Wütend auf dem Wasen: Wie Neil Young in Stuttgart ankam

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Der Liedermacher mit den Holzhacker-Soli: Neil Young auf der Bühne. © Valentin Flauraud / dpa

Womöglich war es Neil Youngs letzte Deutschland-Show: Bei seinem Konzert in Stuttgart zeigte sich der Songwriter von seiner wütenden Seite.

Es hat aufgerissen, als Neil Young in Stuttgart die Open-Air-Bühne betritt. Das miese Wetter, das so gut gepasst hätte zur politischen Lage, über die sich der geniale Grantler derzeit Luft macht, es ist in Richtung München weitergezogen. Die Abendsonne lächelt sich in den Pfützen des Cannstatter Wasens selber zu, während der 79-Jährige den „Ambulance Blues“ anstimmt. Ein surreales Meisterwerk. Es endet mit Zeilen über einen Lügner, der für jeden eine andere Story parat hat. „Wie kann der sich merken, zu wem er spricht?“, singt Young den 8000 Fans entgegen. „Ich weiß, nicht zu mir – und ich hoffe, zu euch auch nicht.“

Keiner außer Bruce Springsteen attackiert den US-Präsidenten so hart wie der gebürtige Kanadier Young

1974 war das wohl auf Richard Nixon gemünzt, heute ist ganz bestimmt Donald Trump gemeint. Keiner außer Bruce Springsteen attackiert den US-Präsidenten so hart wie der gebürtige Kanadier Young. So hart, dass seine Frau, die Schauspielerin Daryl Hannah, schon um seine reibungslose Wiedereinreise nach Kalifornien fürchtet. Mit seiner aktuellen Band, den Chrome Hearts, hat Young ein recht politisches Album aufgenommen, von dem er an diesem Dienstagabend aber keinen Song spielt. Wer weiß, ob er überhaupt noch mal nach Europa kommt, und so dominieren bei seinem einzigen Konzert in Süddeutschland logischerweise die Klassiker das Programm.

Auf Krawall gebürstet: Wenn Young Micah Nelson (Mitte) und  Corey McCormick zum Engtanz bat, wurde es intensiv
Auf Krawall gebürstet: Wenn Young Micah Nelson (Mitte) und Corey McCormick zum Engtanz bat, wurde es intensiv. © VALENTIN FLAURAUD / dpa

Aber die Song-Auswahl zeugt für den Kenner doch von einiger Wut. Nach dem Krankenwagen-Blues, den Young fast noch nie zusammen mit Band gespielt hat, liegt der Schwerpunkt auf auf den legendären Krach-Epen, bei denen der Grobian seine Gibson Les Paul wie eine Spaltaxt klingen lässt: „Cowgirl in the Sand“, „Cinnamon Girl“, „Fuckin’ up“, „Love to burn“. Als Young sie aufnahm, begleiteten ihn seine Getreuen Crazy Horse. Seit einiger Zeit aber verlässt er sich auf die jüngere Band um Micah Nelson (Willies Sohn) an der Gitarre, Corey McCormick am Bass und Anthony LoGerfo am Schlagzeug, die bei seinen frei flottierenden Holzhacker-Soli muskulös mit anpacken. Organist Spooner Oldham, der in den Sechzigern schon „Mustang Sally“ von Wilson Picket und „Respect“ von Aretha Franklin veredelte, sitzt abseits und rührt sich kaum – eine Legende im Austrag.

Die Stimmung im Publikum muss sich der Altmeister hart erarbeiten

Ruhig ist es über weite Strecken leider auch im Publikum. Daran hat Old Neil natürlich selbst schuld, der wie gewohnt im Couch-Kartoffel-Look mit Knautsch-Kappe und Flanellhemd antritt (immerhin auch im patriotischen Kanada-Shirt, ein Kommentar natürlich zu Trumps Annexions-Ambitionen). Nach fünf Liedern ruft er: „Wie geht‘s euch so da draußen?“ Auch Video-Leinwände oder Botschaften à la Bruce gibt es nicht, aber die Fans wissen ja auch so, was sie an ihm haben: Wenn er sich mit Nelson und McCormick auf Bierdeckel-Radius zusammenstellt, sind das intensivsten Momente: wie im Zentrum eines Gewitters, wenn sich Millionen Volt entladen. Ein großes Grollen, Heulen, Zucken. Dass die hohe Stimme immer öfter wackelt, auch das gehört bei Neil Young dazu – sentimentale Stücke wie „Harvest Moon“ profitieren sogar davon.

Das grundlegendere Problem ist die Bestuhlung. Die Fans hocken in großen Karrees vor der Bühne, dazwischen breite Gassen mit Sicherheitsleuten. Mancher traut sich da nur begeistert vor- und zurückzuwippen auf dem unbequemen Klappsitz. Oder geht, während der gut gemeinten Öko-Agitprop-Stücke „Be the Rain“ und „Sun Green“, gleich Bier holen. Die begeisterten Stehplatz-Zuschauer hält der Ordnungsdienst mit Flatterband auf Abstand. Nelson grüßt sie ab und zu aufmunternd.

Dann platzt der Knoten – natürlich bei „Like a Hurricane“. Die Flatterbänder fallen, die Fans rennen zur zehnminütigen Sturmfront-Ballade vor die Bühne, und wie selbstverständlich erhebt sich auch der Rest zur frenetischen Feedback-Feier. „Old Man“, „Hey Hey, My My“ – und dann peitscht Young die Leute mit „Rockin’ in the free World“ zu finalen Begeisterungsstürmen. Jenem Song, den Trump sich für den Wahlkampf unter den Nagel reißen wollte, bis Young ihn verklagte.

Auch ohne Regenwetter: Rost schläft nie, so lautet das Credo von Neil Young. In Stuttgart hat er sich und seine Fans gerade noch rechtzeitig daran erinnert.

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