Wie wurde der Mensch zum Mensch? Ein weiteres bedeutendes Kapitel der Evolution hat erneut die Tongrube Hammerschmiede im Ostallgäu geschrieben: Das internationale Forschungsteam um Professorin Madelaine Böhme hat dort eine zweite Menschenaffenart entdeckt. Das ist weltweit eine Sensation.
Pforzen/Ostallgäu – Bisher waren weltweit 15 Menschenaffenarten bekannt, doch hinter den Kulissen wurde bereits von einem weiteren spektakulären Fund im Ostallgäu gemunkelt. Heute nun ließen die Paläontologen die Katze aus dem Sack und gingen mit ihrer Entdeckung an die Öffentlichkeit: In der Tongrube Hammerschmiede in Pforzen waren Fossilien einer zweiten Art europäischer Menschenaffen gefunden worden, die zeitgleich zur erstentdeckten, dem „Danuvius guggenmosi“ („Udo“) gelebt haben soll. Damit ist die Hammerschmiede der einzige Fundort weltweit, der die Ko-Existenz zweier Menschenaffenarten nachweisen kann.
Nicht nur die Forscher selbst, auch Pforzens Bürgermeister Herbert Hofer, Kaufbeurens OB Stefan Bosse und der Kaufbeurer Landtagsabgeordnete Bernhard Pohl zeigten sich der neuen Erkenntnisse wegen „elektrisiert“. „Die Funde werfen ein neues Licht auf die Vorgeschichte der großen Menschenaffen in Europa“, schreibt die Professorin in ihrer Einladung an die Presse. Und die Tongrube stehe erneut im Rampenlicht.
Sein Name: „Buronius manfredschmidi“
Dass sich im Molassegestein der Tongrube unzählige Überreste früher Wirbeltiere von der Spitzmaus bis zum Urzeitelefanten finden lassen, ist spätestens seit der Erfoschung des Allgäuer Primaten „Udo“ kein Geheimnis mehr. Dieser zeigte als erster Menschenaffe bereits vor rund 12 Millionen Jahren Anpassungen an den aufrechten Gang und hat die Grabungsstätte zwischen Pforzen und Kaufbeuren im Jahr 2019 weltweit bekannt gemacht.
Jetzt sorgt „Buronius manfredschmidi“ – so der wissenschaftliche Name von Udos Zeitgenossen – erneut für Aufmerksamkeit. Entdeckt wurden die Fossilien von „Buronius“– es sind zwei Zähne und eine Kniescheibe – bereits vor einigen Jahren nahe den Funden von „Danuvius“ in einem 11,6 Millionen Jahre alten Bachsediment. „Die Ablagerungsbedingungen lassen den Schluss zu, dass beide Menschenaffen zur gleichen Zeit dasselbe Ökosystem besiedelten“, erklärt Thomas Lechner, Grabungsleiter in der Hammerschmiede.
Und das sei über den eigentlichen Fund hinaus die zweite Sensation. „Das ist der erste Nachweis weltweit, dass zwei fossile Menschenaffen miteinander im selben Habitat lebten“, erklärt Madelaine Böhme. Wie das überhaupt funktionieren konnte, darüber würden die Fundstücke, zwei Backenzähne Aufschluss geben.
So klein war der „Buronius“ der Pforzener Hammerschmiede
Der Originalzahn des „Buronius“ ist lediglich 7,7 Millimeter groß, viel kleiner als der seines Zeitgenossen „Danuvius“ und auf der Hand der Professorin verschwindet er fast. Dennoch gebe er gemeinsam mit der Kniescheibe Aufschluss über die Größe und die Nahrung der neuen, 16. fossilen Primatenart. Demnach war „Buronius“ rund zehn Kilogramm schwer und um einiges leichter als „Danuvius“ (15 bis 46 Kilogramm). Und: „Buronius ist der kleinste bekannte große Menschenaffe“, hebt die Professorin zur nächsten Sensation an. „Er lebte vermutlich auf Bäumen und ernährte sich rein vegetarisch.“
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Dass er mutmaßlich Blattwerk den Wurzeln, Nüssen und Beeren des Miozäns bevorzugte, zeige sich eben deutlich an den aufgefundenen Backenzähnen: sie haben nur eine dünne Schicht Zahnschmelz, Indikator für eine faserreiche vegetarische Ernährung. Wohingegen „Danuvius“ ähnlich dem Menschengebiss ein dicke Schicht Zahnschmelz aufweist, was auf einen „Allesfresser“ schließen lässt.
Die Primaten-WG: Da waren sich Zwei sympathisch
Die Wissenschaftlerin nannte es beim Pressetermin in Kaufbeuren „Syntopie“, als sie auf das gemeinsame Vorkommen beider fossilen Menschenaffenarten im selben Biotop zu sprechen kam. Ob sich die Zwei sympathisch waren, konnte zwar nicht abschließend geklärt werden. Die an den Auswertungen beteiligten Forscherinnen und Forscher haben jedoch keinen Zweifel daran, dass im Falle von Danuvius und Buronius das Zusammenleben durchaus harmonierte.
Es sei wahrscheinlich, dass der kleine blattfressende „Buronius“ sich länger in den Baumkronen aufhielt“, beschreibt Böhme die fossile Primaten-WG. „Der mehr als doppelt so große, zur Zweibeinigkeit befähigte Danuvius durchstreifte hingegen vermutlich ein größeres Gebiet und fand vielfältige Nahrung.“ Dies sei mit der heutigen Syntopie von Gibbon und Orang-Utan auf Borneo vergleichbar.
Namenspatron Manfred Schmid aus Marktoberdorf
Die meisten Forscher bekämen die Ehre, Namenspatron für eine wissenschaftliche Entdeckung zu sein, erst nach ihrem Tod verliehen, erklärt Manfred Schmid schmunzelnd. Dass ihm diese Würdigung nun in Form der neuen Menschenaffenart „Buronius manfredschmidi“ zuteil wird, nimmt der Marktoberdorfer Zahnarzt im Ruhestand mit einem vorsichtigen Lächeln zur Kenntnis. Hobbyarchäologen wie er, so Schmid, stünden mit ihren Funden doch meist im Hintergrund.
Die Namensgeber (Madelaine Böhme und Bernhard Pohl, wie sie verrieten) honorierten die nun mehr als ein halbes Jahrhundert andauernde Arbeit des Manfred Schmid, der in der 1970ern bereits in der Hammerschmiede grub und bedeutende Funde, wie das Teilskelett eines urzeitlichen Riesenelefanten entdeckte. Der Vorname der neuen Menschenaffenart „Buronius“ leitet sich übrigens vom mittelalterlichen Namen der Stadt Kaufbeuren ab – eine Entscheidung, die auch den OB sichtlich stolz machte.
Und auch der Freistaat ist stolz auf die Erkenntnisse der Hammerschmiede. Wie Bernhard Pohl, MdL und stellvertretender Vorsitzender der Freie Wähler Landtagsfraktion mitteilte, unterstützt das Land Bayern die Grabungsarbeiten heuer mit 550.000 Euro aus Mitteln der Fraktionsinitiativen der Freien Wähler. „Die Forschung in Pforzen zu unterstützen, ist uns ein Anliegen,“ bekannte Pohl, auch wenn Madelaine Böhme und ihr Team vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen in Baden-Württemberg angesiedelt seien.
Pforzens Bürgermeister Herbert Hofer erwartet nun, dass die neuen Erkenntnisse in die Ausgestaltung von Pavillon und Besucherzentrum einfließen werden.
Wer übrigens selbst einmal in der Hammerschmiede zum Hoby-Goldgräber werden und sich als Freiwilliger an den Grabungen beteiligen möchte, der kann sich unter folgender Adresse bei Dr. Thomas Lechner bewerben: hammerschmiedegrabung2020@gmail.com.