„Historischer Moment in bilateralen Beziehungen“: Serbien wendet sich von der EU ab und zu China hin
Serbien ist unter den EU-Beitrittskandidaten der dickste Problembär, wenn es um China geht. So hat Präsident Aleksandar Vučić kürzlich ein Freihandelsabkommen mit Peking unterzeichnet.
Am Mittwoch haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und des Westbalkans zu einem gemeinsamen Gipfel in Brüssel getroffen. Nicht dabei: Serbiens autoritär regierender Präsident Aleksandar Vučić. Er wurde von Ministerpräsidentin Ana Brnabić vertreten. Vučić schwänzt damit den zweiten EU-Westbalkangipfel in Folge. Verwunderlich ist das nicht. Hat er doch gerade erst eine ganz andere Ausrichtung seines Landes unterstrichen, nämlich nach Peking statt nach Brüssel. So unterzeichnete er ein Freihandelsabkommen mit China. Mit diesem hat sich Belgrad einerseits einen weiteren Stein auf den Weg zur EU-Mitgliedschaft gelegt. Andererseits aber ist sein Schritt angesichts des langsamen Fortschritts bei den Beitrittsgesprächen keine Überraschung.
In Serbien selbst wurde das im Oktober geschlossene Freihandelsabkommen als „entscheidender und historischer Moment in den bilateralen Beziehungen“ dargestellt, wie Stefan Vladisavljev, Programmdirektor bei der serbischen Stiftung BFPE und Teil des Teams des Belgrad Security Forums, gegenüber Table.Media sagt. „Die Hauptbotschaft war, dass dieses Abkommen eine große Chance für die serbische Industrie und Wirtschaft darstellt und der serbischen Landwirtschaft zugutekommen wird.“ Die politische Elite um Präsident Vučić habe diese Botschaft vorangetrieben.
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Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 14. Dezember 2023.
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Serbiens Markt könnte von Billigprodukten überschwemmt werden
Außerhalb des Kreises der Regierungskoalition seien aber durchaus Bedenken geäußert worden, dass der größte Gewinn aus dem Abkommen tatsächlich den in Serbien tätigen chinesischen Unternehmen zugutekommen würde, betont Vladisavljev. „Die Menge der Exporte Serbiens nach China nimmt kontinuierlich zu, aber die Hauptexporteure sind chinesische Unternehmen.“ Auch das Niveau der Importe aus China liege bereits deutlich höher als der Export Serbiens. Im Handel sei das aber nicht unbedingt überraschend, so Vladisavljev.
Für das Freihandelsabkommen sieht er das jedoch nicht per se als dunkles Omen: „Wenn Serbien seine Importe aus China erhöht, ist das nicht unbedingt eine schlechte Sache.“ Die entscheidende Frage sei, ob Serbien gleiche Wettbewerbsmöglichkeiten und eine gleichberechtigte Positionierung für die inländischen Hersteller und Partner biete, sagt Vladisavljev. Serbiens Regierung muss also eine Schwemme von Billigprodukten verhindern.
China bekommt besseren Zugang zu Eurasischer Wirtschaftsunion
Serbien ist Chinas wichtigster Handelspartner in der Balkanregion. Umgekehrt ist auch China Serbiens wichtigstem Handelspartner in Asien. Im Jahr 2022 belief sich das bilaterale Handelsvolumen auf 3,55 Milliarden US-Dollar, was einem Anstieg von gut zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Laut der Comtrade-Datenbank der Vereinten Nationen erreichten die serbischen Exporte nach China im Jahr 2022 einen Wert von 1,17 Milliarden US-Dollar. Die wichtigsten exportierten Waren sind Erze, Schlacke und Asche (mit rund 913 Millionen US-Dollar), Kupfer (rund 133 Millionen US-Dollar) sowie Holz, Elektroartikel und Maschinen.
Chinas Exporte nach Serbien sind fast doppelt so hoch: 2,18 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022. Die größten Posten sind Comtrade zufolge Maschinen, Kernreaktoren und Kessel (rund 754 Millionen US-Dollar) sowie elektronische Geräte (rund 488 Millionen US-Dollar). Auch Artikel aus Eisen oder Stahl und Aluminium gehören zu den wichtigsten Exportgütern Chinas nach Serbien.
Das nun geschlossene Freihandelsabkommen hat für China noch einen weiteren strategischen Vorteil: Serbien hat ebenfalls ein Freihandelsabkommen mit der Eurasischen Wirtschaftsunion, zu der Länder wie Russland, Armenien, Weißrussland, Kasachstan und Kirgisistan gehören. China kann nun theoretisch über Serbien besseren Zugang zu deren Märkten bekommen.
FTA mit Peking müsste bei EU-Mitgliedschaft beendet werden
Zwar könne die Beziehung zwischen Serbien und der Europäischen Union nicht nur am Austausch zwischen Peking und Belgrad gemessen werden, so Vladisavljev. Die Situation sei viel komplexer. Doch das Freihandelsabkommen bestätigt nach seiner Ansicht den aufgefächerten Ansatz der serbischen Regierung in ihrer Außenpolitik: „Es stellt sich die Frage nach dem realistischen Engagement der Regierungskoalition für den Prozess der EU-Integration.“
Sollte Serbien EU-Land werden, müsste es das Abkommen mit China aufkündigen. Wie realistisch der baldige EU-Beitritt Serbiens ist, ist aber ohnehin fraglich — von beiden Seiten. Präsident Vučić schwänzte im Oktober ein EU-Westbalkantreffen in Tirana, bei dem die EU der Region Finanzhilfen in Milliardenhöhe versprach. Vučić schickte auch damals Ministerpräsidentin Brnabić zum Termin. Nur einen Tag nach dem Treffen in Tirana setzte Serbiens Präsident die Unterschrift unter das Freihandelsabkommen mit China. Die Verhandlungen für den Handelspakt sollen in nur wenigen Monaten abgeschlossen gewesen sein.
Vučić kontrolliert Serbiens Medien vor Wahl am 17. Dezember
Unterdessen ziehen sich die Beitrittsverhandlungen mit Brüssel immer weiter hin. Offizielle Bewerberländer der Westbalkanregion sind neben Serbien Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Nordmazedonien. Mit Montenegro und Serbien laufen bereits Beitrittsverhandlungen, und es wurden Verhandlungskapitel eröffnet. Im Juli 2022 wurden auch Verhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien aufgenommen, im Dezember 2022 reichte Kosovo seinen Antrag auf Beitritt zur EU ein. Bei Serbien ist auch das schwierige Verhältnis zu Kosovo ein Bremser für die Beitrittsgespräche.
Hinzu kommt dann noch der außenpolitische Schlingerkurs in Belgrad gegenüber China und Russland — und etliche heimische Probleme wie steigende Korruption und zunehmende Gewalt. Am 17. Dezember wird nun auf Parlaments- und Kommunal-Ebene neu gewählt. Und der Widerstand gegen Vučić und seine Fortschrittspartei SNS ist größer denn je. Seit bei zwei Amokläufen im Mai 19 Menschen erschossen wurden, gingen wöchentlich Tausende Menschen auf die Straße, um gegen den Autokraten zu protestieren. Es waren die größten Antiregierungsproteste seit 20 Jahren.
Dass Vučić und SNS aus der Wahl mit einer Niederlage hervorgehen, ist trotzdem sehr unwahrscheinlich. Die Regierung kontrolliert einen großen Teil der Medien in Serbien.