Zweifach-Mutter entsetzt über Kita-Debatte: „Hilft nicht, immer nur Frust abzulassen“

FOCUS online: Frau Hansen, wir haben zuletzt mehrfach über Eltern berichtet, die in Bezug auf das deutsche Kita System Alarm schlagen – auch Experten zeigen sich besorgt. Sie haben sich bei uns gemeldet, weil Sie ganz andere Erfahrungen machen.

Rabea Hansen: Unsere Kita, das städtisch integrative Familienzentrum in der Thüringerstraße, ist ein Traum. Die Erzieherinnen und Erzieher sind überaus liebevoll und das Angebot – von Präventionsprogramm bis Kunstprojekt – ist super. Für mich als zweifache Mutter geht das Konzept Kita voll auf. Wie seit einiger Zeit über die angebliche „Kita-Krise“ in Deutschland berichtet wird – aus meiner Sicht sind das Einzelfälle.

Wir haben mit zahlreichen Eltern und auch Fachleuten gesprochen. Vieles von dem, was uns berichtet wurde, lässt aufhorchen. Möglicherweise sind Ihre Beobachtungen ja eher die Ausnahme?

Hansen: Das glaube ich nicht. Ich bin nicht nur Kita-Mama, sondern auch ehemalige Vorsitzende des Jugendamtselternbeirats hier in Kaarst. In dieser Funktion habe ich zwei Jahre lang die 22 Kitas der Stadt betreut – und da bekommt man natürlich so einiges mit. Nicht zuletzt, weil ich teilweise auch als Mediatorin tätig war. Ich sage Ihnen: Die Probleme, mit denen wir konfrontiert waren, waren wirklich überschaubar. 

Wie kommt es, dass Eltern die Situation so unterschiedlich wahrnehmen?

Hansen: Ich denke, die vielen zufriedenen Eltern haben schlicht keinen Grund, an die Öffentlichkeit zu gehen. Daher liest man immer so viel Negatives und kaum was Positives. Ich möchte dazu beitragen, dass sich das ändert.

Was möchten Sie die Menschen wissen lassen?

Hansen: Dass unsere beiden Kinder in der Kita eine wunderschöne Kindheit erleben durften! Meine große Tochter besucht schon seit letztem Jahr die weiterführende Schule und für meine Kleine endet die Kita-Zeit in wenigen Wochen. Ich werde wehmütig, wenn ich daran denke. 

Ist Ihre Kita vom Fachkräftemangel verschont geblieben?

Hansen: Den Fachkräftemängel gibt es bei uns schon auch. Ich muss aber sagen: Bei der Berichterstattung wundert es mich wenig, wenn immer weniger Leute Lust auf den Beruf der Erzieherin oder des Erziehers haben.

Was meinen Sie?

Hansen: Der Beruf ist sehr umfangreich, sehr herausfordernd. Ich würde mir wünschen, dass Eltern mehr wertschätzen, was da Tag für Tag für unsere Kleinen geleistet wird! Es hilft nicht, immer nur Frust abzulassen und draufzuhauen. Bitte vergessen wir auch nicht, wie sich das Berufsbild in den letzten Jahren und Jahrzehnten geändert hat!

Wie denn?

Hansen: „Kindergärtnerin“ sagt man ja bekanntlich schon lange nicht mehr und das würde der Sache auch nicht ansatzweise gerecht. Schauen Sie sich die gesellschaftliche Entwicklung an. Wir Frauen arbeiten heute deutlich mehr als unsere Mütter damals. In der Regel haben wir zudem nicht mehr so viel Rückhalt in der Familie. Vieles, was früher zu Hause geleistet wurde, deckt jetzt die Kita ab. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes Erziehungsarbeit, die da geleistet wird. Erzieherinnen und Erzieher führen Entwicklungsgespräche, koordinieren Folgetermine wie Ergotherapie und Co., beziehen bei allem die Eltern mit ein. Ich muss die Mitarbeitenden wirklich in Schutz nehmen, es ist enorm, was da geleistet wird! Noch einmal: Wenn es Probleme gibt, liegt es nicht am Konzept.

Woran dann?

Hansen: Natürlich macht der Führungsstil einer Einrichtung ganz viel aus. In unserer Kita gibt es eine tolle Leitung, die hält das Team zusammen, motiviert. Für unsere Mitarbeitenden ist es selbstverständlich, hin und wieder Extra-Stunden außerhalb der Arbeitszeit zu leisten – unbezahlt. Auch in der Freizeit unternehmen die Kolleginnen und Kollegen Dinge zusammen. Man geht zum Teamsport, singt im gemeinsamen Chor, der unter anderem bei Kita-Veranstaltungen auftritt. Das ist eine komplett freiwillige Sache, aber alle sind dabei.

Eine Führungskraft, die es schafft, den Zusammenhalt in der Belegschaft derart zu fördern, ist allerdings alles andere als der Regelfall.

Hansen: Das mag sein, doch eine gute, wertschätzende Leitung ist auch nur ein Aspekt. Wie bereits gesagt, muss die Wertschätzung genauso vonseiten der Kunden – also der Eltern – kommen. Es geht nicht um ein Pushen allein von oben oder ein Pushen allein von unten, sondern um ein Miteinander. Dieses ständige Meckern ist nicht förderlich.

Hansen: Nein. 

Was hätten Sie anstelle der Eltern getan?

Hansen: Ich hätte versucht, das Problem zu lösen. Und das Problem löst sich ganz bestimmt nicht, wenn man pauschal sagt: „Das System funktioniert nicht“. Die Frage ist doch vielmehr: Wie kann es besser laufen? Und: Wie kriegen wir das zusammen hin? Auch sollte man sich vielleicht mal fragen, wie das Problem überhaupt entstanden ist. Wo kommt es her? Eine gute Vertrauensbasis ist zentral. Daran können auch Eltern arbeiten.

Wie denn?

Hansen: Indem man aufhört mit der Systemkritik. Und anfängt, zu sehen, was in den Kitas Tag für Tag geleistet wird. Mein Tipp wäre, sowas – sinngemäß – ruhig mal auszusprechen: „Ich gebe euch mein Kind, weil ihr es gut macht“. Und dann vielleicht auch mal zu fragen: „Wo kann ich helfen?“. Gedanklich beim vermeintlichen Kollaps hängenzubleiben, bringt nichts. Im Gegenteil, die Folgen für die Kinder können fatal sein.

Nämlich?

Hansen: Ein Kind komplett aus dem Kindergarten zu nehmen ist ein krasser Schritt. Bedenken wir: Viele Kinder haben heute keine Geschwister mehr. Sie brauchen den sozialen Kontakt. Nur, weil es mir als Mutter nicht passt, kann ich den meinem Kind doch nicht vorenthalten! Nicht auszudenken, was meinen Kindern alles vorenthalten geblieben wäre, hätte ich sie zuhause betreut… 

Und das würden Ihre Kinder genauso sehen?

Hansen: Ganz bestimmt. Bei uns war es immer so, dass die Kinder morgens möglichst früh im Kindergarten sein wollten. Und am Nachmittag sollte ich sie möglichst spät abholen. Ein Highlight meiner jüngeren Tochter ist der Küchendienst: Gemüse schnippeln, den Salat auf die Schälchen verteilen, den Essenswagen schieben… Und auch sonst gibt es in unserer Kita viele schöne Momente. Neulich wurde beispielsweise spontan ein Orchester gegründet. Meine Tochter hatte ihre Gitarre mitgebracht, die anderen wollten auch. Die Erzieher sind sofort darauf eingegangen, wieder mal. Der kleine Auftritt, der am Ende entstanden ist, war wirklich bewegend. Sie sehen schon: Das Bild vom überlasteten, gestressten Personal kann ich nicht bestätigen. Selbst während der Pandemie haben die Mitarbeitenden alles gegeben. Es gab keinen einzigen Schließtag.