Kemptener Verein will Ehrenamtliche für seine Arbeit gewinnen

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Vorsitzende Verein Ikarus.JPG © Lajos Fischer

Kempten – Kati Bernhardt ist seit Sommer 2022 Vorsitzende des Vereins Ikarus in Kempten. Welche neuen Entwicklungen gibt es in Thingers und wie reagiert der Verein auf die Herausforderungen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines Gesprächs mit dem Kreisboten.

Die gelernte Maschinenbauingenieurin kam mit der Stadtteilarbeit durch die Thingers-Zeitung in Kontakt, für die sie seit drei Jahren Texte verfasst. Dann wurde durch den Wegzug von Christa Prause der Vorsitz vakant. Sie habe lange überlegt und erst zugesagt, als sie von alten Vorständen wie Edwin Reichert Unterstützung zusagt bekommen habe, erzählt die 56-Jährige. „Ich war auch früher ehrenamtlich engagiert, aber nicht in einem Verein oder im Vorstand.“

Viele Angebote von Ikarus sind sozial ausgerichtet. „Diese sind hier wahnsinnig wichtig“, so Bernhardt. Dazu gehören der Bürgerladen – ‚Im Prinzip die Tafel in Thingers‘ –, der Secondhandladen „Hand in Hand“ – ‚Eine gute Einkaufsmöglichkeit für finanziell schwache Familien‘ – und „Thingers rettet Lebensmittel“ – ‚Unser Food­sharing-Projekt‘.

Infolge der Inflation und der vielfältigen Krisen steige die Nachfrage kontinuierlich, berichtet die Vorsitzende. Um das Angebot zu sichern, bräuchte der Verein mehr aktive Ehrenamtliche. „Nach dem Corona-Durchhänger läuft der Motor an.“ Das merkt man auch an der Mitgliederzahl des Vereins, die in diesem Jahr mit 30 zusätzlichen Menschen auf 237 gewachsen ist. „Die meisten nehmen die Angebote gerne an, aber nur wenige wollen aktive Projektarbeit übernehmen.“

Notwendiger Generationenwechsel

Es wäre wichtig, für einen Generationswechsel zu sorgen. „Im Bürgerladen brauchen wir frische Mitarbeiter. Viele, die sich dort engagieren, sind über 70. Wenn diese nicht mehr können, fallen die Angebote weg.“ Bernhardts Appell richtet sich an die „angehenden Boomer“: „Ihr habt den Ruhestand verdient, aber zwei Stunden ehrenamtliche Arbeit pro Woche müsste drin sein!“ Bei der seniorenpolitischen Befragung im letzten Jahr meinte etwa jeder Zweite der Befragten, dass für ihn ehrenamtliche Arbeit infrage käme. „Wo seid ihr?“, fragt die Vorsitzende und weist darauf hin, dass es einem auch persönlich viel bringen könne, wenn man gesellschaftspolitische Verantwortung übernehme.

In Thingers leben viele junge Familien. Der Verein will die Angebote für Kinder und für ihre Eltern weiter ausbauen, auch in der Hoffnung, dadurch junge Leute für seine Arbeit zu gewinnen. Als Beispiel nennt Bernhardt die Wildnis-Gruppe, in der Kinder zwischen sechs und elf Jahren einmal in der Woche von einer Wildnis-Pädagogin betreut werden. Sie sind um den Schwabelsberger Weiher unterwegs, bauen Vogelhäuser und lernen die Natur kennen. Der Verein will dieses Angebot der spielerischen Naturerziehung ausweiten, wenn er dafür einen zweiten Pädagogen findet. Die Gruppe wird kostenfrei angeboten und finanziert sich rein aus Spendengeldern. Eine weitere Überlegung ist, dieses Projekt zu einem Ferienangebot zu erweitern. Die Nordschule bietet eine zweiwöchige Ferienfreizeit an. Da von den Familien in Thingers viele nicht in den Urlaub fahren können, wäre es sinnvoll, wenn in der Regie von Ikarus zwei weitere Wochen drangehängt werden könnten.

Veranstaltungen und Angebote für Kinder

Der Verein bietet auch etliche Einzelveranstaltungen für die Jüngsten. Als Beispiel nennt Bernhardt den Kinderfasching oder die Aufführungen vom Theater Ferdinande. Für 2024 ist eine Kooperation mit ElternTalk, einem Projekt, das Elterngesprächsrunden über wichtige Themen der Erziehung anbietet, geplant.

Weiterhin gefragt sind die Sprach- und Kulturpaten, die Kindern außerhalb der Schule spielerisch die Möglichkeit bieten, Deutsch zu kommunizieren und dadurch ihre Sprachkenntnisse zu festigen. Ermöglicht wird dies durch die Kooperation des Vereins mit der Nordschule und der Stadt Kempten. Hier ist der Bedarf auch gestiegen, vor allem von Kindern aus der Ukraine.

Die personelle Unterbesetzung betrifft nicht nur Ikarus, sondern alle Akteure im Stadtteil. Um ihre Kräfte zu bündeln und ihre Angebote aufeinander abzustimmen, wurden regelmäßige Treffen vereinbart. Mit dabei sind beispielsweise die Kirchen, die Schulen und das Jugendzentrum. In den Räumlichkeiten des Bürgertreffs bietet der Verein verschiedene Kurse an, die ergänzt werden durch Angebote von Externen, die die Räumlichkeiten anmieten und dadurch das kulturelle Leben im Stadtteil bereichern.

Empörung und Jammern reichen nicht

Die hohe Zustimmung für die AfD im Stadtteil bei der Landtagswahl sieht der Ikarus-Vorstand als Ansporn an, einen noch besseren Zugang zu den Bürgern aufzubauen. „Es reicht nicht, sich über das Wahlergebnis zu empören“, sagt Bernhardt. „Jammern bringt uns nicht weiter.“ Man mache sich zu wenig Gedanken darüber, wie dieses Ergebnis zustande gekommen sei. Man sollte generell überlegen, wie man den Menschen existenzielle Ängste nehme, wie die Gesellschaft ihnen realistische Perspektiven aufzeigen könne. Die Bürger sollten sich darüber verständigen, was in einer sozialen Stadt Zusammenhalt bedeute.

Die Akteure im Stadtteil stellen fest, dass beispielsweise manche russischsprachigen Mitbürger nur innerhalb ihrer Gemeinschaft aktiv sind und einseitig durch russische Medien beeinflusst werden. Ziel des Netzwerks ist, die Leute aus ihren Blasen zu holen. Als Türöffner könnten das Seniorenbüro, Sportgruppen oder der Frühstückstreff dienen. Ikarus plant in Zusammenarbeit mit der Hanns-Seidel-Stiftung eine zweisprachige, niederschwellige Veranstaltung, in der über existenzielle Ängste, Fake News, gesellschaftlichen Zusammenhalt, schulische Bildung, Jobmöglichkeiten und viele andere Themen gesprochen werden kann.

Das Ehrenamt muss angepasst werden

Bernhardt stellt auch fest, dass es zurzeit einen starken Gegenwind gegen Migration im Allgemeinen gibt. Die „Altmigranten“, die gut integriert sind, würden sich darüber ärgern, dass „alle in einen Topf geworfen werden“. Deswegen seien sie empfänglich, wenn es um die Begrenzung der Neumigration gehe.

Das Ehrenamt sichtbarer und attraktiver machen! – Das ist zurzeit das wichtigste Ziel des Vereins. „Wir brauchen aktive Ehrenamtliche im Verein, nicht nur im Vorstand“, sagt Bernhard. Sie hat bereits die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung und -politik angesprochen und auf den Handlungsbedarf innerhalb der ganzen Stadtgesellschaft hingewiesen. Die Formen des sozialen Engagements haben sich verändert, das Ehrenamt müsse ihnen angepasst werden.

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