffen, die ewig in der Nähe von Nato-Zielen schwebten, um aus heiterem Himmel anzugreifen.
Was steckt hinter Russlands Technik: eine Reichweite von 10.000 bis 20.000 Kilometern?
Spenser A. Warren geht davon aus, dass die Burewestnik eine Reichweite von 10.000 bis 20.000 Kilometern habe, und Putin damit jeden Ort der Vereinigten Staaten treffen könnte, wie er für das U.S. Army War College geschrieben hat. Laut Decker Eveleth stecke in der Burewestnik aber ein zweiter Fehler im System. Zwar seien Marschflugkörper weniger gut sichtbar und schlechter zu verteidigen. Aber je länger die Waffe in der Luft schwebe, desto größer würden die Chancen, sie während ihrer Mission aufzuspüren. Laut dem Wissenschaftler könnte Russland diese Herausforderung meistern mit mobilen Abschussrampen – was die aber unterließen und statt dessen auf feste Startbasen setzten; ein Grund, weshalb offenbar viele Informationen über die Fortschritte vorlägen.
Eveleth beschreibt den Standort der Waffen als Lager für Atomsprengköpfe, „angeblich Wologda-20 genannt“, rund 650 Kilometer entfernt von den Grenzen Russlands zu denen von Finnland und Estland. „Er umfasst neun feste Startpositionen, Raketenabwehranlagen und Lagerbunker für Atomsprengköpfe. Da sich Startpositionen, Raketen und Sprengköpfe alle am selben Standort befinden, ist es wahrscheinlich, dass die Burewestnik eine Rakete ist, die jederzeit startbereit ist“, so Eveleth. Er habe das beispielsweise daran erkannt, dass an Raketencontainern die Dächer bewegt worden waren. Ungeachtet dieser Aktivitäten hält Spenser Warren die Burewestnik aufgrund ihrer systemimmanenten Makel eher geeignet für einen atomaren Zweitschlag.
Da aber noch diskutiert wird, ob die Waffe einen nuklearen „Abgasstrahl“ verursacht und somit das Gelände unter ihrer Flugbahn kontaminiert, hätte der atomare Erstschlag schon Schäden in Russland verursacht. Die Schäden für die eigene Bevölkerung würden durch die Burewestnik eventuell noch potenziert – was Warren zum Fazit verleitet, die Burewestnik sei „ein schlechtes Werkzeug für die Kriegsführung“.