„Merkel regierte mit einem Handy“ – Ex-MI6-Chef geht wegen Abhörskandal mit Deutschland hart ins Gericht
Der Taurus-Abhörskandal hat die deutsche Sicherheitslandschaft erschüttert. Das Problem könnte tiefer liegen, als angenommen. Ist der BND nachlässig?
Berlin/London – Ein früherer Leiter des britischen Auslandsgeheimdiensts MI6, Richard Dearlove, hat eindringlich auf die durch den Ukraine-Krieg veränderte Sicherheitslage hingewiesen. Die Taurus-Leaks sieht er dabei nur als Teil des Problems an. Er attestiert Deutschland eine grundsätzliche Nachlässigkeit in puncto Geheimhaltung; auch die frühere Bundeskanzlerin sei nicht vorsichtig genug gewesen.

Knapp einen Monat ist es jetzt her, dass der Inspekteur sowie drei hochrangige Offiziere der Luftwaffe bei einem brisanten Gespräch von Russland abgehört wurden. Am 19. Februar besprachen die vier Beteiligten technische Voraussetzungen, Einsatzszenarien und politische Implikationen einer etwaigen Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Das Gespräch wurde mitgeschnitten und wird seitdem von Russland zu Propagandazwecken ausgeschlachtet. Gleichzeitig hat die Veröffentlichung eine Diskussion über die Geheimhaltung von Informationen und die Sicherheit von Kommunikationskanälen losgetreten.
„Deutschland von einem Mobiltelefon aus“ geführt: Ehemaliger MI6-Chef kritisiert Merkel und BND
Auch der ehemalige MI6-Chef Richard Dearlove ist wenig begeistert von den Vorkommnissen, wie er im Gespräch mit dem US-Magazin Politico deutlich machte. Gerade angesichts der Lage sei Vorsicht geboten, diese sei jedoch auch in der Vergangenheit oft zu vermissen gewesen. „Sie wissen so gut wie ich, dass ihre Sicherheitsbilanz schrecklich ist. Es ist eigentlich ziemlich schockierend,“. Auch wenn Deutschland nicht die einzige Quelle von Besorgnis für den ehemaligen Geheimdienstoffizier ist, bemängelt er dennoch eine fundamentale Nachlässigkeit im Land.
Schon Angela Merkel (CDU) habe während ihrer Zeit im Amt nicht genug Acht gegeben. Sie sei „notorisch lässig“ gewesen und habe „Deutschland von einem Mobiltelefon aus geführt“. Mann könne sich also sicher sein, dass die Russen sie abgehört hätten - und das wahrscheinlich immer noch tun würden. „Ich denke, das Problem mit Deutschland ist, dass es jetzt veranlagungsmäßig pazifistisch ist und Sicherheit nie wirklich ernst genommen hat“, so Dearlove weiter.
„Leute, die das ernst nehmen“ in der Minderheit: Ist der BND nicht vertrauenswürdig?
Zwar gebe es „Leute, die das ernst nehmen, aber sie sind eine winzige Minderheit“. Zu dieser Minderheit zähle er seinen persönlichen Freund, den ehemaligen Präsidenten des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND, August Hanning. In den BND als solchen hat Dearlove hingegen weniger Vertrauen. In seiner Zeit als MI6-Chef sei er bei der Weitergabe von Informationen an den deutschen Geheimdienst sehr wählerisch gewesen. „Es gab bestimmte hochsensible Informationen, die wir ihnen in hundert Jahren nicht gegeben hätten“.
Inzwischen habe sich die Situation durch den Ukraine-Krieg und die damit gestiegene Bedrohung jedoch geändert. Man werde Deutschland, durch die Rolle, die es bei der Unterstützung der Ukraine spiele, in Zukunft mehr Auskünfte geben müssen. „Die Deutschen werden sehr nervös sein, sehr unsicher, wie sie ihre Karten ausspielen sollen, und sie werden verzweifelt versuchen, Ratschläge zu bekommen“, sagte Dearlove dem Magazin.
Umdenken bei Sicherheit und Geheimschutz nötig - War der Abhörskandal „nur die Spitze des Eisbergs“?
Damit diese sensiblen Daten dann in die falschen Hände geraten, ist ein Umdenken bei Sicherheit und Geheimschutz notwendig. Gegenüber dem Handelsblatt forderte der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, daher ein Umdenken. Man müsse „endlich verstehen, dass wir hybriden Bedrohungen und Angriffen als Staaten und Gesellschaften ausgesetzt sind“, ansonsten drohe „alsbald noch Schlimmeres“ als das Taurus-Leak und „etwaige Peinlichkeiten“. Es bestehe auch die Gefahr, dass „unsere Partner in anderen Ländern ihrerseits Konsequenzen ziehen und manche Informationen mit uns nicht mehr teilen“. Da sieht Kramer, genau wie Dearlove, als „folgerichtige Konsequenz“ eines durchlässigen Sicherheitsapparats in Deutschland.
Obwohl Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) auf einer Pressekonferenz zunächst behauptet hatte, es habe sich um einen individuellen Anwendungsfehler des Bundeswehr-Angehörigen gehandelt, könnte das Problem also tiefer liegen. August Hanning äußerte gegenüber der Bild, dass der Taurus-Skandal „nur die Spitze des Eisbergs“ gewesen sein könnte. Für gewöhnlich würden geglückte Abhöraktionen nicht auf diese Weise veröffentlicht, um die Quelle zu schützen. Allein, dass Russland so agiere, deute darauf hin, dass noch wesentlich mehr Mitschnitte in russischen Händen seien. (tpn)