Intensives zum „Mordnacht“-Gedenken: Diese Lesung in der Penzberger Bücherei hatte es in sich

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„Wie sehr sehnen wir uns nach Menschen, die mitten im Wahnsinn zurückschauen und erkennen, dass man sich wandeln muss“: Bestseller-Autor Tim Pröse sprach in der Penzberger Stadtbücherei. © Antonia Reindl

Die Stadt gedachte der Opfer der „Penzberger Mordnacht“ vom 28. April 1945. Dazu gab es eine eindrückliche Lesung. Der Autor nahm seine Zuhörer mit auf eine intensive Zeitreise zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944.

Penzberg – Dass dieser Abend bis an die Substanz vorzudringen vermag, damit war zu rechnen. Intensiver Stoff. In Gedenken an den 80. Jahrestag der „Penzberger Mordnacht“ vom 28. April 1945 las Bestseller-Autor Tim Pröse aus seinem Buch „Wir Kinder des 20. Juli – Gegen das Vergessen. Die Töchter und Söhne des Widerstands gegen Hitler erzählen ihre Geschichte“. Doch er las nicht nur. Vor allem erzählte er, so eindringlich, dass sich das Publikum in der Stadtbücherei in Zeit und Raum versetzt fühlen konnte.

„Mordnacht“-Gedenken mit Autor Tim Pröse in Penzberger Stadtbücherei – intensive Zeitreise zu Kindern des 20. Juli 1944

Draußen war es fast sommerlich warm. Menschen saßen an den Eisdielen, genossen die letzten Strahlen des Tages. Manche aber verschlug es in die Stadtbücherei. Tim Pröse fand es „wunderschön, dass Sie mich nicht allein lassen mit diesem schwierigen, sperrigen Thema“. Ein Umstand, der „mich bestärkt, mich beflügelt“. Pröse war wirklich mit schwerem Gepäck gekommen, sein Best-steller „Wir Kinder des 20. Juli – Gegen das Vergessen. Die Töchter und Söhne des Widerstands gegen Hitler erzählen ihre Geschichte“ hat es in sich.

Reden mit Zeitzeugen

20. Juli 1944: Claus Schenk Graf von Stauffenbergs Attentat auf Adolf Hitler schlägt fehl. Hitler nimmt Rache, lässt fast alle Widerstandskämpfer ermorden. Kinder wurden den Eltern entrissen. Pröse hat Töchter und Söhne der Widerstandskämpfer begleitet, kennengelernt, gehört. Begegnungen, die er in sein Werk goss. In 30 Jahren habe er „einige letzte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen getroffen“, erzählte der Autor, der weniger las, vielmehr erzählte, oft stehend, mit Pausen, in denen nur Musik erklang. Das Gesagte grub sich damit noch stärker ins Gedächtnis. Er habe das Glück gehabt, dass diese Menschen ihm Vertrauen schenkten. Und Pröse traf viele. Darunter „den Letzten auf Oskar Schindlers Liste“ und Anne Franks Cousin. An diesem Abend komme er nicht umhin, „das Bittere auszusprechen“, betonte er. Zugleich wolle er „eine Flamme weiterreichen, die Flamme der Widerstandskämpfer“. Denn: Zeitzeugen gibt es immer weniger. Künftig braucht es Zweitzeugen. „Ihr seid Zweitzeugen.“

Genügend Zeit für das gesamte Werk blieb an dem einen Abend nicht. Schlaglichter mussten reichen. Und sie reichten, um zu berühren, zumal Pröse an viele Orte mitnahm. Er nahm mit in das Zimmer, in dem Stauffenberg die finalen Handgriffe seines Attentats auf Hitler tätigte. Am 20. Juli, diesem „sengend heißen Tag“. Eindringlich schilderte Pröse, wie Stauffenberg den Sprengsatz zündete. Mit einer Hand, die nur noch drei Finger zählte. Die andere Hand war ein Stumpen, ein Auge „war zerschossen“.

Der Autor pochte an die Wand, um das Türklopfen zu imitieren, das Stauffenberg wohl in Panik versetzte. Den zweiten Sprengsatz zündete er nicht mehr, legte diesen auch nicht in die Aktentasche zurück, die wenig später zu Hitlers Füßen stand. Er habe „noch ungefähr zehn Menschen erwischen können“, die ihm erzählen konnten, wie Stauffenberg am 20. Juli handelte, berichtete Pröse.

Der Autor nimmt seine Zuhörer mit

Pröse nahm mit ins Zuhause von Stauffenbergs Sohn Berthold. „Alles im Wohnzimmer seines Sohnes ist Teil dieser Geschichte.“ Pröse nahm mit ins Gefängnis München-Stadelheim, zu Sophie Scholl. Er erzählte von einen „Pappzettel“, auf den er bei seinen Recherchen gestoßen war. Eine Schachtel Streichhölzer, eine Packung Zigaretten, drei Gebäckstücke sind darauf notiert. Der Henker habe nach getaner Arbeit die Taschen der Delinquenten durchsucht. Auch die von Scholl. Die Liste hält ihre letzten Habseligkeiten fest. Scholls Mutter habe ihren Kindern immer Brötle gebacken, wenn es ihnen schlecht ging. Bis zuletzt. Drei Brötle für Sophie. Pröse nahm mit vor die Bank des „Blutrichters“ Roland Freisler, der einem Verschwörer gedroht habe: „Sie werden bald zur Hölle fahren.“ Der Angeklagte soll sich verbeugt und geantwortet haben, dass es ihm eine Freude sein werde, wenn der Richter nachfolge.

Gespräch mit Publikum

Nur ein paar Schlaglichter eines intensiven Abends mit Pröse, an dessen Ende er mit dem Publikum das Gespräch suchte. In den Reihen saß die Tochter eines Widerstandkämpfers. Erinnerungen an damals kann diese nicht ins heute tragen, sie war damals ein Kleinkind. Sie lenkte den Blick vom persönlichen Leid zum „Leid einer ganzen Generation“.

Wir sollten den Mut dieser Menschen nutzen und nicht verzagen.“ 

Eine Sichtweise, die Pröse als Zeichen von Demut und Noblesse deutete. Auf die Widerstandkämpfer geblickt, meinte der Autor: „Wir sollten den Mut dieser Menschen nutzen und nicht verzagen.“ Dann erinnerte er an das Bild mit der Flamme, die weitergetragen werden soll. „Ich bin mir sicher, dass wir morgen rausgehen…“, sagte Pröse und ballte eine Hand, als trage er eine Fackel, „Sie wissen schon.“

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