„Unglaubliche Misstrauens-Kultur“ in der Verwaltung: Unternehmer rechnen mit Bürokratie ab
Unternehmer fordern bei IHK-Forum im Tölzer Landratsamt den Abbau von Bürokratie. Die Verwaltung habe zudem „panische Angst“ vor Entscheidungen.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Einen Richtungswechsel fordert CSU-Politiker Walter Nussel: „Wir dürfen nicht mehr davon ausgehen, dass jeder Leistungsträger in der Gesellschaft kriminell ist – egal, ob Ehrenamtler, Hauptamtler oder Unternehmer.“ Damit rannte der Beauftragte für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung jüngst im IHK-Forum im Tölzer Landratsamt offene Türen ein.
Unternehmer kritisieren: Bürokratie „kostet sehr viel Zeit und verlangt Parallelstrukturen“
Einen Nachmittag lang diskutierten die rund 40 Zuhörer über Themen wie Windräder, Digitalisierung in der Verwaltung und Bürokratieabbau. Elke Christian von der IHK für München und Oberbayern beklagte: „Wir haben Bauchschmerzen mit der Bürokratie. Das kostet sehr viel Zeit und verlangt Parallelstrukturen.“ Als Beispiel nannte sie den Nachhaltigkeitsbericht, den man sich „aus den Fingern saugen“ müsse. Anschließend gebe es Kontrollen und Nachforderungen. Ebenfalls viel Zeit und Papier koste das Lieferketten-Gesetz. Ihre Forderung: „Jedes Bürokratie-Gesetz muss auf einem DIN-A4-Blatt Platz haben.“ Nussel antwortete, das Lieferketten-Gesetz sei ein klassisches Beispiel für „gut gemeint, schlecht gemacht“: „Man kann von einem Bäcker mit ein paar Filialen nicht erwarten, dass er nachweist, woher der Pfeffer kommt.“
Renate Waßmer, Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen, empfindet das Arbeitszeit-Schutzgesetz in Zeiten von Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel als „komplett kontraproduktiv“. Sie habe Mitarbeiterinnen mit zwei Kindern, die sich wünschen, dass sie am Sonntag arbeiten dürfen, da dies für sie die günstigste Zeit ist. Die Regulatorik ersticke unternehmerischen Mut: „Wie können wir uns Gehör verschaffen? Ich weiß nicht mehr, an wen ich mich wenden soll.“
19 Unterschriften bis zur Konto-Eröffnung
Er sei mit Sparkassen- und Genossenschaftsverbänden in engem Austausch, antwortete Nussel. Diese Verbände sorgten teilweise selbst für hohe Hürden bei den Regularien, „die die Politik gar nicht vorschreibt“. Erst kürzlich habe er bei einer Konto-Eröffnung als Unternehmer 19 Unterschriften leisten müssen. „Wir wollen ein Prozent der Gesellschaft schützen und überfordern damit 99 Prozent.“
Peter Ostenrieder berichtete, in seinem Betrieb seien zwei Personen mit dem geforderten Erstellen von Wirtschaftlichkeitsberichten beschäftigt: „Damit machen wir uns vor der ganzen Welt nackig.“ Alle könnten einsehen, wie hoch der Mittel-Einsatz war, wie viel verkauft wurde und wie hoch der Umsatz-Erlös war. Die Konkurrenz könne entsprechend reagieren: „Ideologischen Zielsetzungen wird alles geopfert.“
Bürokratie in der Verwaltung: „Sankt Kontrolletti ist der Haupt-Zuständige“
Ebenso stellt er eine „unglaubliche Misstrauens-Kultur“ fest: „Sankt Kontrolletti ist der Haupt-Zuständige in Rathäusern, Landratsämtern, in der Regierung und bei Ministerien.“ Mitarbeiter auf allen Ebenen hätten „panische Angst“ davor, Entscheidungen zu treffen. Dies stellte auch Nussel in seinem Vortag fest. Die Angst komme daher, dass erfolgreiche Klagen Karrieren, beispielsweise in der Bauverwaltung, schaden können. „Dabei wollen wir, dass Menschen Entscheidungen treffen. Wir müssen das umkehren.“
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Tanja Brunnhuber von „destination to market“ kritisierte den enormen Aufwand für Unternehmen und Verwaltungen bei öffentlichen Vergaben und Ausschreibungen. Die jüngste Vergabe ziehe sich seit eineinhalb Jahren hin, und ein Ende sei nicht in Sicht. Das billigste Angebot werde am Ende mit aller Gewalt durchgedrückt. Dies bestätigte Nussel. Er selbst habe miterlebt, dass der billigste Anbieter einen Auftrag bekommen habe, dann aber die Vorgaben und den zeitlichen Rahmen nicht einhalten konnte. Also sei der Auftrag noch mal ausgeschrieben worden, der Anbieter habe sich noch mal beworben. „Der Bürgermeister hat gesagt: Die Firma kann ich doch nicht nochmal nehmen, aber das Gericht hat dem Anbieter recht gegeben.“
CSU-Politiker vermeldet erste Erfolge beim Bürokratieabbau
CSU-Politiker Nussel sagte, er habe als Beauftragter für Bürokratieabbau zunächst einige Gegner gehabt, mittlerweile gebe es erste Erfolge. Er kritisierte, gerade beim Naturschutz gebe es ein Übermaß an Vorgaben. Als Beispiel nannte er das Umsiedeln von Zauneidechsen: „Das kostet viel Geld und ist mit viel Aufwand verbunden. Man muss da mit gesundem Menschenverstand rangehen.“ (pr)