Deutsche Wirtschaft am Boden: Warum wir uns trotzdem einen Sozialstaat leisten können

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Zahlt Deutschland zu viele Sozialleistungen? Hat sich der Sozialstaat während der wirtschftlich erfolgreichen Zeit zu sehr aufgebläht? Eine neue Studie liefert Antworten.

Berlin - Es sind schlechte Nachrichten. Die deutsche Wirtschaft kommt auch in diesem Jahr nicht vom Fleck. Nur ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent erwartet die Bundesregierung für 2024. Im vergangenen Jahr ist die deutsche Wirtschaft sogar in eine Rezession gerutscht und die Regierung steckte in akuten Geldnöten. Kein Wunder also, dass darüber diskutiert wird, ob sich die Bundesrepublik ihren Sozialstaat noch leisten kann.

Oppositionsführer Friedirch Merz (CDU) schlug Ende vergangenen Jahres Kürzungen beim Bürgergeld und der Kindergrundsicherung vor. „Es geht eben nicht mehr alles“, wetterte der Unionspolitiker. Wie sich der deutsche Sozialstaat während der vergangenen, wirtschaftlich erfolgreichen Jahren entwickelt hat - und ob diese Entwicklung zu einem aufgeblasenen Sozialstaat geführt hat, untersucht jetzt eine neue Studie. Sebastian Dullien und Katja Rietzler haben dafür Daten der Industrieländerorganisation OECD und der EU-Kommission für das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) ausgewertet.

Reichstagsgebäude: Hat Deutschland es mit den Sozialleistungen übertrieben?
Reichstagsgebäude: Hat Deutschland es mit den Sozialleistungen übertrieben? ©  Wirestock/Imago

Deutschlands öffentliche Sozialausgaben sind nicht aufgebläht

Die erste untersuchte Größe: Die Veränderung der öffentlichen Sozialausgaben. Sie sind in Deutschland von 2002 bis 2022, inflationsbereinigt, um 26 Prozent angestiegen. Damit liegt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich relativ weit hinten. Nur die Niederlande und Griechenland verzeichneten mit 9 und 17 Prozent einen kleineren Zuwachs. Alle anderen verglichenen Industriestaaten gaben mehr aus. Die öffentlichen Sozialausgaben der USA wuchsen von 2000 bis 2019 um 83 Prozent, die des Vereinigten Königreichs um 59 Prozent. An der Spitze lag Neuseeland mit einem Zuwachs von 136 Prozent.

Diese Veränderungen sind jedoch nur bedingt aussagekräftig. Deswegen untersuchten die Forscher des IMK auch die Sozialausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Bei den öffentlichen Sozialausgaben liegt Deutschland 2022 mit einem Anteil von 26,7 Prozent im oberen Mittelfeld. Frankreichs Ausgaben für öffentliche Sozialausgaben belaufen sich auf eine Höhe von 31,6 Prozent des eigenen BIP.

Zuviele Angestellte im Öffentlichen Dienst?

Weiterhin untersuchte das Forscherteam den Verlauf Deutschlands Staatsquote - also den Anteil öffentlicher Ausgaben am BIP. Vor Corona habe dieser sogar niedriger gelegen als nach der Wiedervereinigung, berichtet der Spiegel. Auschläge nach oben gab es nur 2009 und 2010 wegen der Finanz- und 2020 wegen der Coronakrise. Im Vergleich mit den Staatsquoten im Euroraum lasse sich hier keine Aufblähung feststellen, schreibt das Magazin.

Der letzte analysierte Faktor ist der Staatsdienst. „Gerne wird auch darauf hingewiesen, dass die öffentliche Beschäftigung in Deutschland spürbar gestiegen sei“, heißt es in einem Kommentar der Forscher. „Zum Teil wird dabei sogar behauptet, der Staat nehme den Unternehmen die Beschäftigten weg.“ Tatsächlich lag der Anteil der im öffentlichten Dienst Beschäftigten an allen Beschäftigten in Deutschland im jahr 2019 bei 10,63 Prozent. Der Durchschnitt der OECD-Industriestaaten lag im selben jahr bei 17,91 Prozent. Die absolute Zahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten habe zwar zugenommen im Vegrleich zum Beginn der Zehnerjahre. Allerdings sei auch die Gesamtbevölkerung in diesem Zeitraum gewachsen, was den Bedarf an Lehrern, Erziehern und Pflegekräften erhöhte.

Das Fazit der IMK-Forscher: „Aktuelle öffentliche Debatten vermitteln häufig den Eindruck, in Deutschland seien die Sozialausgaben in den vergangenen Jahren explodiert und der Staat über alle Maße aufgebläht worden.“ Ein genauer Blick auf die Statistiken zeige jedoch: „Dieser Eindruck ist von Fakten nicht gedeckt.“

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