Gedenken an Kriegsende 1945 in Iffeldorf: Ein bewegendes Buch nimmt die Zuhörer mit

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Vor über zehn Jahren begann Hans Hoche mit seinen Recherchen zu den Geschehnissen rund um den 30. April 1945 in Iffeldorf. Er sprach mit vielen Zeitzeugen, darunter acht Frauen und ein Mann aus der Heimatgemeinde. Nun konnte er sein Buch „Moses in Iffeldorf“ vorstellen. © Antonia Reindl

Mit einer bewegenden Veranstaltung wurde in Iffeldorf an das Kriegsende vor 80 Jahren und die Befreiung von über 2.000 KZ-Häftlingen aus einem Güterzug gedacht. Im Mittelpunkt des Abends stand ein besonderes Buch.

Iffeldorf – Genau hier, in dem einst offenen Zwischenraum vom Deichstetterhaus in Iffeldorf, wuschen sich vor 80 Jahren Frauen. Jüdische Häftlinge kurz nach ihrer Befreiung. Zum Schlafen legten sie sich auf das, was da war, und wenn es dünne Decken auf kaltem Boden waren. Am 8. Mai 2025 saßen am Donnerstagabend nun in diesem Zwischenraum mehr als 100 Gäste, um auf Einladung der Gemeinde Iffeldorf und der örtlichen Pfarrei St. Vitus dem 80-jährigen Kriegsende zu gedenken und in Hans Hoches Buch „Moses in Iffeldorf“ einzutauchen.

Am Donnerstag (8. Mai) wurde in Iffeldorf des Kriegsendes und der Befreiung von KZ-Häftlingen aus einem Güterzug vor 80 Jahren gedacht - Hans Hoche las aus seinem bewegendem Buch

Der Iffeldorfer begleitete die Gäste im Bürgersaal zum 30. April 1945, als ein Güterzug mit über 2.000 jüdischen KZ-Häftlingen an der Bahnstation Staltach stillstand. Stromausfall. Dann Lärm. Truppen der US-Armee befreiten sie aus der Gefangenschaft. Was das für die Einzelschicksale bedeutete, führt Hoche eindrücklich vor Augen, vor allem zu Gemüte.

Der 8. Mai 1945. Ein Tag, der „das Fenster der Hoffnung“ aufgemacht habe, meinte Bürgermeister Hans Lang (SPD) eingangs. Zugleich ein Datum, an dem man an unermessliches Leid, Einschüchterung, Diskriminierung, Gewalt denke, und an das Ende eines „mörderischen Regimes“. Ein Datum, mit dem laut Lang die Mahnung verbunden sein soll: „Nie wieder!“

Gemeinsam für Frieden gebetet

An das „Nie wieder“ schlossen sich der Rabbi Yoshi Zweiback, der evangelische Pfarrer Martin Steinbach und der katholische Geistliche Konrad Bestle an. Sie beteten für den Frieden. Nach einer Lüftungspause, der Bürgersaal war gesteckt voll, übergab Pfarrgemeinderatsvorsitzender Heiner Grupp das Wort an Hans Hoche. Zuvor lobte Grupp die Leistung, die der Iffeldorfer mit seinem Buch „Moses in Iffeldorf“ vollbracht hat. „In akribischer Detektivarbeit“ habe dieser erforscht, was bislang „ein ziemlich weißer Fleck“ in der Ortsgeschichte gewesen sei.

Zahlreiche Zeitzeugen befragt

In rund zwei Stunden gab Hoche Einblick in sein Werk. Zahlreiche Zeitzeugen, die den Befreiungstag miterlebt haben, ließ er in der Lesung zu Wort kommen. Zum einen die KZ-Häftlinge, die in den Güterwaggons eingepfercht waren. „Man saß und schlief auf dem Boden.“ Die Männer etwa waren in mit Stacheldraht gesicherten Kohlewaggons gesteckt worden. Kein Platz, um Beine auszustrecken oder aufrecht zu stehen. Dünne Häftlingskleidung bei Regen, Schnee, Kälte. „Sie lagen acht Tage praktisch im Wasser.“

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Gemeinsam: (v.l.) Pfarrer Konrad Bestle, Pfarrer Martin Steinbach und Rabbi Yoshi Zweiback beteten mit den Gästen für den Frieden. © Antonia Reindl

Zum anderen die Iffeldorfer, die die Befreiten aufnahmen oder zeitweise ihr Zuhause verlassen mussten. „Die US-Armee rückte dort ein und erteilte allen Bewohnern links und rechts der Hofmark den Befehl, ihre Höfe und Häuser innerhalb von 30 Minuten zu räumen, denn dort kämen nun die befreiten KZ-Häftlinge rein“, berichtete Hoche. Den Häftlingen hätten die Soldaten erzählt, „im Ort stünden Höfe und Häuser leer, die von den Nazis bewohnt gewesen waren, die aber inzwischen geflohen seien“. Ferner sei den Befreiten gestattet worden, „sich innerhalb der nächsten 48 Stunden im Ort alles zu nehmen, was sie brauchten“.

Immer wieder spielte Hoche Videosequenzen ein. Diese zeigten Zeitzeugen, die Jahrzehnte später ihre Erinnerungen an den 30. April 1945 und an die Tage danach teilten. Hoche legte Schwarz-Weiß-Fotos vor, darauf: die Zeitzeugen in jungen Jahren. Wie die Häftlinge kurz nach der Befreiung aussahen, dieses Bild zeichnete der Autor mit Worten: Männer und Frauen, kaum zu unterscheiden, „kahlgeschorene, ausgemergelte Gestalten“ in Häftlingsuniformen.

Beiden Seiten Gehör verschaffen

Ferner verlas der Iffeldorfer Zitate, kurze Erlebnisberichte, hatte er doch mit vielen Zeitzeugen gesprochen, persönlich oder am Telefon. Hoche wollte beiden Seiten Gehör verschaffen. Rund zwei Dutzend Menschen ließ er in der Lesung hören. „Ich habe noch 40 weitere Interviews“, sagte er.

Erschütternde Dokumente hatte Hoche aufgetrieben, bewegende Töne eingefangen. Darunter Worte, die deutlich machen, dass die Befreiung für die Betroffenen nicht nur Freude bedeutete, sondern auch Angst. Familie und Freunde ermordet. Kein Hab und Gut. Keine Ausweispapiere. Keine Identität. Eine Befreite sicherte sich in einem Warenlager nicht nur Schuhe für sich, sondern auch für Vater und Bruder, nicht wissend, dass diese längst ermordet wurden. Der Pole Sam Akiermann, 99 Jahre alt, „hat mir seine Geschichte am Telefon erzählt“, berichtete Hoche. „Auf meine Frage, ob ihn die furchtbaren KZ-Erlebnisse im Traum noch verfolgen, antwortete er, dass er noch heute jede Woche mehrmals nachts schweißgebadet aufwacht.“

Hoche berichtete auch, wo Befreite eine Unterkunft fanden, etwa bei Josefa Schmid, fünf Menschen bei ihrem Großvater, fünf bei ihren Eltern. Josefa Schmid war hochschwanger, der Mann an der Front. Errechnete Entbindung: 8. Mai. „Zu meiner Überraschung“, sagte Hoche, sei das Kind hier im Raum. Im Raum waren auch Nachfahren von Mnasche Davidovits – Söhne, Enkel und Cousin Rabbi Zweiback aus den USA. Davidovits nahm nach seiner Befreiung in vielleicht zehn Tagen 20 Kilogramm zu. Von 40 auf 60 Kilo.

Stille nach dem Vortrag

17 KZ-Häftlinge starben im Güterzug oder kurz nach der Befreiung. Die Identität von neun kann nicht geklärt werden. „Es war, als hätten sie nie existiert“, sagte Hoche. Nach ein paar Wochen kehrten die Iffeldorfer in ihr Zuhause zurück. „Die meisten Häuser mussten von Grund auf renoviert werden, und viele Einrichtungsgegenstände wie Betten, Polstermöbel und Textilien mussten entsorgt und ersetzt werden.“ Das geordnete Dorfleben sei erst nach etlicher Zeit zurückgekehrt, schloss er seinen Vortrag. Dann Stille. Es brauchte eine Weile bis zum Applaus. Bürgermeister Hans Lang fiel es schwer, zu applaudieren, „weil ich doch ziemlich bewegt war“, sagte er, beschwert von „sehr, sehr großer Betroffenheit“.

Neue Fragen aufgeworfen

Zum Abschluss kam Hoche noch mit der Zuhörerschaft ins Gespräch, beantwortete Fragen, etwa nach seiner Motivation zu dem Werk. „Pure Neugier.“ Eines Tages habe er von den „Judengräbern“ in Iffeldorf gehört, weitere Informationen seien dann „nebulös und verschwommen“ gewesen. Er recherchierte. Jahrelang. Und jede Antwort, jede Entdeckung habe neue Fragen aufgeworfen. Das ist auch der Grund, aus dem der Iffeldorfer nicht rastet. „Ich arbeite immer noch.“

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